Stuttgart - Es ist das Schlimmste, was einem Menschen wohl passieren kann: Fast ein halbes Jahr lag eine junge Frau tot in ihrer Wohnung, bevor ihre Leiche während eines Feuerwehreinsatzes zufällig entdeckt wird. War es Mord oder Suizid?
Doch nicht nur dieser Frage müssen die sichtlich erschütterten Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller, 70) und Sebastian Bootz (Felix Klare, 47) im "Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen" (angelehnt an einen Song von Gerhard Gundermann, †43) nachgehen, sondern auch der äußerst traurigen Frage: Warum hat niemand Nelly Schlüter (Bayan Layla, 29) vermisst?
Die Eltern, die einst beste Freundin, Ex-Freunde, die Nachbarn: Keine Menschenseele hat bemerkt, dass das "anhängliche" und "fordernde" Mädchen mit den großen Augen, das sich gern in Traumwelten flüchtete um dem anonymen Großstadt-Dschungel zu entkommen, sich einsam und verloren gefühlt hat.
Lohnt sich das Einschalten beim Stuttgarter Tatort?
Unbedingt! Regisseurin Milena Aboyan (33) liefert mit dem neuesten Krimi aus Stuttgart zwar keinen "Tatort" im klassischen Sinne, denn diesmal wird mehr erzählt als ermittelt.
Doch das macht den Film, der ein sehr aktuelles Thema aufgreift, auch so besonders. "Einsamkeit ist kein Privileg der Alten mehr", stellt Bootz in einem der Gespräche traurig fest und trifft damit in der heutigen Zeit einen Nerv.
Denn wie Nelly geht es vielen: Je nach Altersgruppe fühlt sich ein Drittel bis knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen in Deutschland einsam oder stark einsam. Besonders betroffen sind 19- bis 22-Jährige und Menschen mit Migrationsgeschichte, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt.
Generell ist das sanfte Spiel der beiden Kommissare, die ruhig und konzentriert, aber sehr eindringlich die möglichen Verdächtigen durchgehen, passend zum Ton des Krimis.
Um dem Zuschauer trotzdem ein bisschen "Tatort" zu liefern, hat Drehbuchautorin Katrin Bühlig (58) einen zweiten Erzählstrang eingewebt, mit dem sie deutlich machen will: Es gibt leider auch Menschen, die mit der Einsamkeit Geschäfte machen.