50 Jahre nach hinterhältigem Mord: Prozess gegen Leipziger Stasi-Killer beginnt

Berlin/Leipzig - Der tödliche Schuss an dem belebtesten Grenzübergang zwischen Ost und West, dem Bahnhof Friedrichstraße, liegt fast auf den Tag 50 Jahre zurück. Am 29. März 1974 soll der Ex-Stasi-Mitarbeiter Manfred N. einen polnischen Familienvater erschossen haben. Ab Donnerstag (14. März) steht der heute 80-Jährige in Berlin vor Gericht – die Staatsanwaltschaft hat den Leipziger wegen heimtückischen Mordes angeklagt.

Mutmaßlicher Auftrags-Killer: Manfred N. (80) gehörte 1974 als Stasi-Leutnant einer "Operativgruppe für Spezialaufträge" an.
Mutmaßlicher Auftrags-Killer: Manfred N. (80) gehörte 1974 als Stasi-Leutnant einer "Operativgruppe für Spezialaufträge" an.  © Ralf Seegers

Es ist ein Prozess von historischer Bedeutung. Das Berliner Landgericht hat nach dem Mauerfall Geschichte geschrieben mit Prozessen zu den Toten an der innerdeutschen Grenze. Nun könnte das erneut der Fall sein.

Der damalige Oberleutnant N. soll einer Operativgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit angehört haben – und den Polen Czeslaw Kukuczka (†38) auf Befehl erschossen haben.

Erst 2023 sah die Berliner Staatsanwaltschaft eine Chance, den Fall vor Gericht zu bringen. Nach Angaben von Sprecher Sebastian Büchner sind die Ermittlungen über viele Jahre nicht vorangekommen.

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Erst 2016 habe es einen entscheidenden Hinweis zur Identität des Schützen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv gegeben, erklärte er. Zunächst sei man jedoch von einem Totschlag ausgegangen. In diesem Fall wäre die Tat verjährt gewesen.

Inzwischen sieht die Staatsanwaltschaft jedoch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Dieser Argumentation ist das Gericht bislang gefolgt und ließ die Anklage ohne Einschränkungen zu.

Kinder des Getöteten treten als Nebenkläger auf

In diesem unterirdischen Grenztunnel im Bahnhof Berlin-Friedrichstraße soll Manfred N. Czeslaw Kukuczka (†38, kl. F.) hinterrücks erschossen haben.
In diesem unterirdischen Grenztunnel im Bahnhof Berlin-Friedrichstraße soll Manfred N. Czeslaw Kukuczka (†38, kl. F.) hinterrücks erschossen haben.  © Montage: dpa-ZB/Krisch + Archiv

Laut Anklage soll der Ex-Stasi-Mitarbeiter an jenem 29. März 1974 das 38 Jahre alte Opfer "mit einem gezielten Schuss in den Rücken aus einem Versteck heraus" getötet haben. Der Sachse soll mit der "Unschädlichmachung" des Polen beauftragt worden sein.

Zuvor soll dieser in der polnischen Botschaft versucht haben, seine Ausreise nach West-Berlin zu erzwingen. Die Stasi soll dann zum Schein entschieden haben, dem 38-Jährigen die Ausreise zu genehmigen.

Dafür soll er auch die entsprechenden Ausreisedokumente bekommen haben und Ministeriumsmitarbeiter begleiteten ihn zum damaligen Sektorenübergang am Bahnhof Friedrichstraße.

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Als er dort jedoch am frühen Nachmittag des Märztages den letzten Kontrollpunkt passiert hatte, fiel der Schuss.

Die Familie des Getöteten ist sich sicher, dass der damals 31-jährige Oberleutnant im Auftrag der Stasi gehandelt hat. Kinder des Mannes – ein Sohn und eine Tochter – treten im Verfahren als Nebenkläger auf.

Mordprozess wird wegen seiner Bedeutung aufgezeichnet

Das Mordopfer Czeslaw Kukuczka (l.) wollte nach Amerika auswandern und musste dafür sterben.
Das Mordopfer Czeslaw Kukuczka (l.) wollte nach Amerika auswandern und musste dafür sterben.  © INR

"Das ist der erste Fall, in dem ein ehemaliger Mitarbeiter der DDR-Staatsorgane aufgrund einer Gewalthandlung an der Grenze wegen Mordes angeklagt wird", sagte Historiker Gerhard Sälter, Leiter der Abteilung Forschung und Dokumentation in der Stiftung Berliner Mauer.

Bis zum Jahr 2004 wurden 130 Personen rechtskräftig verurteilt – vom einfachen Mauerschützen bis zu hochrangigen Vertretern aus Politik und Militär.

Wegen der "herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung" für die Bundesrepublik Deutschland wird das neue Verfahren aufgezeichnet, wie Gerichtssprecherin Lisa Jani sagte. "Die Tonaufnahmen werden laut Gesetz ausschließlich dem Landesarchiv zur Verfügung gestellt." Möglich sind solche Aufzeichnungen seit 2018.

Bislang hat das Gericht bis zum 23. Mai insgesamt sieben Verhandlungstage geplant. Zum Prozessauftakt ist den Angaben nach unter anderem ein Kriminalhauptkommissar geladen.

Der Angeklagte hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Titelfoto: Montage: Ralf Seegers + Archiv

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