Bahn-Chaos oder nicht? So lief der erste Tag mit dem 9-Euro-Ticket in Chemnitz
Chemnitz - Chaos oder nicht - über das 9-Euro-Ticket wird seit Wochen hitzig diskutiert. Seit Mittwoch kann man es nutzen. Wie lief der Auftakt in und um Chemnitz?
In den Chemnitzer Bussen und Bahnen ging es zum Berufsverkehr am Morgen gemäßigt zu. Das Sicherheitspersonal der City-Bahn zog am Mittwochvormittag ein erstes Fazit, ein Mitarbeiter zeigte sich entspannt: "Der Berufsverkehr war genauso voll wie immer. Stressig wird es wahrscheinlich erst am Wochenende, wenn die ersten Leute mit Bus und Bahn zu Ausflugszielen fahren."
Sein Kollege berichtet von einem besonderen Vorfall: "Ich hab heute sogar schon Schwarzfahrer erwischt! Damit hab ich nicht gerechnet. Die Leute können für 9 Euro den ganzen Monat fahren und riskieren dann trotzdem eine Strafe."
Auf Gleis 12 am Chemnitzer Hauptbahnhof sah es 7.30 Uhr auch nicht voller aus als sonst. Mit der Regionalbahn Richtung Dresden wollte auch Ulrike Höverkamp aus Chemnitz (47) mit ihrer Tochter reisen: "Ich habe mir das 9-Euro-Ticket auch für solche Fahrten geholt, aber hauptsächlich wegen des Stadtverkehrs", sagt Ulrike Höverkamp.
Sie findet die Idee gut, hat jedoch Bedenken, wer den ganzen Aufwand bezahlen soll. "Man kriegt ja nichts geschenkt."
Verkehrsbetriebe verzeichnen keinen großen Ansturm
Jan Werner (49) aus Frankenstein fährt wöchentlich einmal nach Freiberg, um dort einzukaufen, ist aber auch oft mit dem Fahrrad unterwegs. Mit seiner ersten Fahrt per 9-Euro-Ticket war er zufrieden: "Ich denke, dass das funktioniert."
Keno Roy (30) sieht es skeptischer. Der Lehramtsstudent in Dresden findet es einerseits gut, dass er zum Beispiel am kommenden Pfingstwochenende vergünstigt in seine ostfriesische Heimat fahren kann. Auf der anderen Seite bezweifelt er die Wirksamkeit des 9-Euro-Tickets: "In den ländlichen Regionen ist der Nahverkehr sehr schlecht ausgebaut. Daher dürften zum Beispiel Schichtarbeiter weiter mit dem Auto pendeln."
Von einem Ansturm war auch bei der Mitteldeutschen Regiobahn (MRB) keine Rede: "Die Pendlerzüge heute früh verzeichneten eine leicht erhöhte Auslastung. Aktuell nehmen die Fahrgastzahlen zu, auch weil viele Gruppen reisen – vornehmlich Schulklassen."
Laut Juliane Kirste (37) von der Chemnitzer Verkehrs-AG (CVAG) war es "hinsichtlich des Fahrgastaufkommens ein relativ normaler Tag". Friedbert Straube, Geschäftsführer der City-Bahn, erklärte: "Insgesamt hält sich das erhöhte Fahrgastaufkommen in Grenzen."
Genau hinschauen! Hier gilt das neue Ticket nicht
Achtung, Kostenfalle! Das neue 9-Euro-Ticket gilt nicht auf allen Strecken, bei denen auf den ersten Blick "Nahverkehr" draufsteht.
Ein Beispiel ist die Verbindung von Chemnitz über Dresden nach Warnemünde, die ab dem 12. Juni angeboten wird und die sowohl eine Intercity- als auch eine Regionalexpress-Nummer hat. Problem: Im IC als Fernverkehr gilt das Ticket nicht.
Wer nicht genau hinschaut, riskiert zum Schwarzfahrer zu werden. Und das kann teuer werden: Wer ohne gültigen Fahrausweis erwischt wird, wird mit 60 Euro zur Kasse gebeten.
Dann rechnet sich womöglich selbst ein 9-Euro-Ticket nicht mehr.
Das 9-Euro-Ticket: Ein erster Schritt
Kommentar von Tina Schmidt
Das 9-Euro-Ticket ist nach großer Ankündigung endlich gültig. Der günstige Fahrschein könnte der erste Schritt sein in die dringend notwendige Verkehrswende.
Autos nehmen immer mehr Fläche im öffentlichen Raum ein. Städte wie Chemnitz, in denen viel Wert auf Individualverkehr gelegt wird, platzen aus allen Nähten. Für den öffentlichen Nahverkehr bietet das Ticket die Chance, endlich attraktiver zu werden und Neukunden zu gewinnen.
Durch die ständig steigenden Spritpreise hat sich eine neue potenzielle Kundengruppe für den Nahverkehr aufgetan: die Autofahrer. Viele von ihnen werden das 9-Euro-Ticket nutzen, um auszuprobieren, ob sie wirklich auf ein eigenes Auto angewiesen sind.
Die kommenden drei Monate müssen die Nahverkehrsbetriebe als Chance begreifen, auf lange Sicht Kunden zu werben. Dies ist nur mit einem guten Liniennetz, auch im ländlichen Raum, engen Taktungen und funktionierenden Fahrzeugen möglich.
Um eine wirksame Verkehrswende hinzubekommen, und dadurch wieder mehr Platz im öffentlichen Raum zu gewinnen, muss der Nahverkehr an Qualität gewinnen - zu einem guten Preis.
Titelfoto: Kristin Schmidt