Schon wieder Feuerwerksverbot: Sind Raketen und Böller wirklich so gefährlich?

Berlin - Das Böllerverbot geht in die zweite Runde: Aus Sorge um die zusätzliche Belastung für Krankenhäuser verbietet die Politik das Himmelsspektakel auch in diesem Jahr. Die Feuerwerksindustrie dahinter tobt, gingen doch die meisten Einlieferungen auf das Konto von Alkohol und Schlägereien. Unfallchirurgen hingegen freuen sich über das Gesetzes-Comeback. Wie gefährlich ist das Feuerwerk wirklich?

Auch in diesem Jahr ist der Verkauf von Feuerwerk in Deutschland verboten.
Auch in diesem Jahr ist der Verkauf von Feuerwerk in Deutschland verboten.  © Christophe Gateau/dpa

"Silvester ist in den Krankenhäusern ein Großkampftag“, sagt Dietmar Pennig, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), dem RND. Besonders in Städten ab einer gewissen Einwohnerzahl. Allerdings lege das nicht nur am Böllern selbst, sondern auch am unvorsichtigen Feierverhalten der Bürger.

In einer durchschnittlichen Silvesternacht müssten in Großstädten wie Köln, Berlin oder Hamburg 50 bis 60 Personen mit Feuerwerksverletzungen behandelt werden, die Hälfte davon Kinder.

Diese Belastung sollte man den durch Corona "ohnehin schon gebeutelten" Notaufnahmen ersparen, argumentiert er.

Wirkliche Statistiken über Böller-Verletzte fehlen

So richtig weiß niemand, wie viele Menschen sich durch die Böllerei verletzen.
So richtig weiß niemand, wie viele Menschen sich durch die Böllerei verletzen.  © Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Wirkliche Statistiken, wie viele Menschen pro Jahr in Deutschland durch Feuerwerkskörper verletzt werden, fehlen.

"Die Regierung hat weder vor Erlass des Verbots noch im Verwaltungsverfahren eine Gefahrenanalyse vorgelegt", kritisiert deshalb der Bundesverband Pyrotechnik (BVPK), dessen Vorstandsmitglied Ingo Schubert sich einen "sachlichen Diskurs" zur Thematik wünscht.

Es sei eine wissenschaftlich fundierte Erhebung zu der Anzahl von Verletzungen durch Feuerwerk nötig. Eine vom BVPK erstellte Meta-Analyse der wenigen wissenschaftlichen Studien geht von 2,3 bis 3,3 Verletzungen pro 100.000 Einwohner aus. "Es sind nicht die Verletzungen durch Feuerwerk, die für volle Notaufnahmen an Silvester sorgen", betont Schubert deshalb. Vielmehr würden Faktoren wie etwa übermäßiger Alkoholkonsum und daraus resultierende Konflikte zu einer Belastung führen.

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Fakt ist aber auch, dass Statistiken deshalb fehlen, weil Böllerunfall nicht gleich Böllerunfall ist und Verletzung völlig unterschiedlich aussehen können.

Klare Anzeichen: Zahl der Verletzungen ging beim Jahreswechsel 2020/21 zurück

Feuerwerk: Es schaut zwar schön aus, sorgt aber wohl auch für mehr Verletzte in Deutschland.
Feuerwerk: Es schaut zwar schön aus, sorgt aber wohl auch für mehr Verletzte in Deutschland.  © Matthias Balk/dpa

Beispielsweise hat die Zahl der Augenverletzungen zum vergangenen Jahreswechsel 2020/21 abgenommen! Gerade einmal 79 Blessuren durch Feuerwerkskörper wurden zum Jahreswechsel 2020/21 gemeldet - anstatt wie sonst bis zu 500 pro Jahr. Das fand die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) bei einer Umfrage an 75 Kliniken heraus.

"Wir stellen fest: Verkaufsverbot und Versammlungsbeschränkungen hatten eindeutig einen Schutzeffekt", so Hansjürgen Agostini von der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg. Eine Initiative der DOG will sich deshalb jetzt für einen Wechsel vom privaten hin zum "gemeinschaftlichen, professionellen Feuerwerk" einsetzen.

Ähnliche Beobachtungen lieferte übrigens auch das Unfallkrankenhaus Berlin am 1. Januar dem Tagesspiegel. "Was Einlieferungen in Zusammenhang mit Silvester betrifft, war es dieses Jahr ruhiger", so eine Sprecherin. Zehn Sprengstoffverletzungen gab es bis in die frühen Morgenstunden, zwei waren so schwer, dass es zu Teilamputationen kam.

2018/19 musste das UKB nach eigener Angabe noch 50 Böller-Verletzte versorgen - 50 Prozent von ihnen hatten teils schwere Verletzungen im Gesicht oder im Genitalbereich. Auch hier ist also eine klare Tendenz erkennbar!

Kehrseite der Medaille: Decken sich die Menschen jetzt in Polen und Tschechien ein?

Weichen die Deutschen dieses Jahr auf andere Länder aus, um an ihr Knallzeug zu kommen?
Weichen die Deutschen dieses Jahr auf andere Länder aus, um an ihr Knallzeug zu kommen?  © Tobias Kleinschmidt/dpa

Doch nicht nur Augen, Hände, Gesicht oder andere ganz dubiose Stellen des Körpers können durch Feuerwerkskörper in Mitleidenschaft gezogen werden.

So schätzt die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC) in einer nicht mehr ganz taufrischen Erhebung von vor knapp 10 Jahren, dass an einem normalen Silvesterabend etwa 8000 Menschen ein Knalltrauma erleiden. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen würden Schäden wie Tinnitus und Hörverlust zurückbleiben.

Aber ist ein generelles Feuerwerksverbot trotz all dieser Argumente wirklich die Lösung? "Verbote haben immer auch eine Kehrseite", argumentiert der uns bereits bekannte Dietmar Pennig. Menschen könnten sich ihre Sprengsätze im schlimmsten Falle dann selbst bauen, oder würden verstärkt auf ungeprüfte Pyrotechnik zurückgreifen. Ein Effekt, der in diesem Jahr im Grenzraum zu Polen oder Tschechien schon eindrucksvoll zu beobachten ist und zu weitaus schlimmeren Konsequenzen führen kann.

Einen weiteren Verkaufsstopp fordert er für die Zeit nach der Pandemie deshalb nicht. Stattdessen könnte es aber Bannmeilen an zentralen Plätzen geben. "Eine gute Idee sind böllerfreie Zonen in den Innenstädten."

CE-Zeichen und BAM-Prüfnummern unbedingt beachten

Beim Kauf - oder der Verwendung von Feuerwerk, gilt es stets auf CE-Zeichen und BAM-Nummer zu achten.
Beim Kauf - oder der Verwendung von Feuerwerk, gilt es stets auf CE-Zeichen und BAM-Nummer zu achten.  © Lino Mirgeler/dpa

Wichtig! Auch in diesem Jahr kommt niemand ins Gefängnis, wenn er eine Rakete starten lässt. Nur deren Verkauf ist verboten. Wer im Keller also noch ein paar Knaller findet, kann diese gemäß der Vorgaben in seinem Bundesland abfeuern - es wird nur davon abgeraten.

Generell rät die DGOU sich dringend an CE-Zeichen und BAM-Prüfnummern (Bundesamt für Materialprüfung) zu halten. Nicht explodierte Böller sollten nicht noch einmal gezündet werden. Allgemein gehören sie und Feuerwerkskörper nicht in die Hände von Kindern oder Betrunkenen. Auch ist das Zünden aus bestimmten Körperöffnungen keinesfalls so amüsant, wie es im Rausch erscheinen mag.

Wir wünschen Euch einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Titelfoto: Ralf Hirschberger/dpa & Christophe Gateau/dpa

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