"Nicht als Spinner verharmlosen": Marburger Experte warnt vor Reichsbürger-Szene

Marburg - Die Großrazzia gegen eine Gruppe sogenannter Reichsbürger sollte nach Experteneinschätzung Anlass sein, gerade auch in den Städten und Gemeinden den Blick für die Szene zu schärfen.

Reiner Becker, der Leiter des Demokratiezentrums Hessen in Marburg, fordert eine größere Sensibilisierung in den Städten und Gemeinden für die Reichsbürger-Szene. (Archivbild)
Reiner Becker, der Leiter des Demokratiezentrums Hessen in Marburg, fordert eine größere Sensibilisierung in den Städten und Gemeinden für die Reichsbürger-Szene. (Archivbild)  © DPA/Picture Alliance

"Wir brauchen auf kommunaler Ebene eine Sensibilisierung dafür, dass es diese Bewegung gibt, und sollten mit einer gewissen Kraft vor Ort dafür sorgen, dass solche fremd anmutenden Bewegungen sehr ernst genommen und nicht als Spinner verharmlost werden", sagte Reiner Becker, der Leiter des Demokratiezentrums Hessen, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Denn in den kommunalen Verwaltungen fielen Angehörige der Szene oftmals als Erstes auf, etwa wenn sie Behördenbescheide nicht akzeptierten oder einen Personalausweis ablehnten.

Doch nicht nur in den Städten und Gemeinden, sondern generell sollte der Fokus stärker auf Prävention und politische Bildung gerichtet werden, sagte Becker in Marburg. Das Demokratiezentrum ist an der dortigen Universität angesiedelt.

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Die "Reichsbürger"-Gruppe, gegen die sich die Razzia am Mittwoch gerichtet hatte, steht nach Angaben der Bundesanwaltschaft im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, die mit Waffengewalt eine neue Regierung installieren wollte und auch Tote in Kauf genommen hätte. Ein mutmaßlicher Rädelsführer wurde in Frankfurt festgenommen.

Die Reichsbürger-Szene in Hessen besteht aus circa 1000 Personen

Bei den bundesweiten Razzien gegen die Reichsbürger-Szene wurde in Frankfurt ein mutmaßlicher Rädelsführer festgenommen.
Bei den bundesweiten Razzien gegen die Reichsbürger-Szene wurde in Frankfurt ein mutmaßlicher Rädelsführer festgenommen.  © Boris Rössler/dpa

"Dass sich Teile der Szene derart radikalisieren und so etwas wie einen Umsturz wollen und planen - das ist sehr besorgniserregend", sagte Becker weiter. Erklärbar sei das ein Stück weit "durch die teilweisen gesellschaftspolitischen Verwerfungen der letzten Jahre".

Die Szene in Hessen mit etwa 1000 Angehörigen ist Becker zufolge alles andere als klein. Es handele sich eher um ein diffuses, vielfältiges Netzwerk mit vielen Knotenpunkten, die auch in den organisierten Rechtsextremismus hineinreichten oder in die Esoterik-Szene.

Brisant sei, dass die bis dahin relativ isolierten Reichsbürger in den vergangenen Jahren neue "Gelegenheitsräume" gefunden hätten.

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Als Beispiel nannte der Experte, dass Anhänger der Szene bei manchen Querdenker-Demonstrationen in Hessen nicht nur wie selbstverständlich mitmarschiert seien, sondern auch auf Bühnen gestanden hätten.

Titelfoto: Bild-Montage: Boris Rössler/dpa, dpa/Picture Alliance

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