Nachtruhe für Igel in Chemnitz: Ist das der richtige Weg?

Chemnitz - Jetzt rollt nachts kein Mähroboter mehr durchs Gras! Zum Schutz von Igeln und anderen Kleintieren hat Chemnitz ein weitreichendes Verbot verhängt: Von einer halben Stunde vor Sonnenuntergang bis eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang dürfen Mähroboter im Freien nicht mehr betrieben werden.

Im vergangenen Jahr wurden in Chemnitz 47 verletzte Igel gemeldet - 24 von ihnen starben.
Im vergangenen Jahr wurden in Chemnitz 47 verletzte Igel gemeldet - 24 von ihnen starben.  © Uwe Meinhold

Die stacheligen Gartenbewohner sind massiv bedroht – durch die scharfen Messer der smarten Rasenhelfer. 47 verletzte Igel wurden allein 2024 gemeldet, 24 davon starben. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

"Diese Meldung der Stadt gibt uns Hoffnung", sagt Sandra Kögel (49) von der Tierrettung Chemnitz.

"Wir freuen uns riesig, dass wir mithelfen konnten, dieses Verbot durchzusetzen. In einem Jahr werden wir prüfen, ob es gewirkt hat."

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Auch Toni Späth (26, Linke) lobt die Entscheidung: "Wenn die Bürger ehrlich mitziehen, ist das ein echter Beitrag zum Schutz der Igelpopulation. Die Stadt sollte die Einhaltung stichprobenartig kontrollieren."

Sandra Kögel (49) von der Tierrettung Chemnitz begrüßt das Verbot.
Sandra Kögel (49) von der Tierrettung Chemnitz begrüßt das Verbot.  © privat

Innenräume oder auf Dächern sind dabei Ausnahmen

Für Jens Kieselstein (44, FDP) geht das Nachtfahrverbot für Mähroboter am Problem vorbei.
Für Jens Kieselstein (44, FDP) geht das Nachtfahrverbot für Mähroboter am Problem vorbei.  © Kristin Schmidt

Genau dort setzen kritische Stimmen an. Jens Kieselstein (44, FDP): "Wer soll so ein Verbot kontrollieren? Ich hätte mir gewünscht, dass wir im Stadtrat eine vernünftigere Lösung finden."

Mit einer solchen Verordnung schütze man nicht die Igel, sondern verbiete nur das Benutzen der Geräte zu einer bestimmten Zeit.

"Eine Aufklärungskampagne wäre sinnvoller gewesen."

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Die neue Allgemeinverfügung gilt ab sofort für das gesamte Stadtgebiet. Ausnahmen sind nur in Innenräumen oder auf Dächern erlaubt – oder mit offizieller Genehmigung, falls keinerlei Gefahr nachweisbar ist.

Schnittwunden, Amputationen, tödliche Verletzungen: Igel lebten in den heimischen Gärten bislang gefährlich.
Schnittwunden, Amputationen, tödliche Verletzungen: Igel lebten in den heimischen Gärten bislang gefährlich.  © Zoo Göritz

Nur gut gemeint?

Kommentar von Raik Bartnik

Igel fliehen nicht. Wenn’s gefährlich wird, rollen sie sich ein – direkt ins Verderben.
Igel fliehen nicht. Wenn’s gefährlich wird, rollen sie sich ein – direkt ins Verderben.  © Armin Weigel/dpa

Das neue Nachtfahrverbot für Mähroboter in Chemnitz ist zweifellos gut gemeint. Doch ist es auch gut gemacht? Igel sind keine Fluchttiere. Sie rollen sich ein, vertrauen auf ihre Stacheln – und werden von scharfen Klingen grausam verstümmelt.

So klar der Tierschutzgedanke ist – so fraglich ist die praktische Umsetzung. Wer soll das eigentlich kontrollieren? Die Stadtverwaltung? Die kämpft bereits an allen Ecken mit Personalmangel.

Will man ernsthaft Mitarbeiter in den Nachtstunden durch Gärten schicken, um Rasenroboter auf frischer Tat zu ertappen?

Bleibt also die nächste logische Konsequenz: Die Nachbarn sollen es melden. Was im besten Fall Achtsamkeit ist, wird im schlimmsten Fall zur Einladung für Denunziantentum. Ein Rasengeräusch zu viel – und schon klingelt das Ordnungsamt?

Völlig absurd wird es dann, wenn man die Ausnahmeregel liest: In Innenräumen sei der Einsatz weiter erlaubt. Wirklich? Wer bitte besitzt eine Wiese im Wohnzimmer oder mäht auf dem Balkon? Das ist Bürokratie mit Komik-Potenzial – typisch deutsch eben.

Was also tun? Statt starrer Vorschriften könnte die Stadt auf technische Nachrüstung setzen. Es gibt inzwischen Mähroboter mit Ultraschallsensoren und tierfreundlichen Stoppsystemen.

Zudem braucht es jede Menge Aufklärung, ob das Mähen in der Nacht wirklich notwendig ist. Der Igel braucht unsere Hilfe, keine Frage. Aber zwischen sinnvollem Schutz und Aktionismus verläuft eine schmale Grenze.

Titelfoto: Armin Weigel/dpa

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