Europas bester Spurenleser kann alle Tierzeichen deuten: Dieser Mann ist immer auf der richtigen Spur

Neustadt/Spree - Wildtiere sind scheu. Einblicke in ihr Leben gewähren sie Menschen nur selten. Aber sie hinterlassen Spuren! Joscha Grolms (40) ist Europas bester Fährtenleser. Er bestimmt nicht nur die Spuren, sondern interpretiert ihre Geschichte. Vielmals im Jahr kommt Grolms in die Lausitz, um dort sein Wissen an Menschen aus halb Europa weiterzugeben.

Fährtenlesen hat immer etwas von einem Geheimnis: Joscha Grolms (40) hat die Spur eines Fischotters abgesteckt. Seine frischen Erkenntnisse über die lokale Tierwelt teilt er den örtlichen Naturschutzbeauftragten mit.
Fährtenlesen hat immer etwas von einem Geheimnis: Joscha Grolms (40) hat die Spur eines Fischotters abgesteckt. Seine frischen Erkenntnisse über die lokale Tierwelt teilt er den örtlichen Naturschutzbeauftragten mit.  © Sebastian Schultz

"Hier in der Lausitz finden wir in der Natur eine ganz bemerkenswerte, einzigartige Artenvielfalt. Das macht das Fährtenlesen hier stets aufs Neue zu einem faszinierenden Erlebnis", sagt Joscha Grolms fast schwärmerisch, während er sich zielstrebig einem abgelassenen Teich in der Nähe der Ortschaft Neustadt/Spree nähert.

Trockenes Schilf säumt den Teich. Grolms nimmt einen Trampelpfad. Bevor er das Schilf verlässt und den braunen, satten Teichboden betritt, hält er lange inne und schärft seine Sinne. Wo steht die Sonne? Woher kommt der Wind? Was gibt es hier?

"Je mehr Informationen ich durch Beobachten sammeln kann, desto näher komme ich meinem Ziel, durch das Spurenlesen Tiere zu finden", erklärt der Fährtenleser. Dann läuft er ein paar Meter und stößt mit seiner Schuhspitze in den Boden, um anhand des Auswurfs dessen Beschaffenheit und Struktur zu ermitteln.

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"Nun kalibriere ich meine Augen", sagt Grolms und geht in die Knie. Während sein Blick auf die Erde geheftet ist, berühren seine Hände den Boden und erspüren, wie warm und feucht der ist.

Mit einem Maßband werden die Trittsiegel und Spurbilder vermessen. Daraus lassen sich Informationen über die Gangart des Tieres, sein Alter und eventuell Geschlecht ableiten.
Mit einem Maßband werden die Trittsiegel und Spurbilder vermessen. Daraus lassen sich Informationen über die Gangart des Tieres, sein Alter und eventuell Geschlecht ableiten.  © Sebastian Schultz
Die Trittsiegel von Waschbären sind leicht von anderen Tieren zu unterscheiden, denn die Tiere haben fünf fingerähnliche Zehen.
Die Trittsiegel von Waschbären sind leicht von anderen Tieren zu unterscheiden, denn die Tiere haben fünf fingerähnliche Zehen.  © Sebastian Schultz
Der Waschbär ist ursprünglich in Nord- und Mittelamerika zu Hause. Hierzulande sieht man den Kleinbären nicht gern, denn er räubert in den Nestern von Vögeln.
Der Waschbär ist ursprünglich in Nord- und Mittelamerika zu Hause. Hierzulande sieht man den Kleinbären nicht gern, denn er räubert in den Nestern von Vögeln.  © DPA

Sein Weg war dem professionellen Fährtenleser nicht vorgezeichnet

In diesem abgelassenen Teich beim Dorf Drehna ging der Fährtenleser auf Spurensuche. Die artenreiche Lausitz ist für ihn ein Eldorado. Regelmäßig gibt er dort Kurse, um sein Wissen weiterzugeben. Ein dreitägiger Basiskurs im Fährtenlesen kostet bei "Wildniswissen" 250 Euro (plus Kosten für Übernachtung/Verpflegung).
In diesem abgelassenen Teich beim Dorf Drehna ging der Fährtenleser auf Spurensuche. Die artenreiche Lausitz ist für ihn ein Eldorado. Regelmäßig gibt er dort Kurse, um sein Wissen weiterzugeben. Ein dreitägiger Basiskurs im Fährtenlesen kostet bei "Wildniswissen" 250 Euro (plus Kosten für Übernachtung/Verpflegung).  © Montage: Sebastian Schultz

Joscha Grolms gehört selbst zu einer besonderen Spezies. Nur eine Handvoll Menschen widmen sich in Deutschland professionell dem Fährtenlesen. Sie werden inzwischen von staatlichen Stellen und der Polizei angefragt, wenn es um Wolfsnachweise, Gesetzesübertretungen bei der Jagd oder Nachweisen von Tieren geht.

"Spurenlesen ist kostengünstiger als DNA-Tests oder zeitaufwändiges Monitoring", sagt Grolms.

Seine Haupteinkünfte erzielt er durch sein Engagement in der Wildnisschule "Wildniswissen". Er gibt dort Kurse, die Behörden für ihre Mitarbeiter sowie interessierte Laien buchen, die der Natur auf die Spur kommen wollen. Joscha Grolms freut sich: "Männer und Frauen aller Alters- und Berufsgruppen wollen heute das Fährtenlesen wieder lernen."

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Grolms Karriere war zu keiner Zeit vorgezeichnet. Er wuchs als Stadtkind in Hildesheim auf. Sein Interesse für die sogenannten Trittsiegel von Keiler, Hirsch & Co. erwachte nach dem Abitur bei einem USA-Aufenthalt. Dort lernte er indigene Ureinwohner kennen und fing Feuer fürs Fährtenlesen.

Grolms ging bei Könnern des Fachs in Nordamerika und Afrika in die "Lehre" (in Südafrika ist der Fährtenleser ein anerkannter Ausbildungsberuf). Zeit für ein "ordentliches" Studium blieb dabei nicht.

Sein umfangreiches Wissen um Biologie, Zoologie, Ökologie und Geologie eignete er sich selbst an. Heute lebt Joscha Grolms mit seiner Partnerin Laura Gärtner am Rand des Sollings im Weserbergland.

Joscha Grolms kennt alle Zeichen, die ein Tier hinterlässt

Stopp! Fährtenleser sprechen bei der Arbeit kaum. Sie verständigen sich vor allem mit Handzeichen.
Stopp! Fährtenleser sprechen bei der Arbeit kaum. Sie verständigen sich vor allem mit Handzeichen.  © Sebastian Schultz

"Mit Fährten verbinde ich das Erleben von Geschichten und das Verstehen der Natur. Es ist eine körperlich, sinnliche Erfahrung unter freiem Himmel", sagt Joscha Grolms. Geduld und das "Zuhören"-Können zählen dabei zu den zentralen Fähigkeiten.

Der Wildwissen-Lehrer: "Ich muss das den modernen Menschen gar nicht unbedingt beibringen. Es ist eher eine Art Staub abklopfen."

Er sagt weiter: "Nach einem Wochenende Seminar höre ich immer wieder von Kursteilnehmern, dass das fokussierte Spurenlesen sie zur Ruhe gebracht hat. Viele macht es regelrecht süchtig. Manche vergleichen das gar mit Meditation."

Joscha Grolms nennt alles Zeichen, was das Tier hinterlässt. Kot, Haare, Bauten, Nester, Fraßspuren: Das alles nutzt er zum Interpretieren einer Tiergeschichte. Mit Blick auf die frisch abgesteckte und vermessene Spur des Fischotters erklärt er: "Hier lief das Tier langsam und entspannt. Ab hier machte es große Sprünge." Spürte der Otter Gefahr? Oder machte er vergnügt Luftsprünge? "Wir wissen es nicht. Aus der rein menschlichen Perspektive kann man Verhalten von Tieren kaum nachvollziehen", so der Fährtenleser.

Apropos Perspektive: Die intensive Beschäftigung mit Fährten und Zeichen und der Kontakt zu Ur-Völkern haben im Leben von Grolms und seiner Partnerin tiefe Spuren hinterlassen.

Der Niedersachse: "Ich habe erkannt, dass indigenes Wissen auch für unsere westliche Zivilisation wertvoll ist. Wir machen uns beständig bewusster, welche persönliche Rolle wir in der Umwelt spielen und welche Spuren wir auf der Erde hinterlassen wollen."

Die "Bibel" des Fährtenlesens

Das Trittsiegel des Fischotters (Lutra lutra) in der grafischen Darstellung im Bestimmungsbuch von Joscha Grolms.
Das Trittsiegel des Fischotters (Lutra lutra) in der grafischen Darstellung im Bestimmungsbuch von Joscha Grolms.  © Montage: Sebastian Schultz, PR

Joscha Grolms hat die europäische "Bibel" des Fährtenlesens verfasst. Die 2,5 Kilogramm schwere Enzyklopädie umfasst 816 Seiten sowie mehr als 1600 Fotos und Zeichnungen.

Acht Jahre hat der international anerkannte Experte an dem Werk gearbeitet. Das Buch erschien im Ulmer Eugen Verlag und kostet 69,95 Euro.

Titelfoto: Montage: Sebastian Schultz

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