Cansu Özdemir zur deutschen Türkei-Politik: "Das muss aufhören"

Hamburg - Die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft Cansu Özdemir (34) spricht im TAG24-Interview über die bevorstehenden Wahlen in der Türkei am kommenden Sonnabend.

Die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Linken Cansu Özdemir (34) in ihrem Büro.
Die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Linken Cansu Özdemir (34) in ihrem Büro.  © Oliver Wunder/TAG24

TAG24: Ist Rot-Rot-Grün in Hamburg, mit einer traditionell konservativen SPD und einer Grünen-Partei, die sich von ihrer einstigen Stammwählerschaft entfernt hat, für die Linke überhaupt eine Option?

Cansu Özdemir: Ich bin nicht strikt gegen Regierungsbeteiligungen. In Berlin lief es gut, die SPD wollte die Koalition aber nicht weiterführen und hat sich der CDU angedient. Auch in Thüringen und Bremen läuft es super. In Hamburg sieht es da in der Tat schon anders aus. Hier haben wir es, wie Sie sagten, mit einer SPD zu tun, die konservativer ist als anderswo und einer Grünen-Partei, mit der nicht einmal ein NSU-Untersuchungsausschuss durchsetzbar gewesen ist. Die Koalitionsfrage ist eine Diskussion, die in der Partei und mit der Basis geführt werden muss. Und dazu gehört auch die Entscheidung, wo, wann und mit wem koaliert wird.

TAG24: Am 14. Mai wird in der Türkei gewählt. Sie, Frau Özdemir, sind kurdischer Abstammung und bekannt für Ihr politisches Engagement für eine Vision der Türkei ohne Präsident Recep Tayyip Erdoğan (69). Was bedeutet die anstehende Wahl für die Türkei und die türkischen und kurdischen Mitbürger in Deutschland?

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Özdemir: Viele Menschen sind sehr aufgeregt, denn es besteht bei dieser Wahl eine realistische Chance, Erdoğan abzuwählen. Aktuelle Umfragen zeigen auch, dass Erdoğans Gegenkandidat Kemal Kilicdaroglu (74, CHP) ein paar Prozentpunkte vor dem Präsidenten liegt. Er verhält sich momentan sehr still, das bedeutet nichts Gutes. Erdoğans Stille ist kein gutes Zeichen. Wir wissen alle, wozu er in der Lage ist.

In der Vergangenheit hat er öfter kurz vor den Wahlen einen völkerrechtlichen Angriffskrieg begonnen oder irgendwo ist eine Bombe explodiert.

Cansu Özdemir: Stimmung vor der Wahl angespannt und euphorisch

Fordert eine veränderte Politik der Bundes- und einiger Landesregierungen gegenüber der AKP: Cansu Özdemir.
Fordert eine veränderte Politik der Bundes- und einiger Landesregierungen gegenüber der AKP: Cansu Özdemir.  © Oliver Wunder/TAG24

TAG24: Haben Sie persönlich Angst davor oder nehmen Sie eine entsprechende Stimmung wahr?

Özdemir: Die Stimmung, die ich bei Familie und Freunden in der Türkei wahrnehme, ist sehr angespannt und gleichzeitig euphorisch. Viele Leute sind sehr wütend, weil sich die Regierung nach dem Erdbeben bewusst entschieden hat, in den meisten Regionen nicht zu helfen und stattdessen das Erdbebengebiet in Rojava (Syrien) zu bombardieren.

Diese Wut hat auch dazu geführt, dass nun Menschen zusammengekommen sind, die politisch voneinander entfernt sind. Und das ist erst einmal eine gute Entwicklung. Ich selbst kann ja nicht mehr in die Türkei reisen, ich bin allerdings wahlberechtigt und habe meine Stimme im Konsulat in Hamburg abgeben.

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TAG24: Wie fühlt sich diese Wahl für die Kurden an?

Özdemir: Für die Kurden ist es nicht so einfach, Kemal Kılıçdaroğlu zu wählen. Die Kurden treten ja nicht als HDP an, sondern als ein Bündnis verschiedener Parteien und unterstützen Kılıçdaroğlu. Er hat leider auch dafür gestimmt, dass der Militärhaushalt erhöht wird oder die Immunität von Abgeordneten aufgehoben wird und in der Folge viele HDP-Abgeordnete ins Gefängnis gekommen sind. Doch er ist die einzige realistische Chance, Erdoğan abzuwählen und das ist jetzt das wichtigste Ziel.

Ich finde, die Politik der Bundes- und einiger Landesregierungen gegenüber der AKP muss sich dringend verändern.

Die Linke-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir lud zum Termin mit TAG24 in die Räumlichkeiten ihrer Partei.
Die Linke-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir lud zum Termin mit TAG24 in die Räumlichkeiten ihrer Partei.  © Oliver Wunder/TAG24

Cansu Özdemir bemängelt deutsche Türkei-Politik

Cansu Özdemir kritisiert den Umgang deutscher Politiker mit Vertretern der türkischen AKP, insbesondere vor anstehenden Wahlen in der Türkei. (Archivbild)
Cansu Özdemir kritisiert den Umgang deutscher Politiker mit Vertretern der türkischen AKP, insbesondere vor anstehenden Wahlen in der Türkei. (Archivbild)  © Christian Charisius/dpa

TAG24: Inwiefern?

Özdemir: Es darf nicht sein, dass die Lobbyorganisation UID hier in Deutschland weiter Wahlkampf macht. Dass beispielsweise Busse organisiert werden, die Menschen von Kiel nach Hamburg zu Veranstaltungen bringen. Da steckt ja nicht die UDI dahinter, sondern die AKP und die muss hier, finde ich, auch mal ausgebremst werden.

TAG24: Also zeigen sich die politischen Verantwortlichen hier auch auf einem Auge blind?

Özdemir: Total. Damals hieß es, Annalena Baerbock würde jetzt klare Kante gegen die Türkei zeigen. Aber das erste, was sie damals gepostet hat, war ein Bild mit Mevlüt Çavuşoğlu - dem Außenminister, mit dem sie die Freundschaft zwischen Deutschland und der Türkei gefeiert hat. Von daher ist das Vertrauen in die Bundesregierung bei den Menschen, die verfolgt werden, nicht sehr stark.

Für das Hofieren vor einer Wahl durch deutsche Politiker gibt es viele Beispiele. Auch wird immer wieder zwischen guten und bösen Bomben unterschieden, wie von Baerbock, als sie mit Nancy Faeser die Türkei besucht hat und dort die Bombardements von Baschar al-Assad kritisierte, die von Erdoğan allerdings nicht. Das muss aufhören.

Titelfoto: Oliver Wunder/TAG24

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