Gutachten: Amokfahrer von Magdeburg ist rechtsextremer Terrorist
Magdeburg - Einem Gutachten zufolge war der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt - anders als bisher eingeschätzt - politisch motivierter Terrorismus.

40 Seiten lang ist das Dokument von Sozial- und Islamwissenschaftler Hans Goldenbaum. Er fertigte es für den Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt an, wie WELT am Dienstag berichtete.
Goldenbaum hat knapp 2000 Tweets des Täters Taleb A. (50) aus den zwölf Wochen vor dem Anschlag und mehrere hundert seiner Beiträge seit 2016 analysiert.
Das Ergebnis: Der Generalbundesanwalt und das Landeskriminalamt haben den Todesfahrer falsch eingeschätzt - er sei alles andere als ein Einzelgänger ohne klare Ideologie.
In fast 90 Prozent seiner Posts kritisierte der saudi-arabische Arzt den Islam und Migration. Er glaubte an die Verschwörungstheorie, dass "westliche Regierungen, allen voran die deutsche, eine geheime Agenda der 'Islamisierung' Europas vorantrieben", heißt es.
Die AfD lobte er, während er die Linken als "verrückt" bezeichnete. Daneben stand er mit vielen internationalen rechtsextremen Akteuren in Kontakt, teilte etliche Beiträge von Tommy Robinson, Geert Wilders und Propaganda-Kanälen wie "Radio Genoa".
Außerdem kündigte er seine Tat über Monate an, schrieb offen über Gewaltfantasien.
Taleb A.: "Was ist die Alternative zum Sprengen und Abschlachten?"

Am 8. Mai 2024 schrieb Taleb A., dass er erwarte, dieses Jahr zu sterben. "Der Grund: Ich werde um jeden Preis Gerechtigkeit bringen. Und die deutschen Behörden behindern alle friedlichen Wege zur Gerechtigkeit."
Dazu kam am 21. August die Frage: "Was ist die Alternative zum Sprengen und Abschlachten, wenn man in Deutschland die Gerechtigkeit sucht? Wo ist die friedliche Alternative?"
Nur sechs Wochen vor dem Anschlag veröffentlichte er dann politische Forderungen im Namen der "liberalen saudischen Opposition".
Darin verlangte er unter anderem, deutsche Grenzen gegen illegale Einwanderung zu schützen, Religionsbeschimpfung zu legalisieren und Merkels Plan, "Europa zu islamisieren", zu beenden.
Auch hetzte er gegen den Kölner Verein "Säkulare Flüchtlingshilfe Deutschland", mit welchem er jahrelang im Streit stand.
Opfer und Angehörige könnten Anspruch auf Entschädigungen haben

Die Beiträge des Todesfahrers aus August und November schätzt das Gutachten als "manifestartige Erklärungen" ein.
Mit Aussagen wie "Wenn Deutschland einen Krieg will, werden wir ihn führen. Wenn Deutschland uns töten will, werden wir sie abschlachten" zeichnete er sein Feindbild.
Taleb A. war der Meinung, dass Deutschland wegen der vermeintlichen Islamisierung Europas "zur Verantwortung gezogen werden" müsse.
Das Gutachten geht auch darauf ein, dass Paranoia und Narzissmus seine Tat begünstigten.
Die Analyse zeige letztlich, dass die Tat eindeutig politisch motiviert und terroristisch gewesen sei.
Das dürfte auch für die Opfer und Angehörigen interessant sein: Denn sollte der Anschlag entsprechend eingestuft werden, haben sie Anspruch auf Entschädigungen aus Fonds für Terroropfer.
Titelfoto: IMAGO/Hanno Bode