Mary Roos mit Comedy-Programm in Dresden: "Ich habe mich innerlich verabschiedet"

Dresden - Jahrzehntelang war Mary Roos (74) eine konstante Größe in der Schlager-Welt. Zweimal, 1972 und 1984, vertrat die Sängerin (bürgerlich Rosemarie Böhm, geborene Schwab) Deutschland beim European Song Contest, beendete 2019 ihre Gesangskarriere. 2022 erschien ihre Biografie "Aufrecht geh'n: Mein liederliches Leben". Der Bühne blieb sie jedoch treu: Mit dem Kabarettisten Wolfgang Trepper (62) verulkte Roos von 2015 bis 2019 im Comedy-Theater-Programm "Nutten, Koks und frische Erdbeeren" selbstironisch die Schlagerbranche. Seit 2021 sind die beiden mit der Fortsetzung "Mehr Nutten, mehr Koks - scheiß auf die Erdbeeren" auf Tour, die nun zu Ende geht. Am morgigen Mittwoch zu erleben im Alten Schlachtof in Dresden.

Schlagerlegende Mary Roos (74) lebt ganz entspannt im Hier und Jetzt. Mit der lieb gemeinten Schmähung "Helene Fischer der Bronzezeit" kann sie gut leben.
Schlagerlegende Mary Roos (74) lebt ganz entspannt im Hier und Jetzt. Mit der lieb gemeinten Schmähung "Helene Fischer der Bronzezeit" kann sie gut leben.  © imago/Future Image

TAG24: Frau Roos, wie werden Sie eigentlich angesprochen? Sagt jemand noch Frau Schwab zu Ihnen? Oder Frau Böhm?

Mary Roos: Mary. Es sagen alle einfach Mary. Man ist fast ein Familienmitglied für viele, wenn man so lange dabei ist.

TAG24: Dass aus Rosemarie einst Mary Roos wurde, ist irgendwie naheliegend. Aber wer ist letztlich darauf gekommen?

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Mary Roos: Man musste damals einen anderen Namen haben. Als Rosemarie Schwab hätte ich nicht auf der Bühne stehen können. Also habe ich Mary Roos vorgeschlagen, das war meine Idee. Ganz verabschieden von meinem Namen wollte ich mich dann doch nicht.

TAG24: Gut 600 Lieder haben Sie im Laufe Ihrer Karriere gesungen; gibt es welche, die Ihnen besonders viel bedeuten?

Mary Roos: Das sind nicht unbedingt die Hits. Sehen Sie: Ich habe ja viel in Frankreich und Italien gesungen, das wissen ja in Deutschland viele nicht. Das waren ganz andere Sachen, Chansons oder südamerikanische Musik etwa. Caterina Valente war ja anfangs ein Vorbild für mich. Es gibt nicht nur den einen Teil in einer Karriere. Ich ändere immer wieder auch meine Sichtweise auf viele meiner Titel. Aber ich blicke nicht so gerne in die Vergangenheit, ich lebe lieber in der Gegenwart. Ihr Journalisten fragt immer nach den alten Kamellen. Darum gebe ich so selten Interviews, weil ja alles schon gefragt wurde. Kann man doch im Internet lesen ... Jetzt habe ich Sie eingeschüchtert, stimmt’s? (kichert)

Mary Roos: "Heute bin ich zufrieden. Nicht glücklich, zufrieden."

Roos und Kabarettist Wolfgang Trepper (62) sind auf Abschiedstour. Restkarten für die morgige Satire-Show im Alten Schlachthof: ab 55,50 Euro.
Roos und Kabarettist Wolfgang Trepper (62) sind auf Abschiedstour. Restkarten für die morgige Satire-Show im Alten Schlachthof: ab 55,50 Euro.  © imago/Future Image

TAG24: Ach was. Aber es ist doch legitim, eine Künstlerin zu fragen, was ihr am eigenen Werk gefällt. Also?

Mary Roos: So richtig kann ich das gar nicht sagen. Ich habe letztens ältere B-Seiten wiederentdeckt. Da seien schöne Sachen drauf, sagt mein Sohn. Bei vielen anderen Aufnahmen bin ich früher auch kiebig geworden. Michael Holm war ja oft mein Produzent, der wollte dann, dass ich Sachen wie "Baby, Baby" in den Refrains singe. Das fand ich ganz schrecklich. Doch seine Vorschläge waren letztlich goldrichtig. Ich habe ihn unlängst getroffen und mich bei ihm bedankt, er hat so viel für meine Karriere getan. Und ich war immer ein Fan von Festivals, da konnte man mit Kollegen singen und viel ausprobieren. Ich musste nicht immer in der ersten Reihe stehen, bin eher eine Teamsängerin.

TAG24: "Aufrecht geh'n" war ein großer Hit, den hat man sofort im Ohr, wenn's um Sie geht.

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Mary Roos: Dabei hatte mir dieser Titel anfangs gar kein Glück gebracht, ich habe damit 1984 einen schlechten Platz beim Grand Prix gemacht. Heute heißt das ja European Song Contest, damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson - viel schöner! Außerdem hatte ich zur Zeit von "Aufrecht geh'n" eine private Krise. Wenn ich alte Fernsehaufnahmen von mir sehe, wie steif ich da rumstehe, fürchterlich. Beim ersten Versuch 1972 mit "Nur die Liebe lässt uns leben" war ich viel lockerer. Gewonnen habe ich damit aber auch nicht.

TAG24: Stichwort alte Fernsehaufnahmen: Sie haben streckenweise irre Kostüme getragen. Ist Ihnen das heute peinlich?

Mary Roos: Die wurden damals extra für die Fernsehshows hergestellt. Manchmal habe ich auch Eigenkreationen mitgebracht. Einmal trug ich sogar eine Art Häkeldecke. Ach, peinlich ist mir eigentlich nichts. Ich bin ja mit den Jahren auch sehr entspannt geworden. Früher war ich sehr schüchtern. Heute bin ich zufrieden. Nicht glücklich, zufrieden. Das ist viel wichtiger.

Mary Roos: "Auf der Bühne bin ich ich!"

Internationaler Erfolg: 1972 gelang Mary Roos mit "Nur die Liebe lässt uns leben" Platz drei beim Eurovision Song Contest.
Internationaler Erfolg: 1972 gelang Mary Roos mit "Nur die Liebe lässt uns leben" Platz drei beim Eurovision Song Contest.  © imago images/United Archives

TAG24: Vor vier Jahren haben Sie Ihre Gesangskarriere beendet. Ein freiwilliger Schritt?

Mary Roos: Ja, und ein gut durchdachter! Zwei Jahre hatte mich das beschäftigt. Dann sagte mein Bruder: Du hast doch gar nicht richtig gelebt. Keine Taufe erlebt, keinen Geburtstag in der Familie. Dir rinnt doch die Zeit zwischen den Fingern weg. Er hatte recht.

TAG24: Nun sind Sie mit den "Koks und Nutten"-Programmen dennoch weiter auf der Bühne. Wie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben sich eigentlich bei Ihnen beschwert?

Mary Roos: Nur die, die nicht genannt wurden. Es wissen ja alle, dass es eine Satire ist. Die meisten waren mal da, und sie mögen es. Mein Partner Wolfgang Trepper macht sich lustig über das Showgeschäft und die 70er-Jahre, und ich bin die Zeitzeugin. Da haben die Kollegen im Publikum alle ein Lachen im Gesicht und freuen sich. Wir uns ja auch. Es zeigt Respekt.

TAG24: Wie kam es zu den Programmen?

Mary Roos: Den Wolfgang habe ich bei einer Benefizgala am Timmendorfer Strand kennengelernt. Da hatte er mich mit "Aufrecht geh'n" persifliert. Ich habe ihn daraufhin angesprochen, ob wir nicht ein gemeinsames Projekt machen wollen, bei dem wir die Schlagerszene aufs Korn nehmen. Dass es dann so böse werden würde, ahnte ich allerdings nicht. Ich muss ziemlich viel einstecken, er beleidigt mich ja ständig, nennt mich die "Helene Fischer der Bronzezeit" und solche Dinge. Anfangs dachten die Leute, das sei ernst gemeint. Die sind dann in der Pause gegangen, weil es ihnen zu hart war.

TAG24: Da darf man nicht eitel sein …

Mary Roos: Ich bin überhaupt nicht eitel. Für eine Künstlerin fast unnormal. Außerdem beleidige ich ihn ja auch. Letztlich lachen wir von vorne bis zum Ende. Ich liebe ja absurden, bösen Humor, mag auch so etwas wie Monty Python.

TAG24: Wie viele der Geschichten aus der Showbranche sind wirklich echt?

Mary Roos: Die sind nicht sehr echt. Es ist ja ein geschriebenes Buch für ihn, den Kabarettisten. Ich musste nur lernen, dagegenzuhalten. Und ich darf dabei nicht versuchen, lustiger zu sein als er. Das funktioniert nicht. Manche Leute meinten, ich müsste frecher werden. Aber nein: Auf der Bühne bin ich ich.

Mary Roos: "Es muss kein absoluter Abschied sein"

Schlagerlegende Mary Roos (74) fürchtet sich nicht vor der Zeit ohne Applaus.
Schlagerlegende Mary Roos (74) fürchtet sich nicht vor der Zeit ohne Applaus.  © Thomas Frey/dpa

TAG24: Das erste Programm lief bis 2019, dann kam Corona. Seit 2021 spielen Sie den zweiten Teil, der seitdem schon von rund 250.000 Leuten gesehen wurde. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Mary Roos: Wenn wir im nächsten Jahr fertig sind, werden es wohl um die 340.000 Besucher gewesen sein. Inhaltlich ist es ja eine Fortsetzung, es geht ganz allgemein um die Schlager der 70er-Jahre und die Werbung aus dieser Zeit. Verrückt, was die Leute alles noch kennen. Ich glaube, es kommt an, weil es einfach lustig ist. An den Kommentaren sehe ich es ja: Da geht keiner verärgert raus. Alle haben gelacht. Es ist so wichtig, dass die Leute lachen. Grade jetzt, bei den ganzen Katastrophen, brauchen die Leute Spaß!

TAG24: Trotzdem hören Sie auf. Warum, wenn's doch so läuft?

Mary Roos: Ich habe mich innerlich verabschiedet. Manche fordern zwar sogar noch einen dritten Teil, aber es muss mal gut sein.

TAG24: Ein zweites Karriereende also. Was wird dann kommen?

Mary Roos: Es muss kein absoluter Abschied sein. Ich könnte noch Theater spielen. Dieter Hallervorden hat mich angefragt, aber ich habe mich noch nicht entschlossen. Vielleicht schreibe ich auch noch ein neues Buch.

TAG24: Also keine Angst vor der Zeit ohne Applaus?

Mary Roos: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte ja schon einmal sechs Jahre Pause, dann holte mich Mike Krüger für seine TV-Show zurück. Ich habe keine Existenzängste. Hatte ich nie, auch wenn es finanziell mal knapp war. Dafür habe ich viel zu viel Gottvertrauen. Mal sehen, was kommt.

Titelfoto: imago/Future Image

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