Immer mehr Eltern sparen am Schulessen ihrer Kinder: Caterer bangen um Existenz

Chemnitz - Das Essen in Schule und Kita ist zu Jahresbeginn für fast alle Chemnitzer Familien teurer geworden. Die Caterer spüren jetzt erste Auswirkungen: Die Zahl der Essensbestellungen sinkt - und wird für die Anbieter teils existenzbedrohend.

CoWerk-Bereichsleiter Silvio Kühne (51) weiß, dass Schulessen für viele Familien fast nicht mehr erschwinglich ist.
CoWerk-Bereichsleiter Silvio Kühne (51) weiß, dass Schulessen für viele Familien fast nicht mehr erschwinglich ist.  © Ralph Kunz

Die "Küchengeister" (rund 700 Portionen täglich) verzeichnen nach einer Preiserhöhung von durchschnittlich 5,20 auf 5,80 Euro rund zehn Prozent weniger Bestellungen.

Chef Timo Schuster (51) hat Zweifel, ob es in einigen Jahren noch regionale Schulcaterer gibt: "Gerade kleinere Firmen können sich nur noch durch Selbstausbeutung am Markt halten und schauen nach Alternativen, wie Betriebskantinen oder Wochenend-Catering."

Für CoWerk als gemeinnützige GmbH (3800 Portionen täglich) gilt weiter der vergünstigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Trotz vergleichsweise günstiger Preise zwischen 4,90 und 5,20 Euro sinkt die Zahl der Essensbestellungen. "Viele Kinder essen nur noch drei oder vier Tage pro Woche mit", weiß Bereichsleiter Silvio Kühne (51).

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Er engagiert sich im Verband der Schul- und Kita-Caterer und findet: "Das Thema ist nur bundesweit lösbar. In Dänemark, Schweden oder England ist das Mittagessen für Kinder ganz selbstverständlich kostenlos."

Robin Schmidtchen (34) kocht in der CoWerk-Küche einen großen Kessel Nudeln fürs Schulessen.
Robin Schmidtchen (34) kocht in der CoWerk-Küche einen großen Kessel Nudeln fürs Schulessen.  © Ralph Kunz

Bei Grundschulen bis acht Prozent weniger Bestellungen

Wenn ein Teller Nudeln für Kinder mehr als 5 Euro kostet, ziehen viele Familien die Reißleine.
Wenn ein Teller Nudeln für Kinder mehr als 5 Euro kostet, ziehen viele Familien die Reißleine.  © IMAGO/Funke Foto Services

Torsten Weiße-Köhler (50) von Monkcatering (1800 Portionen täglich) spürt die Auswirkungen der Preiserhöhung auf 5,35 bis 5,50 Euro:

"Bei Grundschulen haben wir derzeit fünf bis acht Prozent weniger Bestellungen. Bei Oberschulen sind sie um 37 Prozent eingebrochen. An einer Schule geben wir nur noch 24 Essen aus. Das hat wirtschaftlich keinen Sinn mehr."

Um dem Trend umzukehren, will der Caterer mit der Stadt ins Gespräch kommen.

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"Um die Altersgruppe anzusprechen, würden wir gern ein Büfett anbieten. Dafür wäre aber ein Umbau in den Schulen nötig."

Entlastungen sind weiter nicht in Sicht

Almut Patt (55, CDU).
Almut Patt (55, CDU).  © Ralph Kunz

Der Stadtrat hat sich 2022 zum bislang letzten Mal mit den seit Jahren steigenden Preisen befasst. Weder für Eltern noch für Anbieter wurden Entlastungen beschlossen. Das wird vermutlich auch in der aktuellen Situation so bleiben.

Fraktionsübergreifend sehen die Räte keine Spielräume im Stadthaushalt und nehmen vor allem Bund und Land in die Pflicht: "Wir haben in der Vergangenheit mehrfach vergeblich im Stadtrat für Mehrheiten gekämpft", sagt Jürgen Renz (49, SPD). Auch die Linken hatten vor knapp zwei Jahren noch einem städtischen Zuschuss fürs Schulessen zugestimmt. Sabine Brünler (38) sieht jetzt aber einen alternativen Ansatz: "Über eine Drittel- oder Viertelfinanzierung von Bund, Land, Kommune und Eltern sind wir gerne bereit zu diskutieren.”

Die Grünen würden nach den Worten von Christin Furtenbacher (39) gern "mit Stadt und Anbietern über Lösungen zur Kostenreduzierung ins Gespräch kommen, so auch über die Bedingungen in den Einrichtungen für die Caterer."

CDU und AfD lehnen eine Deckelung grundsätzlich ab. Almut Patt (55, CDU): "Die Versorgung der eigenen Kinder ist Grundaufgabe der Eltern. Eine pauschale Deckelung halten wir für sozial ungerecht." Wer sich eine gesunde, warme Mahlzeit nicht leisten könne, für den gebe es das Bildungs- und Teilhabepaket. Jens Kieselstein (43, FDP) ergänzt: "Außerdem müssen die Caterer neben den hochpreisigen Gerichten auch 'einfache' Essen anbieten."

Die AfD fordere "seit Jahren eine städtische Großküche für die Versorgung, um die Stadt unabhängig von externen Anbietern zu machen", erklärt Lars Franke (47).

Sprengstoff im Kochtopf - Kommentar von Mandy Schneider

Mittags in der Schule essen (Symbolfoto), ist für immer weniger Kinder eine Selbstverständlichkeit.
Mittags in der Schule essen (Symbolfoto), ist für immer weniger Kinder eine Selbstverständlichkeit.  © Gero Helm/WAZ FotoPool

Wird Schulessen für Durchschnittsfamilien zum Luxus? Nach den jüngsten Preiserhöhungen verstärkt sich ein Trend, den es schon längere Zeit gibt.

Während Kinder ärmerer Familien durch die Kostenübernahme übers Bildungspaket - glücklicherweise - weiterhin an der Mittagessen-Versorgung teilnehmen, können immer mehr Haushalte, die sich ohne staatliche Unterstützung gerade so durchwursteln, sich diese Kosten nicht mehr leisten. Mehr als fünf Euro bedeutet im Durchschnitt mehr als 100 Euro Kosten im Monat, bei drei Kindern sind das mehr als 300 Euro - nur für diese eine Mahlzeit

Ein kostenloses Mittagessen in Schulen und Kitas - wie vor wenigen Tagen vom Bürgerrat über Ernährung als Empfehlung Nummer eins dem Bundestag ans Herz gelegt - klingt in Deutschland wie eine Utopie.

Derlei Ansinnen, oder auch nur eine Deckelung der Preise, sind in den vergangenen Jahren nach einer munteren Runde im Zuständigkeitskarussell von Bund, Ländern und Kommunen immer wieder gescheitert.

Der letzte Anlauf dazu im Stadtrat verpuffte im Sommer 2022, die letzte Petition auf Landesebene Ende 2022. Nun also ein neuer Versuch beim Bund. Ich habe eine düstere Ahnung, was daraus wird.

Übersehen wird beim Hin- und Herschieben der Verantwortung der soziale Sprengstoff, den dieses Thema birgt, und wie sehr eine allgemeine Unzufriedenheit auch daraus gespeist wird.

Titelfoto: Gero Helm/WAZ FotoPool

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