Der Krieg ist nur die Spitze des Eisbergs: Warum wird denn unser Essen immer teurer?

Berlin - Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, wann Ihr das letzte Mal mit Genuss durch die Regale Eures Supermarktes geschlendert seid, beeindruckt von der Vielfalt der Produkte? Vielen Deutschen ist das Erlebnis Einkaufen spätestens seit Ausbruch des Ukraine-Krieges vergangen. Zwischen immer teureren Nahrungsmitteln und leergehamsterten Regalen versucht man noch irgendwie seinen Einkauf zusammenzubringen. Die Gründe für diesen Stimmungswandel sind vielschichtig.

Nahrungsmittel werden immer teurer - das liegt nicht zuletzt am explodierten Getreide-Preis.
Nahrungsmittel werden immer teurer - das liegt nicht zuletzt am explodierten Getreide-Preis.  © Arne Dedert/dpa

Egal ob es der Preisschock an der Zapfsäule, der Albtraum beim Blick auf die Heizkostenabrechnung oder der immer teurere Kassenzettel beim Einkauf ist: mit dem Ukraine-Krieg ist schnell ein Schuldiger gefunden. Während Russland einer der weltweit größten Lieferanten von Öl, Gas und Kohle ist, gilt die Ukraine als "Kornkammer Europas". Ein Super-GAU für Deutschland, das in der Vergangenheit gern und viel aus beiden Länder importiert hat.

Energie, Agrar-Rohstoffe, Verpackungen und der Transport hätten sich in letzter Zeit stark verteuert. Der "Krieg verschärft die Situation nun drastisch und in existenzbedrohendem Maße", schlug der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) deshalb am Anfang der Woche Alarm.

Die Industrie sei in der schwierigsten Situation seit Gründung der Bundesrepublik. Die drohende Gasknappheit sei zudem ein Damoklesschwert, das im schlimmsten Fall zum Runterfahren der Produktion führen könnte.

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Doch der Krieg ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Industrie stehe schon seit Jahren unter Stress. "Das ist die größte Rohstoffkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Situation war schon vor dem Krieg und der Pandemie sehr angespannt, hat sich dann durch Corona intensiviert und jetzt ist natürlich noch mal ein erhebliches Maß an Anspannung und Herausforderung obendrauf gekommen", sagt Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie im ntv-Podcast.

Das sind die Preistreiber

Unter anderem extrem gestiegene Palettenpreise sorgen für Schweißausbrüche in der Lebensmittelindustrie.
Unter anderem extrem gestiegene Palettenpreise sorgen für Schweißausbrüche in der Lebensmittelindustrie.  © Jens Büttner/ZB/dpa

Für Anspannung sorgen dabei vor allem diese Punkte:

Allein 2021 sind im Vorjahresvergleich die EU-weiten Erdgaskosten der Branche um annähernd 400 Prozent gestiegen. Hinzu kommen Preistreiber, die wohl kaum jemand auf dem Schirm hat.

So ging im gleichen Zeitraum der Preis für Frachtcontainer um 200 Prozent nach oben, Holzpaletten legten etwa um die Hälfte zu. All das zu dem eh schon latenten Fachkräfte- und Brummifahrer-Mangel.

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Das alles klingt besorgniserregend. Steht es wirklich so schlecht um die Versorgungssicherheit in Deutschland? Dafür haben wir uns mit Ophelia Nick (49, Grüne) unterhalten, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium. Sie ist übrigens Gast bei "Fakt ist!" aus Erfurt am Montag - zum Thema "Essen oder Energie".

Das Interview lest Ihr hier direkt im Anschluss:

Im Interview: Ophelia Nick, die Nummer 2 im Landwirtschaftsministerium

Ophelia Nick (49, Grüne) ist die Nummer 2 hinter Minister Cem Özdemir (56).
Ophelia Nick (49, Grüne) ist die Nummer 2 hinter Minister Cem Özdemir (56).  © Holm Helis

TAG24: Frau Nick, müssen wir im nächsten Winter hungern?

Ophelia Nick: Nein, die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln ist gewährleistet! Das liegt am hohen Selbstversorgungsgrad Deutschlands bei bestimmten Gütern wie Weizen, aber auch daran, dass der Agrarhandel mit Russland seit dem Embargo 2014 vor allem im Bereich der Primärproduktion ohnehin sehr eingeschränkt war. Uns wird das Essen nicht ausgehen, das gilt auch für die Europäische Union, da muss sich niemand Sorgen machen.

TAG24: Ihr Chef Cem Özdemir hat kürzlich an die Bevölkerung appelliert, keine Lebensmittel zu hamstern. Die Versorgung sei mittelfristig gesichert - und auf lang?

Nick: Ich rate zur Besonnenheit, Panikmache hilft nun wirklich nicht. Auch wenn einzelne Produkte in manchen Geschäften vergriffen sind, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Wer jetzt übermäßig viel einkauft, verstärkt den Eindruck, dass das Essen knapp wird. Das liegt aber daran, dass die Supermärkte vor Ort keine großen Lager haben und Waren nachordern müssen.

Genau dann entstehen diese Bilder von leeren Regalen und eigentlich kennen wir diesen Hamster-Effekt doch aus der Anfangszeit der Pandemie, Stichwort: Klopapier. Diese Panik ist genau das, was Putin will.

Nick: "Billigpreise rechtfertigen doch nicht, dass der Viehalter kurz vor dem Bankrott steht oder ein Tier unter furchtbaren Bedingungen gehalten wird"

Die Parlamentarische Staatssekretärin nahm sich im Landwirtschaftsministerium Zeit für ein Gespräch mit Politikredakteur Paul Hoffmann (29, r.) und TAG-Reporter Erik Töpfer (22, M.).
Die Parlamentarische Staatssekretärin nahm sich im Landwirtschaftsministerium Zeit für ein Gespräch mit Politikredakteur Paul Hoffmann (29, r.) und TAG-Reporter Erik Töpfer (22, M.).  © Holm Helis

TAG24: Das Preisniveau steigt ja jetzt schon in unermessliche Höhen. Wie teuer werden denn Brot, Brötchen und Co. in absehbarer Zeit?

Nick: Die Preise sind schon vor dem Krieg gestiegen. Das liegt vor allem an den Energiepreisen. Deshalb haben wir ja bereits kurz vor Kriegsausbruch gehandelt und ein erstes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Das zweite kommt nun und natürlich behalten wir die weiteren Entwicklungen sehr genau im Blick.

TAG24: Gilt das auch fürs Fleisch?

Nick: Das hängt auch mit den gestiegenen Energiepreisen zusammen. Allerdings waren die Preise für Fleisch auch vorher extrem niedrig. Klar, es geht darum, dass Lebensmittel bezahlbar sind. Ein System, das jedoch Fleisch zu aller billigsten Preisen anbietet, geht auf Kosten des Tierschutzes, der Umwelt und des Klimas. Und am Ende sind unsere Landwirtinnen und Landwirte die Leidtragenden, weil sie in einem System gefangen sind, in dem sie keine kostendeckenden Preise für ihre Produkte bekommen. Da sollten wir das eine nicht gegen das andere ausspielen.

TAG24: Meinen Sie wirklich, dass es ein Ausspielen ist, wenn jemand mit wenig Geld keinen Zugang mehr zu gewissen Nahrungsmitteln hat?

Nick: Billigpreise rechtfertigen doch nicht, dass der Viehalter kurz vor dem Bankrott steht oder ein Tier unter furchtbaren Bedingungen gehalten wird. Die Faustregel ist doch einfach: Geht es den Bauern besser, geht es auch dem Tier und der Umwelt besser. Und dazu können wir alle durch unser Konsumverhalten beitragen. Im Übrigen wäre es gut, wenn wir alle weniger, dafür aber bewusster Fleisch essen würden. Das sagen alle Gesundheits- und Ernährungsexperten.

Die Zahl ernährungsbedingter Krankheiten ist übrigens auf einem dramatischen Niveau. Wir sollten deshalb mehr über gesunde Ernährung sprechen.

Titelfoto: Arne Dedert/dpa

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