Der plötzliche Aufstieg der AfD: "Diese Partei ist außer Kontrolle"

Berlin - Es war der entscheidende Katalysator für die AfD: Im Sommer 2015 strömten Hunderttausende Asylbewerber nach Deutschland. Während es zunächst eine große Welle der Hilfsbereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung gab, machte sich plötzlich Krisenstimmung breit und Gegenproteste formierten sich. Die Stunde der bis dato wenig erfolgreichen AfD war gekommen.

Beatrix von Storch (54, AfD) packt in einer ZDF-Doku über die Anfänge ihrer Partei aus.
Beatrix von Storch (54, AfD) packt in einer ZDF-Doku über die Anfänge ihrer Partei aus.  © ZDF/Ariane Riecker

"Der Satz 'Wir schaffen das' war die zweite Geburtshilfe für die AfD. Die Reanimierung, der Herzschrittmacher", erklärt Ex-AfD-Mitglied Steffen Königer (52) in der neuen ZDF-Doku "AfD - Aufstieg in der Flüchtlingskrise".

Die Partei sei vor zehn Jahren mit ihren drei Prozent "eigentlich tot" gewesen. "Doch dann kam die große Rettung durch Frau Merkel", sagt Königer in Anspielung auf die von der Ex-Kanzlerin akzeptierte Massenaufnahme von Flüchtlingen.

"Migration ist ein Traumthema für Populisten, weil es so ein Spaltungspotenzial in der Gesellschaft hat und dadurch eben auch die Möglichkeit gibt, dort neue Wähler zu gewinnen", so die Einordnung von Victoria Rietig, Migrationsforscherin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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Hinzu kam damals ein dominantes Problem: Der kontroverse Streit in der Bevölkerung über die Flüchtlingsthematik und den Islamismus spiegelte sich durch die parteiübergreifende, große Mehrheit nicht im Deutschen Bundestag wider.

Diesen Umstand wusste die außerparlamentarische Opposition für sich zu nutzen. "Wir haben es in der Programmatik adressiert, haben Kampagnen gemacht und Demonstrationen organisiert", erklärt Beatrix von Storch (54), seit Anbeginn Teil der AfD.

Ex-AfDler André Poggenburg und seine Anhänger trieben Umbruch voran

Ex-AfD-Politiker André Poggenburg (50) war prägendes Gesicht des Flügels.
Ex-AfD-Politiker André Poggenburg (50) war prägendes Gesicht des Flügels.  © ZDF/Ariane Riecker

Es begann die Herbstoffensive des AfD-Flügels, der eine patriotischere Ausrichtung forderte. "Da wir diesen Umbruch in der Partei hatten und die losgeworden sind, die uns immer gehemmt haben, haben wir dann auch Gas gegeben", berichtet der damalige Demo-Initiator und mittlerweile parteilose Rechtsextremist André Poggenburg (50).

Seine Anhänger verstanden sich als Gegengewicht zum Parteivorsitzenden Bernd Lucke (63), der gemäßigte Positionen hinsichtlich der Migrationspolitik vertrat und daher später bei einer Neuwahl seinen Posten räumen musste.

Befeuert wurde die ohnehin immer stärker werdende Radikalisierung der AfD durch das Schlüsselereignis der Kölner Silvesternacht 2015, als es zu sexuellen Übergriffen von nordafrikanischen und arabischen Tatverdächtigen kam.

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"Aus meiner Sicht war die Silvesternacht der Kipppunkt, wo danach zum ersten Mal auch medial eine große Debatte über die Kriminalität von Ausländern losging [...]", erklärt Forscherin Rietig. Verstärkt gingen Menschen auf die Straße und taten ihre Wut kund - zunächst gegen die Polizei.

Journalist Justus Bender über Le-Pen-Aussage zur AfD: "Diese Partei ist außer Kontrolle"

Autor Justus Bender (44) warnt vor der weiteren Entwicklung der AfD. (Archivbild)
Autor Justus Bender (44) warnt vor der weiteren Entwicklung der AfD. (Archivbild)  © imago/teutopress

Die AfD erkannte das Angst-Potenzial und stieg darauf ein. "Merkel ist schuld", schrieb etwa der rechtsextreme Björn Höcke (53). Von Storch polterte: "Integration gescheitert. Rechtsstaat gescheitert. Merkel gescheitert."

In gleicher provokanter Tonalität ging die Partei schließlich auf Stimmenfang für die Landtagswahlen. "Allein die Aussage 'Deutschland den Deutschen - Wem denn sonst' war Teil unseres Wahlkampfes", erzählt Poggenburg, von 2014 bis 2018 Vorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt.

Die Rechnung ging auf: Mit starken Ergebnissen zog die Partei im März 2016 in erste Parlamente ein, wurde in Sachsen-Anhalt sogar zweitstärkste Kraft.

Insbesondere die Ostverbände trugen die islam- und ausländerfeindliche Haltung in die Gesamt-AfD. Bei einem Parteitag im April 2016 wurden nach der Abwahl von Lucke die zentralen Weichen gestellt. So sagte man etwa im Grundsatzprogramm dem Islam den Kampf an.

"Da ging es nicht um Salafisten oder Islamisten, sondern einfach um Menschen, die muslimischen Glaubens waren", betont FAZ-Journalist und langjähriger AfD-Kenner Justus Bender (44). Der radikale Flügel sei bis heute voll anerkannt.

Seine Einschätzung zum aktuellen Zustand der AfD: "Wie ein Geisterfahrer unter den rechtspopulistischen Parteien. Es gibt einen Grund, warum Frau Le Pen nichts mehr mit der AfD machen will. Sie hat gesagt, dass die Partei nicht geführt wird. Das war ein sehr interessantes Argument - das war der Hinweis: Diese Partei ist außer Kontrolle."

Die vollständige Doku wird am Dienstag um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt. Jederzeit steht die rund 43-minütige Sendung auch in der Mediathek auf Abruf bereit.

Titelfoto: imago/teutopress

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