Kleiner Hund flüchtete aus der Ukraine: So rührend kümmert man sich in Deutschland um ihn

Gießen - "Elli" im Krieg zurücklassen, das war keine Option für ein Ehepaar aus der Ukraine. Der kleine Hund sei doch Familie. Also kam "Elli" mit auf die Flucht nach Deutschland und sitzt nun etwas ängstlich, aber kerngesund auf einem Behandlungstisch.

Zwei Frauen warten mit ihren Hunden vor der tierärztlichen Ambulanz auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) in Gießen.
Zwei Frauen warten mit ihren Hunden vor der tierärztlichen Ambulanz auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) in Gießen.  © DPA/Arne Dedert

"Es ist alles in Ordnung", beruhigt der untersuchende Tierarzt Michael Lierz Herrchen und Frauchen. Auch der Impfstatus und die Papiere des Hunds sind einwandfrei. Die drei bekommen noch einen Sack Futter mit und können dann die tierärztliche Ambulanz, die vor kurzem auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen eröffnet hat, wieder verlassen.

Die Sprechstunde ist ein ehrenamtliches Angebot des Fachbereichs Veterinärmedizin der Uni Gießen und es gibt sie zum ersten Mal in der Einrichtung. Dass Flüchtlinge ihre Haustiere mitbringen, sei eine völlig neue Situation, sagt Manfred Becker vom Regierungspräsidium Gießen (RP), das für die Erstaufnahmeeinrichtung zuständig ist.

"Das hatten wir vorher noch nie." Was in der Regel auch an den langen Fluchtwegen von Asylsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder Somalia liege. Als dann die ersten Ukrainer mit ihren Tieren ankamen, sei klar gewesen: "Wir können sie ihnen nicht wegnehmen, weil das das seelische Leid der Flüchtlinge nochmals vergrößert hätte."

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Haustiere dürfen unter normalen Umständen nicht ohne weiteres aus der Ukraine in die EU eingeführt werden. Unter anderem brauchen sie eine Registrierung, eine Tollwutimpfung sowie entsprechende Dokumente darüber - und müssten für eine gewisse Zeit in Quarantäne, sollte das nicht vorhanden sein.

Sondergenehmigung wegen Kriegsgeschehen: Halter können ohne Vorab-Genehmigung einreisen

Noch etwas unsicher, aber wohlauf tappst Hundemädchen "Elli" auf dem Behandlungstisch herum.
Noch etwas unsicher, aber wohlauf tappst Hundemädchen "Elli" auf dem Behandlungstisch herum.  © DPA/Arne Dedert

Nun herrscht Krieg und es gibt unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend erleichterte Bedingungen für die Einreise aus der Ukraine, worauf das Bundesagrarministerium vor einigen Wochen hingewiesen hat. So können etwa die Halter mit ihren Tieren einreisen, ohne vorab eine Genehmigung beantragen zu müssen.

"Wir haben gedacht, dass wir als Fachbereich Veterinärmedizin konkret helfen können", sagt Prof. Lierz von der Uni Gießen und Initiator der tierärztlichen Ambulanz. "Wir besitzen die Kernkompetenz, wir haben genug Tierärzte, wir haben Erfahrung mit der Unterstützung im Gesundheitswesen. Und wir sitzen in Gießen und haben die Nähe zur Erstaufnahmeeinrichtung."

Er habe Kontakt zum Veterinäramt und zum RP Gießen aufgenommen und gemeinsam sei schnell ein Weg gefunden worden, die Idee einer Ambulanz in der Erstaufnahmeeinrichtung umzusetzen. "Das ist Hand in Hand gelaufen. Innerhalb einer Woche hat alles gestanden und wir konnten loslegen."

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Seit Anfang April gibt es die tägliche Sprechstunde. Meist kümmern sich die Veterinäre, unterstützt von Studierenden, um Hunde, manchmal um Katzen, ganz selten um andere Heimtiere. "Die Tiere sind im weitaus überwiegenden Teil in einem super Zustand", berichtet Lierz.

Helfer der Uni Gießen wollten Unterbringung in Quarantäne unbedingt verhindern

In den Sprechstunden der Uni Gießen werden auch die Dokumente der Vierbeiner kontrolliert.
In den Sprechstunden der Uni Gießen werden auch die Dokumente der Vierbeiner kontrolliert.  © DPA/Arne Dedert

"Es sind Haustiere, die bislang ja auch immer gut versorgt worden sind. Das ist auch der Grund, warum von dieser extremen Quarantänepflicht abgewichen wird: Es sind in der Regel Haustiere, bei denen keine Tollwutgefahr vorherrscht."

In der Sprechstunde geht es darum, die Vierbeiner zu untersuchen und falls nötig zu behandeln, sie zu registrieren, wenn sie es noch nicht sind, und eine eventuell fehlende Impfung nachzuholen - damit die Geflüchteten ihre Lieblinge bei sich behalten können.

"Wir wollten unbedingt verhindern, dass nach diesen traumatisierenden Ereignissen die Tiere in ein Heim oder eine Quarantänestation müssen und dann erst einmal weg sind. Es hat ja auch einen Grund, dass die Menschen sie mitnehmen. Sie nehmen sie mit, weil sie Familienmitglieder sind", betont Lierz.

"Beziehungen zu den eigenen Tieren werden durch Kriege nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil haben Tiere eine besondere Funktion des Schutzes und des Trostes", sagt die Kasseler Historikerin Mieke Roscher, die zu Mensch-Tier-Verhältnissen forscht.

Das sei nicht neu, im Zweiten Weltkrieg etwa seien Vierbeiner mit in die Luftschutzbunker genommen worden. Für Fliehende können die eigenen Tiere noch weitere Funktionen haben.

Tiere bilden für Geflüchtete eine konstante und trostspendende Verbindung zur Heimat

Kleiner Piks, großer Aufschrei: Welpe "Boni" muss sich einer Impfung durch Tierarzt Michael Liertz unterziehen.
Kleiner Piks, großer Aufschrei: Welpe "Boni" muss sich einer Impfung durch Tierarzt Michael Liertz unterziehen.  © DPA/Arne Dedert

"Wer auf der Flucht ist, verlässt alles, was ihm bekannt ist, er muss alles hinter sich lassen. Ein Tier bildet dann eine Verbindung zur Heimat oder zu dem, was zurückgelassen werden musste. Gleichzeitig haben Tiere einen Trostaspekt." Psychologische Studien hätten gezeigt, welche wichtige Rolle sie auch bei der Traumabewältigung spielen können.

Heimtiere sind für viele mehr als einfach Hund oder Katze. "Sie sind als Freunde mit dabei", sagt Roscher weiter. "Und die lässt man nicht einfach zurück." Die Wissenschaftlerin sieht dabei noch einen weiteren Aspekt: "Indem man sein Tier nicht zurücklässt, vergewissert man sich in gewisser Weise auch seiner eigenen Humanität."

Die Besitzer von "Elli" waren mit ihrem Liebling drei Tage mit dem Bus unterwegs, wie sie erzählen. Die Fahrt sei schwer und stressig gewesen, aber nun sei es überstanden. Eine andere Ukrainerin hat Hund "Luschik" dabei. Sie hätte sich nie ohne ihn auf den Weg gemacht, sagt die 39-Jährige. Sie habe alles dabei gehabt, ihr Hund sei geimpft und gechippt.

Der kleine "Boni" dagegen braucht das Komplettprogramm, wie Tierarzt Lierz bei der Untersuchung des winzigen Welpen feststellt. Dem behagt es gar nicht, einen Mikrochip für seine Registrierung verpasst zu bekommen und dazu noch mehrere Impfungen. Protestknurren, zappeln, aber am Ende lässt sich die Handvoll Hund mit Streicheleinheiten trösten.

Er hat noch eine große Aufgabe vor sich, wie der 45 Jahre alte Besitzer aus Cherson erzählt. Er wolle zu seiner Familie, die bereits in Deutschland sei. Sein Sohn vermisse "Boni". Er bringe den Welpen als Überraschung mit.

Titelfoto: DPA/Arne Dedert

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