Katja Riemann diskutiert mit Philosophin und Politikern über Migration

Hamburg - Katja Riemann (59) las am Donnerstagabend im Rahmen des Hamburger Festivals "Lesen ohne Atomstrom" einen Text der ebenfalls anwesenden italienischen Philosophin Donatella Di Cesare (66, "Philosophie der Immigration"). Thema des Abends: "Europa wird sich vor der Geschichte verantworten müssen."

Schauspielerin Katja Riemann las einen Text der Philosophin Donatella Di Cesare (66).
Schauspielerin Katja Riemann las einen Text der Philosophin Donatella Di Cesare (66).  © PubliXviewinG

"So kämpft Europa heute um seine geradezu heiligen Grenzen, seinen nicht erklärten Krieg gegen die Migranten", trug Riemann in der "Fabrik" eindrucksvoll und eindringlich vor. "Wobei der Begriff Krieg nicht die Komplexität dessen wiedergibt, was gegenwärtig mit Menschen auf der Flucht geschieht."

Neben der Schauspielerin und Donatella Di Cesare waren außerdem Giusi Nicolini (62), die ehemalige Inselbürgermeisterin von Lampedusa - wo immer wieder tote Flüchtlinge aus dem Wasser gezogen werden - und Palermos Anti-Mafia-Legende Leoluca Orlando (75) zu Gast, um unter anderem über den italienischen Umgang mit Migration, Flüchtlingspolitik wie auch einen nötigen Perspektivenwechsel zu diskutieren.

Ein Simultan-Übersetzer war ebenfalls vor Ort, um von Deutsch ins Italienische und Retoure zu übersetzen. Eine kleine Herausforderung für den geneigten Zuhörer, der versuchte, Themen wie Pushbacks Flüchtlinge/Migranten und "tödliche Grenzen" zu verdauen und zu verstehen.

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Moderiert wurde die Veranstaltung von Georg Restle (58, "Monitor").

"Europa habe die tödlichsten Grenzen der Welt geschaffen"

Im Zentrum der Gegenerzählung müsse nicht die Perspektive der Staaten, sondern die der Migranten stehen, so Di Cesare.
Im Zentrum der Gegenerzählung müsse nicht die Perspektive der Staaten, sondern die der Migranten stehen, so Di Cesare.  © PubliXviewinG

Der neue Pakt zwischen den Bürgern und Europa könne heutzutage nicht mehr von den Migranten absehen, trug Riemann weiter vor. "Er kann nur inklusiv gedacht werden - als gemeinschaftliches Zusammenwohnen."

Auf dem Weg nach Europa sterben immer wieder Menschen auf den Meeren. Zuletzt kamen mindestens 68 von ihnen vor Kalabrien ums Leben.

"Europa habe die tödlichsten Grenzen der Welt geschaffen", hieß es schon in der Ankündigung der Veranstaltung.

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Giusi Nicolini und Leoluca Orlando fordern offene Grenzen, Donatella Di Cesare "ein neues Zusammenwohnen in unserer globalisierten Welt". Zusammen wohnen, nicht zusammen leben. Es brauche eine neue Erzählung, eine Gegenerzählung für Europa.

Im Zentrum dieser müsse nicht die Perspektive der Staaten, sondern die der Migranten stehen, so Di Cesare.

Katja Riemann: "Willkommenskultur" sei noch immer da

V.l.n.r.: Katja Riemann, Donatella Di Cesare, Leoluca Orlando, Giusi Nicolini und Georg Restle sprachen unter anderem über den italienischen Umgang mit Migration.
V.l.n.r.: Katja Riemann, Donatella Di Cesare, Leoluca Orlando, Giusi Nicolini und Georg Restle sprachen unter anderem über den italienischen Umgang mit Migration.  © PubliXviewinG

Katja Riemann ist seit mehr als 20 Jahren als UNICEF-Botschafterin aktiv. Warum es kaum noch gelingt, "die Herzen der Menschen zu erreichen", sie zu einem Umdenken/Perspektivenwechsel bewegen?

Die Menschen der "Willkommenskultur" seien nicht weg, die Geschichten würden nur nicht mehr erzählt und multipliziert, so Riemann.

"Wenn wir uns unsere eigene Vulnerabilität anschauen, wie schnell auch wir zu so einer Person werden könnten, dann glaube ich, müssen wir nicht Angst haben, dass wir etwas verlieren, sondern dass wir uns daran bereichern. Dazu brauchen wir aber die positiven Geschichten, und die hören wir nicht."

Die vorherrschende Erzählung sei eine der Angst, so Georg Restle. Wie kann man eine Gegenerzählung entwickeln, mit der man auch die Köpfe erreicht? "Ich glaube, das Erste ist, dass Menschen vielleicht mehr sichtbar sein könnten, auf den Bühnen, und den Bildschirmen. Dass wir nicht über Menschen reden, sondern mit ihnen."

Restle fasste den Abend wie folgt zusammen: "Wir leben in einer Welt in Bewegung. Wir leben in einer Welt in Migration, und Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und diese Realitäten anzuerkennen, wird vielleicht der Anfang für eine Gegenerzählung, die den Leuten auch klarmacht, dass es eine positive, eine gute Geschichte, die nicht von uns geleitet ist", erklärte der 58-Jährige.

"Und es ist auf jeden Fall die bessere Geschichte."

Titelfoto: PubliXviewinG

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