Wird unser Gehirn bei dieser Hitze wirklich zu Brei?

Oxford (England) - Wenn die Temperaturen steigen, haben viele von uns das Gefühl, dass das Gehirn zu Brei wird. Wir fühlen uns benommen, verwirrt und erschöpft. Manche Menschen sind in einer Hitzewelle sogar plötzlich unfähig, Aufgaben zu erledigen, die ihnen normalerweise mit Leichtigkeit gelingen. Warum ist das so?

Um das Gehirn zu schützen, sollte man bei großer Wärme die Mittagssonne meiden.
Um das Gehirn zu schützen, sollte man bei großer Wärme die Mittagssonne meiden.  © 123rf.com/televisor555

Nach dem fast schon kühlen Wochenende ist es am Montag vielerorts in Deutschland wieder deutlich wärmer. Ab Dienstag wird es brutal heiß, der Wetterdienst hat bereits Wetterwarnungen für einzelne Regionen herausgegeben. Wie es bei Euch wird, lest Ihr in unserer Rubrik Wetter.

Wie wirkt sich die Hitze nun auf unser Gehirn aus? "Hitzewellen haben erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit", sagt Dr. Laurence Wainwright, Experte für Umweltgesundheit von der Universität in Oxford.

"Schlüsselbereiche des Gehirns, insbesondere diejenigen, die für kognitive Aufgaben (Wahrnehmung, Denken, Erkennen. Anm. d. Red.) zuständig sind, werden durch Hitze beeinträchtigt."

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Dr. Wainwright warnt auch vor einem erhöhten Risiko von depressiven Symptomen in Zeiten extremer Hitze, vor Angstzuständen und innerer Unruhe sowie daraus folgenden Attacken.

Bestätigt wurde das von Professor Trevor Harley, Psychologe an der schottischen University of Dundee. Harley ist Experte für die Auswirkungen des Wetters auf das menschliche Verhalten.

"Wenn die Außentemperatur über 25 Grad Celsius steigt, hat das Gehirn Mühe, komplexe Aufgaben zu berechnen. Noch besorgniserregender ist das erhöhte Risiko von Selbstmord und Selbstverletzung", erklärt Harley.

Je wärmer es ist, umso unkonzentrierter sind wir

Wer lernt oder geistige Arbeiten erledigt, braucht dazu im wahrsten Sinne des Wortes einen kühlen Kopf.
Wer lernt oder geistige Arbeiten erledigt, braucht dazu im wahrsten Sinne des Wortes einen kühlen Kopf.  © 123rf.com/sumala

Viele Forschungsergebnisse zeigen, dass wichtige Funktionen des Gehirns bei Hitze weniger gut laufen. Dazu gehören auch Gedächtnisleistungen, Lernen und Konzentration.

Laut einem Bericht der Daily Mail erreichten im Jahr 2018 die Temperaturen in der englischen Stadt Cambridge Höchstwerte von über 36 Grad. Forscher der Harvard Universität in Cambridge führten im gleichen Sommer Tests an zwei Gruppen von Studenten durch, von denen eine in einem klimatisierten Gebäude lernte, die andere in einem ohne Klimaanlage.

Die Gruppe, die nicht im gekühlten Raum arbeitete, schnitt in Bezug auf Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und die Geschwindigkeit, mit der sie Informationen verarbeiten konnten, um zehn bis 15 Prozent schlechter ab.

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Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Studien zur Arbeitsproduktivität in amerikanischen und japanischen Büros. Die Forscher fanden heraus, dass die Konzentration nachlässt, wenn die Außentemperatur ihren Höhepunkt erreicht.

Warum ist das so? "Die Körper-Kerntemperatur wird vom Hypothalamus im Zentrum des Gehirns reguliert", erklärte Dr. Eileen Neumann, Neurowissenschaftlerin an der Universität Zürich. Stellt das Gehirn einen Anstieg der Hauttemperatur fest, "sendet es Signale an andere Systeme im Körper, um Maßnahmen zu ergreifen, die die Kerntemperatur stabil halten."

Dann wird etwa Durst ausgelöst, außerdem wird der Blutfluss zur Hautoberfläche gelenkt, um eine Überhitzung der Organe zu verhindern. Weil diese Abläufe viel Energie und Nährstoffe verbrauchen und die Fortbewegung des Blutes im Körperkreislauf beeinträchtigen, reservieren sie viel weniger davon für die komplexen Funktionen im Gehirn.

Die Folge: wir fühlen uns unter anderem schlapp, unkonzentriert und "matschig" im Gehirn.

Vorsicht vor einem Hitzschlag!

Bei Hitze wichtig: Viel Trinken! Flüssigkeitsmangel wirkt sich auf die Leistung unseres Gehirns aus.
Bei Hitze wichtig: Viel Trinken! Flüssigkeitsmangel wirkt sich auf die Leistung unseres Gehirns aus.  © 123rf.com/dedivan1923

Wichtig ist deshalb: Viel trinken! Denn das Gehirn reagiert besonders empfindlich auf Austrocknen. "Schon der geringste Flüssigkeitsmangel kann die Qualität der zwischen den Gehirnzellen gesendeten Signale beeinträchtigen", sagt Dr. Neumann.

Eine weitere Studie, diesmal aus Israel, kam zu dem Schluss, dass Temperaturen über 30 Grad bereits morgens zu Beeinträchtigungen beim Denken führen können, wenn man nicht ausreichend getrunken hat.

Im Extremfall kommt es zum Hitzschlag. Dieser medizinische Notfall tritt ein, wenn der Hypothalamus die Überhitzung des Körpers nicht stoppt und Gehirnzellen absterben können.

Dr. Neumann erklärt, dass dies "nach etwa 30 Minuten bei Temperaturen von 30 bis 40 Grad und ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr passieren" kann. Besonders gefährdet seien Personen mit Vorerkrankungen.

Zu spaßen ist mit einem Hitzschlag nicht: Rund ein Fünftel Betroffenen hat langfristige neurologische Schäden.

Ängste und Depressionen

2020 verglichen Wissenschaftler weltweit mehr als 50 Studien, in denen es auch um die Auswirkungen von Hitzewellen auf psychische Erkrankungen ging. Ergebnis: Steigen die Temperaturen, steigt auch das Risiko für Depressionen und Ängste.

Ärzte in den USA berichteten darüber hinaus, dass an Tagen mit überdurchschnittlich hoher Temperatur eine deutliche Zunahme von Patienten registriert wurde, die wegen Angstzuständen, Belastungsstörungen und Stimmungsproblemen in die Notaufnahme kamen. Und in Mexiko wurden laut Untersuchungen der Universität in Stanford sogar mehr Selbstmorde mit Hitze in Verbindung gebracht.

Einige Wissenschaftler führen das alles auf Reizbarkeit zurück, die durch Schlafstörungen verursacht wird. Denn die erhöhte Sonneneinstrahlung in den Sommermonaten stört unseren Schlaf-Wach-Rhythmus.

Doch auch das heiße Wetter stört unseren Schlaf!

Gute Laune, schlechte Laune

Heißes Wetter stört unseren Serotonin-Gehalt. Das "Wohlfühlhormon" ist eines der wichtigsten Hormone in unserem Körper. Ohne sind wir schlecht gelaunt, ängstlich, schlaflos oder sogar depressiv. Hergestellt wird es im Gehirn. Kommt es zum Serotoninmangel, sinkt unsere Stimmung.

Zwar ist der Hormonspiegel tendenziell höher ist, wenn das Wetter sehr warm ist, doch das bedeutet nicht, dass wir automatisch glücklicher sind. Denn mit der Wärme steigt auch die Anzahl von Proteinen im Körper, die überschüssiges Serotonin sammeln und deaktivieren - was unsere Laune kippt.

Hinzu kommt, dass extreme Hitze einen Cortisolanstieg auslöst. Das Stresshormon kontrolliert die Körpertemperatur. Jedoch für eine Cortisol-Flut wiederum auch zu impulsivem und aggressivem Verhalten. In Interaktion mit dem Serotonin kann das das Risiko für Angst und schlechte Laune erhöhen.

Wer Psychopharmaka einnimmt, sollte deshalb bei großer Hitze umso mehr auf seinen Körper aufpassen. Einige Arzneistoffe, wie Clozapin und Olanzapin, die zur Behandlung von Schizophrenie- und Psychosesymptomen sowie von bipolaren Störungen und Demenz verabreicht werden, haben eine direkte Wirkung auf den Hypothalamus - und können das Gehirn daran hindern, zu erkennen, wenn jemandem zu heiß oder wenn er durstig ist.

Titelfoto: 123rf.com/televisor555

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