Ein Professor aus Sachsen will den Ur-Apfel retten
Zittau - Er ist die Mutter von Pink Lady, Jonagold und Gala - der Asiatische Wildapfel. Sein Genmaterial steckt in unseren heimischen Apfelsorten und könnte sie heute durch Kreuzungen robuster gegen den Klimawandel machen.
Alles in Kürze
- Professor aus Sachsen will Ur-Apfel retten.
- Ur-Apfel ist gefährdete Art in Asien.
- Schutz durch Nutzung soll helfen.
- Genpool des Wildapfels bleibt erhalten.
- Schnaps soll helfen, die Art zu schützen.

Das Problem: An seinen Geburtsorten in Asien ist der Wildapfel inzwischen eine gefährdete Art.
Ein Professor aus Zittau hat die Urform jetzt nicht nur zum Nachzüchten nach Deutschland geholt, sondern er will sie auch vor Ort mit einem cleveren Wirtschaftsplan retten: Schutz durch Nutzung.
Auf der Spur des Ur-Apfels

Prof. Matthias Kramer (66) kam dem Ur-Apfel bei einem Auslandseinsatz in Kasachstan auf die Spur: "Ich lehrte dort in den Jahren 2008/09 als Wissenschaftsdozent an der deutsch-kasachischen Universität von Almaty.
Es ging um den Export deutscher Studiengänge mit Standards wie Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten." Denn darauf legte Kasachstan als eines der erdöl-, erdgas- und kohlereichsten Länder der Welt bislang kaum Wert.
Weil Kramer Trekkingtouren liebt, machte er sich 2009 neugierig ins Tienschangebirge zwischen Kasachstan und Kirgisistan auf und kam aus dem Staunen nicht heraus: "Dort wachsen Apfelbäume wehrhaft bis in Höhen von 2000 Metern!"
Er fand heraus: Es handelt sich um den widerstandsfähigen Asiatischen Wildapfel, dem selbst die raue Natur in Gipfellagen nichts anhaben kann.

Der Malus sieversii ist bedroht

Ohne es zu wissen, war Kramer bei seinen Gebirgstouren den Spuren eines Kollegen gefolgt. Denn über 200 Jahre früher stromerte schon einmal ein Wissenschaftler durch die Apfelhänge des Tienschans.
Der deutsche Biologe Johann Sievers suchte dort eigentlich nach der Rhabarber-Stammpflanze, brachte aber im 18. Jahrhundert stattdessen den Wildapfel nach Europa. Die Fundstücke mit den nur golfballgroßen Früchten wurden später sogar nach ihm benannt: Malus sieversii - Asiatischer Wildapfel.
Jetzt ist der Malus sieversii bedroht, steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Denn beim Schutz ihrer robusten Apfelbäume sind die Kirgisen auf dem Holzweg.
"Familien gehen im Sommer in die Berge und ernten die Äpfel, um sie als Trockenobst zu verkaufen. Ihre Haustiere wie Pferde, Ziegen und Schafe knabbern die Rinde ab. Diese Übernutzung der Bestände verhindert die Verjüngung der Wälder", warnt Kramer.

Raubbau gefährdet die geschützten Apfel-Urwälder

Außerdem würde das Wurzelholz gern verwendet und gerodete Flächen als Bauland erschlossen. Die Folge: Der ungebremste Raubbau gefährdet die geschützten Apfel-Urwälder.
Um das zu verhindern und schon die Kinder für eine intakte Umwelt zu sensibilisieren, gründete Kramer "Institute zum Schutz der Biodiversität und Ökosysteme" - vor zwei Jahren zuerst in Kasachstan und Kirgisistan, zuletzt im Mai ein drittes in Tadschikistan und ein viertes in Usbekistan.
"Wir haben Pflanzaktionen durchgeführt. Bei einem Kunstworkshop in Almaty malten Kinder Äpfel und Bäume als Symbol für neuen Wohlstand."
Denn Kramer schwebt mit dem Ur-Apfel ein kleines Konjunkturprogramm für die Regionen Mittelasiens vor.
"Weil sich aus den Äpfeln vor Ort auch Spirituosen herstellen und verkaufen lassen, würde niemand mehr Raubbau mit dem Obst als wertvollen Rohstoff betreiben", sagt er.

"Schutz durch Nutzung", nennt er sein Konzept. Zudem bliebe so der Genpool des Wildapfels erhalten.
"Dafür müssen jetzt weitere Institute in Turkmenistan, der Mongolei und eigentlich auch in Afghanistan aufgebaut werden. Damit würde Wissenschaftstransfer gefördert und gleichzeitig Doppelforschung vermieden."
Indem er eine Wertschöpfungskette direkt an den Stammplätzen der Apfelbäume aufbauen will, macht Kramer seiner einstigen Professur für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeitsmanagement alle Ehre. Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm.
Alte Gene sollen in neuen Sorten reaktiviert werden
Dank Kramers Äpfel-Enthusiasmus wird auch der Genpool des Ur-Apfels behütet. "Mütterlicherseits ist er der Vorfahre unserer heutigen Kulturäpfel", erklärt Prof. Dr. Henryk Flachowsky (54), Leiter des Instituts für Züchtungsforschung an Obst in Dresden-Pillnitz. In den Hochlagen des Tienschans hatte sich der Malus sieversii in Tausenden von Jahren aus Rosengewächsen entwickelt.
"Der Apfel kam über Handelsrouten wie die Seidenstraße mit den Römern in unsere Region." Hier haben sich die zwischen 2 und 6 Zentimeter großen Äpfel nicht nur untereinander, sondern auch mit dem heimischen Wildapfel gekreuzt und wurden zu Exemplaren von bis zu 7 Zentimeter Durchmesser herangezüchtet - saftig-süß sowie ansprechend in Form und Farbe.

Doch mit den leckeren und ansehnlichen Eigenschaften verloren die Äpfel zunehmend auch Gene für Widerstandskraft gegen die raue Natur ihrer alten Heimat. "Genau solche Gene wollen wir durch Einkreuzen mit dem Asiatischen Wildapfel wieder aktivieren", sagt Flachowsky. Denn die Ursprungstypen besitzen Fähigkeiten, die im Klimawandel hiesiger Breiten entscheidend sein können: Widerstandskraft gegen Trockenstress, Frost und Schädlinge wie Pilze oder Bakterien.
Flachowsky war mehrfach mit Kramer in Zentralasien. Die nächste Dienstreise im Namen der genetischen Vielfalt nach Kasachstan steht im November im Kalender. Doch bevor dann eine neu gezüchtete resistentere Apfelsorte auf den Markt kommt, dauert es noch mindestens 30 Jahre Züchtung.

Schnaps soll helfen, die gefährdete Art zu schützen
Das Probelabor für einen womöglich künftigen Nationalschnaps für Kasachstan, Kirgisistan oder Tadschikistan steht in Sachsen. "Vor zwei Jahren haben wir mit einem 12-Tonnen-Laster eine Fuhre Äpfel nach Sachsen geholt", sagt Prof. Kramer. Die stammten nicht aus Kasachstan ("weil der geschützte Asiatische Wildapfel nicht außer Landes gebracht werden darf"), sondern rund 280 Kilometer Luftlinie weiter aus der Gegend um Bischkek, wo der sehr ähnliche kirgisische Wildapfel wächst.
Der Obstlaster fuhr direkt zur Sächsischen Spirituosenmanufaktur von Martin Wagner (42) nach Schirgiswalde-Kirschau. Er war vor 15 Jahren Student bei Prof. Kramer: "Ich habe die kirgisischen Wildäpfel eingemeischt, vergoren, destilliert und zwei Jahre lang teils in Eichenfässern gelagert."
Die Ausbeute ist gering: Aus 100 Kilo Wildäpfeln ließen sich etwa 2,3 Liter reinen Alkohols gewinnen, aus dem etwa sechs Liter trinkfertiger Obstbrand entstehen. Das Destillat ist jetzt zu einem abfüllbereiten Apfelbrand gereift. Wagner: "Er hat unsere Erwartungen erfüllt, schmeckt durch einen erhöhten Bitteranteil herb, aber trotzdem mild und fruchtig."

Inzwischen gibt es auch einen Likör aus sonnengetrockneten Äpfeln und einen Gin (42 Vol-% Alkohol). Wagner: "Die 0,5-Liter-Flasche 'Kirgisischer Wildapfel-Gin' wird jetzt für knapp 40 Euro angeboten, die Etiketten sind gerade fertig geworden."
Kommen Käufer auf den Geschmack, sollen künftig Brennereien in den Tienschan-Regionen entstehen, um die Spirituosen an Ort und Stelle herstellen zu können. Genau wie geplant. "Damit bleiben die Gewinne im Herstellerland", freut sich Kramer.
Titelfoto: Fotomontage: Thomas Türpe