Prozess um Vierfach-Mörder von Solingen: Brisanter Hinweis sorgt für Skandal

Von Frank Christiansen

Wuppertal - Im Prozess um den Vierfachmord von Solingen ist ein brisanter Vermerk aufgetaucht. Demnach hatte die Polizei den mörderischen Brandanschlag einen Monat nach der Tat als politisch rechts motiviert eingestuft, teilten die Nebenklage-Anwälte des Verfahrens mit.

Bei dem Brandanschlag am 25. März 2024 in Solingen hatte der Angeklagte eine vierköpfige Familie aus Bulgarien ausgelöscht.
Bei dem Brandanschlag am 25. März 2024 in Solingen hatte der Angeklagte eine vierköpfige Familie aus Bulgarien ausgelöscht.  © Federico Gambarini/dpa

Darüber seien sie vom Vorsitzenden Richter informiert worden.

Der bislang unbekannte Vermerk sei erst jetzt nachgereicht worden. Die ursprüngliche Ein- und Zuordnung sei im Nachhinein handschriftlich von einem Beamten abgeändert worden und dadurch nicht Bestandteil der Akte geworden.

"Für uns ist es ein Skandal, wie dieses Verfahren von den Ermittlungsbehörden bislang geführt wurde und dem Gericht und unseren Mandanten wichtige Informationen und Aktenbestandteile vorenthalten wurden", kritisierten die Anwälte.

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Sie forderten die Ermittlungsbehörden auf, dem Gericht und den Nebenklägern endlich alle Informationen unverzüglich und vollständig zur Verfügung zu stellen. Nur so sei eine korrekte Bewertung der Tatmotive des Täters möglich.

Mit der bisherigen Salamitaktik werde das Verfahren durch die Ermittlungsbehörden zeit- und kostenintensiv verzögert und es entstehe der verheerende Eindruck, dass eine vollständige Aufklärung der Hintergründe der Tat nicht gewünscht sei.

Richter Jochen Kötter räumt ein: "Darf nicht passieren!"

Der Vorsitzende Richter Jochen Kötter zeigte sich über die neue Entwicklung erstaunt.
Der Vorsitzende Richter Jochen Kötter zeigte sich über die neue Entwicklung erstaunt.  © Oliver Berg/dpa-Pool/dpa

Nebenklage-Vertreterin Seda Başay-Yildiz hatte bereits vor Wochen den Verdacht geäußert, dass genau jenes Beweismaterial zurückgehalten worden sei, das auf eine rechtsradikale Gesinnung und ein entsprechendes Motiv des Angeklagten deuten könne.

Im Laufe des Prozesses waren ein rassistisches Gedicht aus der Garage des Angeklagten, NS-Literatur, ein rassistischer Chat mit seiner Freundin und 166 Dateien mit rechtsextremem Inhalt auf einer Festplatte aufgetaucht.

Auch der Vorsitzende Richter Jochen Kötter hatte sich erstaunt gezeigt: "Ich könnte da auch aus der Haut fahren, wenn ich das sehe", hatte er gesagt. "Ich muss Ihnen zugestehen, dass das nicht passieren darf." Die Ermittler hatten argumentiert, das Meiste sei dem Angeklagten nicht eindeutig zuzuordnen und deswegen aussortiert worden.

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Wuppertals Polizeipräsident hatte nach der Festnahme des geständigen Angeklagten gesagt, dass es keine Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund gibt.

Zwei kleine Kinder und die Eltern sterben in den Flammen

Die Anwälte der Angehörigen hatten darauf hingewiesen, dass in den vom geständigen Angeklagten angezündeten Häusern fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund gelebt hätten. Eine der Brandstiftungen sei am Jahrestag der Pogromnacht gewesen. Der mutmaßliche Mörder und Brandstifter hat bereits umfassend gestanden.

Bei dem tödlichen Feuer am 25. März 2024 starb in Solingen eine bulgarische Familie im Dachgeschoss - die 28 und 29 Jahre alten Eltern und ihre beiden Töchter im Alter von drei Jahren sowie wenigen Monaten.

Titelfoto: Federico Gambarini/dpa

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