300 Jahre Immanuel Kant: Die Schuhe des Philosophen

Dresden - Luther, Kant, Marx, Einstein - es gibt kaum andere Geistesmenschen aus deutschen Landen, die die Welt so nachhaltig verändert haben wie sie. Gegenwärtig befinden wir uns im Kant-Jahr, heute vor 300 Jahren wurde der maßgebliche Philosoph der Aufklärung in Königsberg geboren, wo er am 12. Februar 1804 auch verstarb. Die Dresdner Rüstkammer verwahrt als Reliquie ein Paar originaler Schuhe des Philosophen. Das Kant-Jubiläum ist eine gute Gelegenheit, sie einmal in Augenschein zu nehmen.

Marius Winzeler mit Kants Schuhen. Interessant ist, erklärt der Museums-Direktor, dass Schuhe damals nicht für linken und rechten Fuß hergestellt, sondern erst mit der Nutzung den Füßen angepasst wurden.
Marius Winzeler mit Kants Schuhen. Interessant ist, erklärt der Museums-Direktor, dass Schuhe damals nicht für linken und rechten Fuß hergestellt, sondern erst mit der Nutzung den Füßen angepasst wurden.  © Eric Münch

Das Turiner Grabtuch Jesus von Nazareths, das Krönungsornat Augusts des Starken oder die Stiefel Napoleons, beides in Dresden verwahrt. Eine Haarlocke Elvis Presleys oder ein BH von Marilyn Monroe oder ein Röntgenbild der Wirbelsäule von John F. Kennedy, wie vor vielen Jahren bei einer Auktion in Macao versteigert - persönliche Gegenstände, religiöse wie weltliche, werden oft für verehrungswürdig gehalten.

Wieso? Wahrscheinlich weil sie bestätigen, dass ihre ins luftig Mythische abgehobenen Bezugspersonen einmal wirkliche Menschen waren, Leute wie du und ich. Gegenstände wie die genannten geben ihnen Erdenschwere und Bodenhaftung.

Womit wir bei den Schuhen Immanuel Kants wären, die, wie ein Paar Stiefel Napoleons, seit den 1830er-Jahren zur Schuh-Sammlung der Rüstkammer gehören. Im Gegensatz zu manch anderen der oben genannten Reliquien ist die Herkunft der Schuhe verbürgt.

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Kant, der bahnbrechende Philosoph, der dem Denken eine "kopernikanische Wende" verpasste und schon zu Lebzeiten als Koryphäe verehrt wurde, war eben auch, was wir heute neudeutsch als Celebrity bezeichnen, ein echter Promi, von Andenkenjägern verfolgt, die unbedingt einen Gegenstand der Anbetung in ihren Besitz zu bringen suchten. Personenkult in den Zeiten der Aufklärung.

Baron Peter Ludwig von Block brachte Kants Schuhe nach Dresden

Die Abnutzung des Oberleders zeigt: Kant hat die Schuhe wirklich getragen.
Die Abnutzung des Oberleders zeigt: Kant hat die Schuhe wirklich getragen.  © Eric Münch

"So betrachtete man alle Kleinigkeiten von ihm als heilige Reliquien", notierte Johann Gottfried Hasse, ein regelmäßiger Gast bei Kants legendären Tischgesellschaften: "Schon stehen ein Paar Schuhe von ihm in einer Raritäten-Kammer in Dresden; und es war sein Wille, dass sie hingeschickt würden."

In das Dresdner Museum kamen die Schuhe als Teil der Schuh-Sammlung des Barons Peter Ludwig von Block, vormals Inspektor des Grünen Gewölbes. Block war Jahre zuvor zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, weil er das Grüne Gewölbe bestohlen hatte, was ihn damals ins Zuchthaus brachte und beinah zweihundert Jahre später zur Romanfigur (Ralf Günther: "Der Dieb von Dresden") erhob.

Um das Jahr 1800, "vor Ostern 1802", habe Block das Paar Schuhe von Kant erhalten, vermerkt ein Eintrag des Museums. Überhaupt war Blocks Schuh-Sammlung eindrucksvoll, sie enthielt Fußbekleidung von Goethe, Wieland, Napoleon und eben Kant, die der Sammler über Mittelsleute oder in direktem Kontakt zusammentrug. Um die 230 Paar Schuhe zuzüglich 32 Einzelstücken waren ursprünglich im Bestand, heute zählt die Sammlung, durch Kriegsverluste verringert, 139 Paar und Einzelstücke.

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"Die Schuhe Kants sind insgesamt sehr leicht, geschaffen für zarte Füße und eine quasi schwerelose Person", hieß es in einem Königsberger Katalogeintrag anlässlich von Kants 200. Todestag. Bestehend aus schwarzem Ziegenleder im Obermaterial, Glacéleder und Seidenborte im Innenmaterial, messen die Schuhe in der Länge 26,5 Zentimeter, was in heutiger Umrechnung etwa der Schuhgröße 42 entspricht.

Kants Treter waren ein Auslaufmodell der Schnallenschuhe

Kants Siegel adelt den Schuh.
Kants Siegel adelt den Schuh.  © Eric Münch

Es handele sich dabei um "ein Auslaufmodell der Schnallenschuhe, wie sie als Begleiterscheinung der Kniehose (culotte) die europäische Fürstenmode über zwei Jahrhunderte beherrscht haben", wird im Katalog erklärt. Die Schuhe Kants hätten, ganz der Napoleonära, d.h. der Consulat- und Empire-Mode entsprechend, keinen Absatz mehr.

Infolge der Französischen Revolution war es zu einem Umsturz auch der Männermode gekommen. Lange Hosen waren nun angesagt, was in der charakterisierenden Bezeichnung "Sansculotten" (die ohne Kniehose) für die bürgerlichen Revolutionäre Ausdruck fand. Zu langen Hosen trug man mehr und mehr absatzlose Schnürschuhe.

Die Schuhe Kants - ohne Absatz, mit Schnalle - stünden beispielhaft für die ästhetische Unentschiedenheit im Epochenumbruch am Ende des 18. Jahrhunderts, wird in dem Katalogeintrag erklärt. Kant, der visionäre Philosoph, welcher der Französischen Revolution und ihrem Vordenker Jean Jacques Rousseau viel zu verdanken hatte, blieb modisch ein Konservativer. Bis zu seinem Lebensende habe er "Perücke mit Haarbeutel, Rock mit Weste und Kniehosen getragen".

Kants Schuhe - dass sie wirklich Kants Schuhe sind, ist so unzweifelhaft, wie es nicht oft in der Provenienzbestimmung von Kunst vorkommt. "Wir wissen es ganz genau", sagt Rüstkammer-Direktor Marius Winzeler, denn an der Innenseite eines Riegels und an den Sohlen befindet sich das persönliche rote Siegel Kants. Beinah wirkt das Siegel allein schon wie eine Reliquie.

Bei einer Kant-Ausstellung in Bonn im vergangenen Jahr war Johannes Haydecks Bild "Immanuel Kant am Schreibtisch" aus dem Jahr 1872 zu bestaunen.
Bei einer Kant-Ausstellung in Bonn im vergangenen Jahr war Johannes Haydecks Bild "Immanuel Kant am Schreibtisch" aus dem Jahr 1872 zu bestaunen.  © Federico Gambarini/dpa

Kants Schuhe sind kulturgeschichtliches Zeugnis

Aktuell ausgestellt findet sich das Paar Schuhe des Philosophen in Dresden trotz des Jahrestags nicht, doch war es als Leihgabe gerade in der großen Kant-Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn zu bestaunen. Für die Rüstkammer seien Kants Schuhe "wichtig als kulturgeschichtliches Zeugnis", sagt Marius Winzeler in der nüchternen Wortwahl des Kunsthistorikers, als sei ihm das Gerede von der Reliquie zu überkandidelt.

Noch weniger anfangen mit Reliquien (im religiösen Sinn) konnte der oben erwähnte Reformator Martin Luther. Für ihn war eine Reliquie nutzlos und nicht mehr als "ein tot Ding". Angesichts der Fußbekleidung Immanuel Kants, in der sich der bedeutendste Philosoph der Neuzeit lebensweltlich für uns materialisiert, ist das vielleicht eine Spur zu unterkandidelt.

Titelfoto: Eric Münch

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