Forever Winnetou! Warum die Karl-May-Spiele immer noch grandios sind

Bad Segeberg - Nach 30 Jahren war TAG24-Reporter Jan Iven erstmals wieder bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg. Das hat er im Wilden Westen erlebt - ein Bericht.

Schauspieler Alexanders Klaws (38) spielte 2019 zum ersten Mal Winnetou bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.
Schauspieler Alexanders Klaws (38) spielte 2019 zum ersten Mal Winnetou bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.  © Daniel Reinhardt/dpa

Wer hätte das gedacht? Der Kalkfelsen im Freilichttheater von Bad Segeberg ist 30 Jahre später immer noch riesig. Ein bisschen hatte ich ja befürchtet, dass die Kulisse der Karl-May-Spiele nur in meiner Kindheitserinnerung so groß gewesen ist. Aber 7000 Zuschauer in einem Amphitheater sind auch heute noch beeindruckend.

Als ich das letzte Mal im Freilichttheater war, spielte noch der einzig wahre Winnetou aus den (westdeutschen) Filmen, Pierre Brice (†86), persönlich den Häuptling aller Apachen - und zwar mit einem starken französischen Akzent (der ostdeutsche Film-Winnetou Gojko Mitić (82) aus Serbien folgte auf Pierre Brice und trat 15 Jahre lang in Bad Segeberg auf - so oft wie kein anderer).

Drei Jahrzehnte und drei Darsteller später hat nun der gereifte "Superstar" Alexander Klaws (38) die Rolle des Mescalero-Apachen übernommen und nimmt noch bis Sonntag den Kampf gegen den "Ölprinz" auf.

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Und Klaws und seine Mitstreiter machen ihre Sache so gut, dass die fast immer gleichen Winnetou-Geschichten auch 30 Jahre nach meinem letzten Besuch und 130 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen allen Unkenrufen und Diskussionen zum Trotz immer noch faszinieren.

Winnetou: "Die Sonne geht auf. Die Sonne geht unter"

Beim Treck der deutschen Siedler: Rosalie Ebersbach (Katy Karrenbauer, 59, v.l.n.r.), Kantor Hampel (Patrick Schmitz) und Sam Hawkens (Jogi Kaiser, 55).
Beim Treck der deutschen Siedler: Rosalie Ebersbach (Katy Karrenbauer, 59, v.l.n.r.), Kantor Hampel (Patrick Schmitz) und Sam Hawkens (Jogi Kaiser, 55).  © Markus Scholz/dpa

Das ist wohl vor allem deshalb möglich, weil bereits die alten Winnetou-Filme als wichtige Vorlage so eine große Bandbreite von Abenteuer, Schnulze bis hin zur Komödie geliefert haben, dass für jede Neuninszenierung mehr als genügend Projektionsfläche zur Verfügung steht und jeder seinen ganz persönlichen Karl May aus seiner Kindheit wiederfinden kann.

Wenn Alexanders Klaws als Winnetou bedeutungsschwer sagt: "Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Das Gras gedeiht, das Gras vergeht", dann ist das entweder sehr weise, sehr nostalgisch, sehr unfreiwillig komisch oder - und das ist eine ganz neue Kategorie - sehr gewollt unfreiwillig komisch. Jeder kann seinen persönlichen Winnetou so verstehen, wie er möchte.

Selbst ein altbackener westdeutscher Komiker wie Heinz Erhardt (†70) - der auch schon im "Ölprinz"-Film von 1965 auftauchte - kann am Kalkberg in Gestalt von Kantor Hampel (gespielt von Patrick Schmitz) ungestraft wieder auferstehen und die alten Kaulauer leicht aufgemöbelt zum Besten geben - und damit tatsächlich herzhafte Lacher erzielen.

Sascha Hehn: "Mich kriegen keine zehn Pferde mehr auf ein Schiff"

Schauspieler Sascha Hehn (67) hat das Traumschiff gegen den Kalkfelsen in Bad Segeberg eingetauscht und gibt bei den Karl-May-Spielen den Oberschurken Ölprinz.
Schauspieler Sascha Hehn (67) hat das Traumschiff gegen den Kalkfelsen in Bad Segeberg eingetauscht und gibt bei den Karl-May-Spielen den Oberschurken Ölprinz.  © Markus Scholz/dpa

Und das Publikum verzeiht es nicht nur, sondern feiert es sogar, wenn der Kantor den Apachen die Soundtracks des Komponisten John Williams (90) zu Filmen wie "Star Wars" oder "Indiana Jones" vorsummt - und sogar wie der Science-Fiction-Oberschurke Darth Vader röchelt.

Das muss man im Wilden Westen erst einmal hinkriegen! Aber nach dem Film "Der Schuh des Manitu" ist wahrscheinlich alles möglich.

Heimlicher Star am Kalkberg ist in diesem Jahr allerdings der titelgebende "Ölprinz", von niemand Geringerem gespielt als Sascha Hehn (67), dessen lässiges Outfit inklusive Sonnenbrille wohl nicht nur zufällig stark an Jamie Foxx (54) aus "Django Unchained" von Quentin Tarantino (59) erinnert. Mehr Coolness geht kaum!

Doch auch der teuflische Oberschurke nimmt sich nicht allzu ernst und sagt: "Mich kriegen keine zehn Pferde mehr auf ein Schiff!" Was zumindest bei den älteren Zuschauern für einen gehörigen Lacher sorgt, die Sascha Hehn vor allem noch als Chefsteward auf dem Traumschiff kennen.

"In Deutschland ist die Hölle los"

Die Schauspieler Sascha Hödl (l.) ist mehrfach für den erkrankten Alexander Klaws als Winnetou eingesprungen. Für seine Auftritte bekam er viel Lob. Sascha Gluth (52) reitet als Old Shatterhand an der Seite des Apachen.
Die Schauspieler Sascha Hödl (l.) ist mehrfach für den erkrankten Alexander Klaws als Winnetou eingesprungen. Für seine Auftritte bekam er viel Lob. Sascha Gluth (52) reitet als Old Shatterhand an der Seite des Apachen.  © Markus Scholz/dpa

Und natürlich versuchen die Karl-May-Spiele, mit der Zeit zu gehen. Die mittlerweile mehr und mehr verpönten "Indianer" tauchen in Bad Segeberg gar nicht mehr auf, sondern eben nur noch die Stämme der Navajos und Nijoras - die aber eigentlich sowieso alle Apachen und damit Brüder sind, auch wenn sie sich zwischenzeitlich bekriegen.

Freundschaft, Liebe und Vergebung sind weiterhin die großen Themen bei Karl May - und der Kampf gegen den "Ölprinz" und für eine saubere Natur klingt hier und da vielleicht sogar ein bisschen nach Fridays for Future.

Der Austausch der Kulturen wird gepriesen - dafür reist Häuptlingssohn Mokasch (Fabian Monasterius, 44) sogar über das "große Wasser" nach good old Germany. Natürlich nicht, ohne eine deutsche Freundin, Lissy (Melanie Böhm, 21), mitzubringen.

Überhaupt: "In Deutschland ist die Hölle los", sagt Rosalie Ebersbach (extralaut: Katy Karrenbauer, 59), die Anführerin der Siedler, ohne weiter darauf einzugehen. Die Zeiten waren hart. Man ist nicht ohne Grund ausgewandert.

Auf jeden Fall sind die deutschen Siedler dankbar, dass sie von den Navajos gastfreundlich aufgenommen werden. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahrhunderten Millionen von Deutschen nach Nordamerika ausgewandert. Ganz so harmonisch wie am Kalkberg war das allerdings nicht immer.

Karl May und die "edlen Wilden"

Rosalie Ebersbach (Katy Karrenbauer, 59, v.l.n.r.), Old Shatterhand (Sascha Gluth, 52), Lissy (Melanie Böhm, 21), Mokasch (Fabian Monasterius, 44) und Sam Hawkens (Jogi Kaiser, 55) beim Pläneschmieden.
Rosalie Ebersbach (Katy Karrenbauer, 59, v.l.n.r.), Old Shatterhand (Sascha Gluth, 52), Lissy (Melanie Böhm, 21), Mokasch (Fabian Monasterius, 44) und Sam Hawkens (Jogi Kaiser, 55) beim Pläneschmieden.  © Markus Scholz/dpa

Und hier kommen wir dann langsam auch zu dem immer wieder mal und auch aktuell erhobenen Rassismusvorwurf gegen Karl May und die diversen Festspiele. Tatsächlich geht es bei den Romanen in erster Linie um Abenteuer und Freundschaft. Rassismus in Wort und Tat wird man nur wenig finden.

Das Problem liegt eher in einer ziemlich stereotypen Darstellung der amerikanischen Ureinwohner voller Vorurteile und Klischees, selbst wenn sie oftmals sogar positiver daherkommt als die der europäischen Einwanderer und ihrer Nachkommen.

Dies überhaupt wahrzunehmen, fällt allerdings schwer. Denn Karl May hat das Bild der amerikanischen Ureinwohner in Deutschland so nachhaltig geprägt, dass es hierzulande längst mit der Realität verschwommen ist.

Wild-West-Zirkus für die ganze Familie

Doch all das spielt bei den Karl-May-Spielen keine Rolle. Die Zuschauer sind gekommen, um mit ihren Kindern eine Zeitreise in ihre eigene Kindheit und den "Wilden Westen" zu unternehmen, der selbst in den USA vor 140 Jahren bereits romantisiert wurde, als es ihn noch gab.

Die Karl-May-Spiele bleiben - im besten Sinne - ein unterhaltsamer Wild-West-Zirkus, mit jeder Menge Tiere von Pferden über Adler bis zu Gänsen, einer Dampflok, Clowns wie Kantor Hampel inklusive Clowns-Auto, Jonglage, Feuer, Explosionen und jeder Menge Spaß für die ganze Familie.

Und jeder weiß: Winnetou darf nicht sterben! Er muss ewig weiter für das Gute kämpfen. Und deswegen werden auch die Karl-May-Spiele die Zeit und jede Kritik überdauern. Ich habe gesprochen!

Titelfoto: Daniel Reinhardt/dpa

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