Anklage gegen Ex-Stasi-Mitarbeiter! Chef von Mord-Opfer: "Schockierend, dass es so lange gedauert hat"

Leipzig/Berlin - Czeslaw Kukuczka (†38) wollte am 29. März 1974 über die innerdeutsche Grenze am S-Bahnhof Berlin-Friedrichsstraße in den Westen fliehen - und wurde von hinten erschossen. Am heutigen Donnerstag startete der Mordprozess gegen einen Ex-Stasi-Mitarbeiter (80) aus Leipzig. MDR Exakt hat im Vorfeld mit dem früheren Chef des Opfers gesprochen.

Spielte laut seinem früheren Chef gut Schach: das Opfer Czeslaw Kukuczka (†38, l.).
Spielte laut seinem früheren Chef gut Schach: das Opfer Czeslaw Kukuczka (†38, l.).  © INR

Kukuczka arbeitete als Unterbrandmeister bei der Feuerwehr in Bielsko-Biala. Sein ehemaliger Vorgesetzter Zbigniew Petziol erinnert sich: "Er fuhr zu einem Wochenend-Ausflug weg und er kam zum Dienst nicht mehr zurück." Doch dass etwas vorgefallen sein könnte, habe er nicht vermutet.

Am 3. März habe er wegen seines fehlenden Mitarbeiters die Polizei informiert - Wochen danach sei er zum Gespräch geladen worden. Kurz davor sei im Nebenraum ein Fax gekommen.

"Früher waren die Faxgeräte immer sehr laut und der Mann ging raus, um das Fax zu holen. Ich gebe es zu, ich war neugierig, ich dachte schon, dass es um Kukuczka geht, und ich schaute mir deshalb die Papiere an", so der damalige Chef. "Es fiel mir gleich ein Satz auf: 'Umgekommen beim Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden.'"

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Die Feuerwehrmänner scheinen nicht nur Kollegen gewesen zu sein - so habe Petziol dem Nachrichtenmagazin erzählt, dass sein Mitarbeiter ein guter Schachspieler gewesen sei, die beiden hätten oft gemeinsam gespielt.

Früher Chef: "Abscheuliche Tat angemessen bestrafen"

Der Angeklagte Manfred N. (80) zum Prozessauftakt in Berlin.
Der Angeklagte Manfred N. (80) zum Prozessauftakt in Berlin.  © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Dass der Mord nun 50 Jahre später verhandelt wird, ruft bei Petziol offenbar gemischte Gefühle hervor: "Ehrlich gesagt finde ich es schockierend, dass es so lange gedauert hat, bis die Wahrheit entdeckt und der Täter gefunden wurde. Andererseits ist es gut, dass die Mühlen der Gerechtigkeit langsam, aber gründlich mahlen, um diese abscheuliche Tat angemessen zu bestrafen."

Zum möglichen Ablauf der Tat kommt Historiker Stefan Appelius (60) zu Wort: "Es erhält der Pole nach Augenzeugenberichten aus sehr kurzer Entfernung vom Rücken her einen Schuss in den Bauch, sackt zusammen und wird sofort weggeschleppt."

Zuvor habe Kukuczka in der polnischen Botschaft seine Ausreise mit einer Bombendrohung erpresst. Es sei beschlossen worden, "dass die betreffende Person außerhalb des Botschaftsgebäudes unschädlich zu machen sei, und zwar sei ein Waffengebrauch dafür durchaus mit möglich", so Appelius.

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Nach dem Schuss habe der 38-Jährige noch gelebt. "Er wird mit schweren Verletzungen in das Haftkrankenhaus nach Berlin Hohenschönhausen transportiert, wo er dann seinen Verletzungen erliegt und verstirbt."

Historiker Appelius: "Tötungsabsicht hier ganz offensichtlich"

Filip Ganczak (43), Mitarbeiter des Instituts für Nationales Gedenken in Polen.
Filip Ganczak (43), Mitarbeiter des Instituts für Nationales Gedenken in Polen.  © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Appelius schlussfolgert: "Hätte man ihn retten wollen, hätte man ihn in die Charité gefahren." Denn das Krankenhaus liegt näher. "Der zweite Punkt ist, hätte man ihn nur unschädlich machen wollen, im Sinne von: 'Er kann nicht in den Westen und wir gehen kein Risiko mehr ein', hätte man ihm keinen Bauchschuss verpasst aus nächster Nähe. Also für meine Begriffe ist die Tötungsabsicht hier ganz offensichtlich, gerade in diesem Umstand wird sie ganz explizit deutlich."

Übrigens: Eine Bombe habe Kukuczka laut Untersuchungen des Warschauer Historikers Filip Ganczak (43) nicht dabeigehabt - sondern lediglich eine zerbrochene Flasche, einen Rasierer und private Dinge.

Doch dann sei in Stasi-Berichten plötzlich von einer deutschen Pistole die Rede gewesen. "Erst einige Tage später beginnt man diese Geschichte in den Berichten zu erzählen und so sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Geschichte erst einige Zeit danach erfunden wurde."

Für den Prozess am Landgericht Berlin sind zunächst sieben Verhandlungstermine angesetzt.

Titelfoto: Montage: INR; Sebastian Christoph Gollnow/dpa

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