Prozess um ertrunkene Geschwister (†5, †8, †9) neu aufgerollt: Trägt Ex-Bürgermeister Mitschuld?

Marburg/Neukirchen - Im Sommer 2016 ertranken drei Geschwister in einem Teich im nordhessischen Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis). Das Amtsgericht Schwalmstadt befand, Klemens Olbrich (65, CDU), der damalige Bürgermeister, sei mitschuldig an dem Unglück. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt.

Klemens Olbrich (r., 65) unterhält sich vor dem Landgericht Marburg mit einem Anwalt: Der Fall um seine Mitschuld am Tod der drei Kinder wird neu aufgerollt.
Klemens Olbrich (r., 65) unterhält sich vor dem Landgericht Marburg mit einem Anwalt: Der Fall um seine Mitschuld am Tod der drei Kinder wird neu aufgerollt.  © Nadine Weigel/dpa

Der "tragische Unglücksfall" begleite ihn sein ganzes Leben, sagte Olbrich vor dem Landgericht Marburg, wo am heutigen Mittwoch der Berufungsprozess begann.

Er bekräftigte am ersten Verhandlungstag, er habe den Teich nicht als gefährlich wahrgenommen. "Es gab keine Hinweise aus der Bevölkerung, auch nicht von professionellen Dritten."

Die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen sei nie ein Thema gewesen. "Dass Wasser per se gefährlich ist, das weiß man ja", erklärte er. Aber über diese abstrakte Gefahr hinaus habe es keine Wahrnehmung gegeben.

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Im Juni 2016 waren die drei Geschwister im Alter von 5, 8 und 9 Jahren in dem Teich im Neukirchener Ortsteil Seigertshausen ertrunken. Die Familie verlor drei ihrer seinerzeit sechs Kinder.

Die Anklage geht davon aus, dass mindestens ein Kind beim Spielen ins Wasser fiel und die anderen beim Versuch, Hilfe zu leisten, ebenfalls verunglückten. Wegen der gepflasterten und rutschigen Uferböschung hätten sie sich nicht retten können.

Versicherung machte Ex-Bürgermeister auf die Gefahr aufmerksam

Mittlerweile ist der Löschteich im Ortsteil Seigertshausen eingezäunt.
Mittlerweile ist der Löschteich im Ortsteil Seigertshausen eingezäunt.  © Stadt Neukirchen/dpa

Das Amtsgericht Schwalmstadt befand, Olbrich habe die Verkehrssicherungspflicht für den Teich verletzt. Die Wasserstelle habe erhebliches Gefahrenpotenzial aufgewiesen, das der Bürgermeister habe erkennen können.

Wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen wurde der heute 65-Jährigen im Februar 2020 verurteilt und das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 12.000 Euro (120 Tagessätze zu 100 Euro) zur Bewährung auf zwei Jahre. Sowohl Olbrich als auch die Staatsanwaltschaft Marburg legten Berufung ein.

Am Mittwoch stand zunächst ein Schreiben der GVV Kommunalversicherung vom April 2014 im Mittelpunkt. Darin schätzte die Mitgliederversicherung für Städte, Gemeinden, Kreise, kommunale Unternehmen und Sparkassen den Teich auf die Anfrage eines Verwaltungsmitarbeiters der Stadt hin als verkehrsgefährlich ein.

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Aus haftungsrechtlichen Gründen empfahl sie der Kommune, das Gelände einzuzäunen beziehungsweise abzusichern.

Schreiben trägt Sichtvermerk des Ex-Bürgermeisters

Die drei Geschwister im Alter von 5, 8 und 9 Jahren waren beim Spielen in dem Löschteich ertrunken.
Die drei Geschwister im Alter von 5, 8 und 9 Jahren waren beim Spielen in dem Löschteich ertrunken.  © Uwe Zucchi/dpa

Olbrich will den Inhalt des Schreibens erst im März 2020, und somit erst kurz nach dem Urteil des Amtsgerichtes, zur Kenntnis genommen haben. Zwar sei ihm der Brief 2014 "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" vorgelegt worden - darauf lässt auch ein Sichtvermerk Olbrichs in Form eines roten Striches schließen.

Aber er habe weder auf den Betreff noch auf den Inhalt geschaut, sondern lediglich das Logo des Versicherers wahrgenommen. Er sei davon ausgegangen, es handle sich um ein "normales Versicherungsschreiben" und habe es an die zuständige Abteilung weitergeleitet. Auch habe er nicht vermerkt, um Rücksprache zu bitten, wie sonst üblich in fraglichen Fällen, erklärte er.

"Ich ging davon aus, dass das Schreiben in der zuständigen Abteilung bearbeitet wird", so Olbrich weiter. In der Folge sei niemals jemand mit dem Anliegen auf ihn zugekommen.

Der 65-Jährige betonte, andernfalls wären Maßnahmen eingeleitet worden. "Natürlich hätten wir das gemacht. Das ist unser täglich Brot."

Blumen und Kerzen hatten am Teich lange an das Unglück erinnert.
Blumen und Kerzen hatten am Teich lange an das Unglück erinnert.  © Uwe Zucchi/dpa

Er könne nicht erklären, warum das Schreiben nicht bearbeitet wurde. Erst im März 2020 sei das Dokument ihm dann zur Kenntnis gebracht worden. Er habe damals ein paar freie Tage gehabt. Anschließend habe ihn sein Vertreter auf das Schreiben aufmerksam gemacht.

Den Verdacht, er habe den Brief bewusst zurückgehalten, wies Olbrich vehement zurück. "Ich muss nichts vertuschen, es gab keinen Plan. Hätte ich das Schreiben früher gekannt, hätte es auf den Tisch gehört."

Drei weitere Verhandlungstage hat das Landgericht Marburg bislang eingeplant.

Titelfoto: Bild-Montage: dpa/Uwe Zucchi, dpa/Nadine Weigel

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