Eine Russin und eine Ukrainerin in Dresden: Zwei Frauen zwischen Trauer, Wut und Scham

Dresden - In Sachsen leben Tausende russische und ukrainische Staatsangehörige. Wie haben Sie die letzten anderthalb Wochen erlebt? Wie fühlt es sich an, wenn nur 1400 Kilometer weiter der Krieg tobt? Zwei Frauen - eine aus Sibirien, die andere aus Kiew - erzählen, was sie fühlen und wie sie der Ohnmacht trotzen.

Elena Pagel kommt aus Sibirien und wohnt in Dresden. Sie sagt: "Nicht alle Russen glauben Putins Propaganda."
Elena Pagel kommt aus Sibirien und wohnt in Dresden. Sie sagt: "Nicht alle Russen glauben Putins Propaganda."  © Eric Muench

Angst, Unruhe und Hilflosigkeit - Zustände, mit denen derzeit viele Menschen aus Angst vor der Eskalation täglich leben.

Auch in Elena Pagel dreht sich seit dem 24. Februar die Gedankenspirale. Die freischaffende Künstlerin lebt seit 1999 in Dresden. Geboren wurde sie in Sibirien, in der ehemaligen Sowjetunion.

Schon seit 2014 setzt sie sich auf vielfältige Art und Weise künstlerisch mit dem Ukraine-Konflikt auseinander. "Das, was jetzt passiert, ist wie ein schlechtes Déjà-vu", erzählt sie.

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Elena Pagel pflegt in Dresden viele Freundschaften zu hier lebenden Ukrainern. Anfeindungen oder Hass gegen Russen, so sagt sie, habe sie bisher noch nie zu spüren bekommen.

"Immer wenn wir uns sehen, umarmen wir uns und weinen gemeinsam." Die Russin hat am Wochenende eine Freundin aus Kiew bei sich zu Hause aufgenommen.

In den kommenden Tagen werden bei der Russin noch drei weitere Erwachsene und ein Kind aus der Ukraine unterkommen.

Nach der russischen Invasion der Ukraine mussten zahlreiche Menschen aus den Kriegsgebieten fliehen.
Nach der russischen Invasion der Ukraine mussten zahlreiche Menschen aus den Kriegsgebieten fliehen.  © imago images/SNA

Elena Pagels Mitbewohner erreicht ihren Mitbewohner in Charkiw nicht mehr

Bilder, die fassungslos machen: Nur wenige Flugstunden von uns entfernt tobt der Krieg.
Bilder, die fassungslos machen: Nur wenige Flugstunden von uns entfernt tobt der Krieg.  © Efrem Lukatsky/AP/dpa

Die Tatsache, dass Elena Pagel ein Zimmer freihat, ist einem tragischen Umstand geschuldet: "Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit einem Ukrainer. Er pendelt zwischen der Ukraine und Dresden."

Ihr Mitbewohner sollte eigentlich Ende März nach Sachsen zurückkehren. Allerdings herrscht seit einer Woche Funkstille.

Pagels Mitbewohner war zuletzt in Charkiw, in jener Stadt, die in den vergangenen Tagen heftigst von russischen Truppen beschossen wurde. "Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Meine Nachrichten dringen nicht mehr zu ihm durch."

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Elena Pagel äußert sich ganz offen kritisch gegen den russischen Machthaber. Zu Hause in Russland steht das unter Strafe. "Die meisten Menschen trauen sich verständlicherweise nicht, zu protestieren", sagt sie.

Aktivisten droht Gefängnis oder der Tod. Wer kann, unterschreibt Petitionen. "Vielleicht ändert das nichts, aber jedes Engagement muss gewürdigt werden", sagt Pagel.

"Wichtig zu wissen ist: Nicht jeder in Russland glaubt Putins Propaganda. Meine Freunde und Familie in Russland möchten, dass die Welt das weiß." Was dort passiert, so die Künstlerin, sei eine humanitäre Katastrophe mitten im Zentrum von Europa. "Und ich schäme mich dafür."

Ukrainerin Natalija Bock will der Bevölkerung mit einer Initiative helfen

Natalija Bock (47) aus der Ukraine sorgte sich tagelang um ihre Familie.
Natalija Bock (47) aus der Ukraine sorgte sich tagelang um ihre Familie.  © Steffen Fuessel

Dass das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern so schnell nicht mehr zu reparieren ist, findet auch Natalija Bock.

"Das wird noch über Generationen so bleiben." Die 47-jährige Ukrainerin lebt seit 25 Jahren in Dresden, arbeitet hier als Dolmetscherin. Auch wenn ihr die Hände gebunden sind, engagiert sich Natalija Bock, so gut es geht.

Bock hatte schon vor Wochen über den drohenden Krieg in ihrer Heimat aufmerksam gemacht. Zusammen mit anderen Akteuren aus der Stadt hat sie eine Initiative (www.plattform-dresden.de) geschaffen, auf der Sachsen ihre Hilfe für die ukrainische Bevölkerung anbieten können.

Ihre Familie und Freunde sind in der vergangenen Woche aus der Ukraine über Rumänien nach Deutschland geflohen. "Meine Schwester ist schwerst traumatisiert. Sie musste ihren Mann in der Ukraine zurücklassen", sagt die Dolmetscherin.

Sollte alles nach Plan laufen, kann Natalija Bock ihre Familie bereits am Sonntagabend wieder in die Arme schließen.

Titelfoto: Bildmontage: Eric Muench, Steffen Fuessel

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