Chemnitzer Biologe auf den Spuren eines Raubtiers: Gibt es sesshafte Wölfe in Westsachsen?

Chemnitz/Marienberg - Alle ein bis zwei Monate geht Sven Erlacher (51) auf die Pirsch. Er packt einen Rucksack mit Feldstecher, Gummistiefeln, Batterien und fährt zu einem entlegenen Waldstück bei Kühnhaide. Bei jeder Tour hofft der Biologe des Naturkundemuseums Chemnitz, dass der Nachweis des ersten sesshaften Wolfes in Westsachsen seit 200 Jahren gelingt. Bei der jüngsten Wolfspirsch war auch TAG24 dabei.

Biologe Sven Erlacher (51, r.) und Monitoring-Helfer Dominik Kwetkat (30) sind auf dem Weg zu den Wildtierkameras, die das Naturkundemuseum Chemnitz fürs Wolfsmonitoring aufgehängt hat.
Biologe Sven Erlacher (51, r.) und Monitoring-Helfer Dominik Kwetkat (30) sind auf dem Weg zu den Wildtierkameras, die das Naturkundemuseum Chemnitz fürs Wolfsmonitoring aufgehängt hat.  © Uwe Meinhold

Der Weg führt durch eine schmale, von hohem Gras und Binsen überwachsene Schneise in ein Gebiet, in dem verteilt auf mehrere Hektar acht Wildtier-Kameras hängen.

Deren Sensoren reagieren auf Bewegung und Wärme in der unmittelbaren Umgebung. Erlacher stapft los, begleitet von einem ehrenamtlichen Monitoring-Helfer, um die Aufnahmen der vergangenen Wochen zu kontrollieren.

"Im Frühjahr 2020 gab es in der Nähe einige Risse von Rothirschen. In Proben davon wurde die DNA einer Wölfin nachgewiesen. Drei Wochen später hatten wir Bilder des Tieres auf einer der Kameras", erzählt Sven Erlacher.

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Förster und Waldarbeiter berichteten mehrfach von Wolfsbeobachtungen - mal einzelne, mal zwei, einmal sogar vier Tiere.

Der Chemnitzer selbst fand im Winter drei eindeutige Lauf-Spuren im Schnee.

"Wenn wir jetzt auf eine frische Losung dieses Tieres stoßen würden, wäre das der Beweis, dass die Wölfin hier sesshaft ist. Im Monitoring braucht es dafür zwei genetische Nachweise im Abstand von mindestens sechs Monaten", so der Biologe.

Über dem Wolfsgebiet bei Kühnhaide liegt morgens bereits herbstlicher Nebel.
Über dem Wolfsgebiet bei Kühnhaide liegt morgens bereits herbstlicher Nebel.  © Uwe Meinhold

Geben diese Bilder den endgültigen Beweis?

Auf dieser Kamera entdeckten Sven Erlacher (51, l.) und Dominik Kwetkat (30) die aktuellsten Aufnahmen eines Wolfes im Forschungsgebiet.
Auf dieser Kamera entdeckten Sven Erlacher (51, l.) und Dominik Kwetkat (30) die aktuellsten Aufnahmen eines Wolfes im Forschungsgebiet.  © Uwe Meinhold

Hinweise liefern auch die Kamerabilder, die Sven Erlacher vor Ort schon mal im Schnelldurchlauf checkt. Höchstens ein Prozent der Aufnahmen sind für das Wolfsmonitoring bedeutsam. Meist laufen andere Arten vor die Linse: Rehe, Hirsche, Hasen, ein Schwarzstorch. "Sogar ein Mufflon mit Jungtier war schon dabei."

An diesem Vormittag wird der Biologe bei Kamera Nummer drei fündig, die an einer Weggabelung hängt. "Da ist der Wolf! Vor fünf Tagen war er hier, abends 20.50 Uhr. Ob es die Wölfin war, lässt sich anhand der Bilder leider nicht sagen."

Eine der wertvollsten Aufnahmen des Sommers gelang mit einer Kamera in einem benachbarten Monitoring-Gebiet. Sie dokumentierte, wie ein Wolfswelpe des tschechischen Rudels bei einem Ausflug nach Sachsen ausgiebig Heidelbeeren abfraß.

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Sven Erlacher: "Das ist meines Wissens das erste Mal, dass ein wild lebender Wolf in Deutschland dabei gefilmt wurde. Die Erforschung der heimischen Wölfe hat gerade erst begonnen."

Da ist der Wolf! Das Tier lief abends auf einem Weg an der Fotofalle vorbei.
Da ist der Wolf! Das Tier lief abends auf einem Weg an der Fotofalle vorbei.  © Uwe Meinhold

Dieses Wolfsrudel aus Tschechien streift auch durch Sachsen

Das Rudel von Výslunì ist regelmäßig in sächsischen Wäldern unterwegs und wird dort von den Wildtierkameras des Naturkundemuseums Chemnitz dokumentiert.
Das Rudel von Výslunì ist regelmäßig in sächsischen Wäldern unterwegs und wird dort von den Wildtierkameras des Naturkundemuseums Chemnitz dokumentiert.  © Museum für Naturkunde Chemnitz

Das Naturkundemuseum Chemnitz beobachtet unter Federführung des Senckenberg Museums in Görlitz derzeit ein Wolfsrudel, das in der Nähe der tschechischen Grenzstadt Výsluní lebt und regelmäßig nach Sachsen pendelt.

Es besteht aktuell aus mindestens neun Tieren - sechs Welpen und drei Altwölfen. Die Forscher erwarten, dass im mittleren Erzgebirge in den nächsten Jahren Wölfe sesshaft werden und weitere Rudel gründen.

Aktuelle Erkenntnisse des Monitorings, Bilder und Videos gibt's auf der Facebook-Seite "Wolf Westsachsen".

In den nächsten Wochen könnte es in der Region wieder häufiger zu Rissen von Weidetieren kommen.

Biologe Sven Erlacher erklärt, warum: "Im Herbst steigt der Nahrungsbedarf der Welpen. Um diese Zeit sind auch Frischlinge und Rehkitze herangewachsen und keine leichte Beute mehr. Dann werden Schafe und Ziegen für Wölfe als Nahrungsquelle attraktiver."

Titelfoto: Uwe Meinhold, Museum für Naturkunde Chemnitz

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