Lautsprecher-Erfinder (78): Der verkannte Ardenne aus dem Leipziger Land

Geithain - Er ist der Akustik-Gott des guten Klangs, gab zeitlebens den Ton an. Dennoch ist Dauer-Erfinder Joachim Kiesler (78) nie so bekannt geworden wie sein Kollege Manfred von Ardenne (†90) in Dresden.

"Ich will wissen, ob's noch geht": Wie andere im Alter Kreuzworträtsel lösen, lötet Kiesler regelmäßig mal eine Radioplatine zusammen.
"Ich will wissen, ob's noch geht": Wie andere im Alter Kreuzworträtsel lösen, lötet Kiesler regelmäßig mal eine Radioplatine zusammen.  © Ronald Bonss

Im unscheinbaren, knapp 7 000 Seelen zählenden Ort Geithain (bei Leipzig) baute er eher still und leise eine Lautsprecher-Dynastie auf. Auf dem Weg zu seiner Erfindung von Super-Lautsprecher fielen immer wieder andere Entdeckungen ab. Jetzt wurde Kiesler mit der Ehrenmedaille des Verbandes Deutscher Tonmeister für sein Lebenswerk geehrt.

Klein-Joachim kam als Aussiedler aus Schlesien nach Geithain - und blieb ein Leben lang. "Als Kind wollte ich unbedingt Radio hören, doch wir konnten uns kein Gerät leisten."

Also lötete er sich als 12-Jähriger sein erstes eigenes Radio zusammen. Um danach Geld für die Bauteile eines eigenen Tonbandgerätes zusammenzubekommen, reparierte er in der Nachbarschaft Radio- und Fernsehgeräte.

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Wie Dr. House in der Fernsehklinik wurde er zu hoffnungslosen Fällen gerufen - und konnte sie mittels viel Geschick und Durchhaltevermögen wieder zum Laufen bringen.

In Borna lernte er Rundfunkmechaniker, gründete im Mai 1960 als 18-Jähriger seine eigene Firma. Tüfteln und immer wieder Neues erfinden, das ist sein Leben. Kiesler baute zum Beispiel den ersten Transistor-Mikrofonverstärker der DDR. Oder er ersann die erste elektronische Kirchenorgel. Eine erklang jahrzehntelang im Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau (bei Bautzen). Anschaffungspreis: 20. 000 DDR-Mark plus 10. 000 Mark für die raffinierten Lautsprecher. "Sie strahlten den Ton über zwölf Flächen in den Kirchenraum", sagt Kiesler.

Gummi geben für Trabi und Wartburg

Kiesler mag klassische Musik, spielt selber Klavier: Auf dieser neuartigen Kiesler-Orgel spielten einst die Zisterzienserinnen im Kloster St. Marienstern.
Kiesler mag klassische Musik, spielt selber Klavier: Auf dieser neuartigen Kiesler-Orgel spielten einst die Zisterzienserinnen im Kloster St. Marienstern.  © Ronald Bonss

Weil der DDR Devisen für Gummi fehlten, mixte er Ende der 1970er-Jahre in einer Nacht- und Nebelaktion erst eine Art Schaumstoff für die gummierte Randaufhängung von Lautsprechern, baute dann gleich einen ganz neuen Typus.

Der hatte bei gleicher Größe doppelt so viel Power und beschallte fortan Ausfahrten in Trabi und Wartburg. Im Fernmeldewerk Arnstadt wurde er bis zur Wende eine Million Mal gebaut.

Als im Geithainer Land dann nacheinander vier Silos durch Selbstentzündung von Getreide abfackelten, baute Kiesler eine Alarmanlage mit zig Messthermometern. Um sie auch produzieren und an LPGs verkaufen zu können (Einzelpreis: 7 000 DDR-Mark), durfte er mit seiner Firma in das ehemalige Klostergebäude der Stadt einziehen - eine seinerzeit leerstehende Kneipe und Garküche am Geithainer Marktplatz.

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Die Klosterzellen wurden zum Experimentallabor für Kieslers größte Idee. Die begann mit einem Fehlkauf. "Ich legte mir teure DDR-Studiolautsprecher zu, wollte Händels 'Messias' hören. Doch dabei musste ich enttäuscht feststellen, dass der Klang der 8 000 Mark teuren Boxen völlig ungeeignet war." Also griff er wieder zu Lötkolben und Elektroplatinen und tüftelte bis zum persönlichen Halleluja: Statt wie bislang üblich die Tief-, Mittel- und Hochton-Lautsprecher nebeneinander anzuordnen, baute Kiesler sie einfach auf einer Linie hintereinander an. "Damit wird zum Beispiel der Klang einer Trompete nicht mehr in drei Teile zerlegt, sondern kommt aus einem Punkt. Ganz natürlich. So wie im wahren Leben."

Doch eigentlich würden sich solche direkt übereinander gepflanzten Lautsprecher selber im Klangbild stören. Warum sie es nicht tun, das ist der akustische Kiesler-Trick und das streng gehütete Betriebsgeheimnis der Lautsprecherschmiede.

Heute arbeiten in der Musikelectronic Geithain GbmH 15 Mitarbeiter. Kiesler ist wie ein Vater für sie. Doch weil er selbst keine Kinder hat, erben einmal vier seiner Mitarbeiter die Firma. Doch bis dahin kämpft er weiter mit seinen zwei "Produktproblemen", wie er sagt: "Einerseits sind meine Lautsprecher zu gut, halten ewig und brauchen nach 20 Jahren höchstens eine Generalüberholung. Andererseits sind sie für Oligarchen zu billig. Sie denken, was pro Stück 'nur' 20. 000 Euro kostet, könne doch nicht perfekt sein", schmunzelt der ewige Tüftel-Fuchs.

Standen einst beim Rundfunk der DDR und beim VEB Deutsche Schallplatten Berlin: Produktionsleiter Tino Grießbach (36) prüft die Kiesler-Boxen, bevor sie in Gehäuse eingebaut werden.
Standen einst beim Rundfunk der DDR und beim VEB Deutsche Schallplatten Berlin: Produktionsleiter Tino Grießbach (36) prüft die Kiesler-Boxen, bevor sie in Gehäuse eingebaut werden.  © Ronald Bonss

Titelfoto: Ronald Bonss

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