"Cold Cases": Diese Mordfälle in Bayern bleiben ungelöst

Wörth am Main/Nußdorf - "Cold Cases"-Ermittler pusten mitunter den Staub von den Akten ungeklärter Mordfälle, die manchmal seit Jahrzehnten in den Polizeiarchiven lagern. Sie suchen nach "blinden Flecken" und Lücken in der Ermittlungsarbeit der damaligen Mordkommissionen, studieren Akten und Asservate.

Ein Plakat der Kriminalpolizeiinspektion Aschaffenburg mit der Aufschrift "Wer ist mein Mörder?", das den ermordeten Klaus Berninger zeigt, hängt in der Innenstadt.
Ein Plakat der Kriminalpolizeiinspektion Aschaffenburg mit der Aufschrift "Wer ist mein Mörder?", das den ermordeten Klaus Berninger zeigt, hängt in der Innenstadt.  © Nicolas Armer/dpa

Schon vor Jahrzehnten sicherten Polizisten Faserspuren. Sie waren damals neben Fingerabdrücken eines der wenigen kriminaltechnischen Beweismittel. Mit neuen Techniken und Auswertungsverfahren soll heute möglichst jeder Mordfall aufgeklärt werden - denn die jahrelange Ungewissheit über den Täter oder das Schicksal der Opfer ist gerade für Familie und Angehörige kaum zu ertragen. "Cold Cases" aus Bayern:

Klaus Berninger, Wörth am Main: Der 16-Jährige verschwindet am 20. Dezember 1990. Drei Tage später finden Spaziergänger seine Leiche in einem Wald nahe der Kleinstadt an der bayerisch-hessischen Landesgrenze. Die Polizei geht davon aus, dass der Jugendliche umgebracht wurde. Nach damaliger Erkenntnis starb er durch Gewalteinwirkung mit einem scharfkantigen Werkzeug gegen den Hals. Auch nach monatelanger Ermittlung kann kein Täter überführt werden.

Im Frühjahr 2022 ermittelt die unterfränkische Polizei wieder intensiver. Tausende Anwohner werden befragt. Es folgt eine Suchaktion im Wald, bei der ein Messer mithilfe eines Metalldetektors gefunden wird. Ob es das Tatmesser ist, ist öffentlich bisher nicht bekannt.

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Zudem werden Fahndungsplakate aufgehängt - auch auf Türkisch -, weil der Anteil der türkischsprachigen Menschen in der Region sehr hoch ist. Doch bis zum Jahresende konnte die Polizei keinen Verdächtigen präsentieren.

Ehepaar neben ihrem Wohnmobil erschossen

Das Ehepaar Truus und Harry Langendonk (Polizeifoto vom 13.06.1997) wurde auf einem Waldparkplatz ermordet aufgefunden.
Das Ehepaar Truus und Harry Langendonk (Polizeifoto vom 13.06.1997) wurde auf einem Waldparkplatz ermordet aufgefunden.  © -/Polizei/dpa

Harry und Truus Langendonk, Nußdorf: Am 7. Juni 1997 liegen die Eheleute (63, 61) bei Litzlwalchen, einem Ortsteil von Nußdorf im Landkreis Traunstein, neben ihrem Wohnmobil in Liegestühlen. Ein Unbekannter erschießt sie, anschließend wird beiden Leichen die Kehle durchtrennt. Das Wohnmobil mit den Mordopfern wird zu einem Waldparkplatz bei Nürnberg gefahren und dort in Brand gesteckt.

"Das ist unser Cold Case Nummer 1", sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. "Den haben wir immer mal wieder in die Hand genommen, aber es gibt keine neuen Ermittlungsansätze."

Die Tatwaffe ist bis heute nicht gefunden. Die Ermittler vermuten, dass der Täter das Paar womöglich ausrauben wollte - die Holländer hatten eine größere Reisekasse mit Bargeld in verschiedenen Währungen dabei. Dann sei die Situation vielleicht eskaliert.

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In den vergangenen Jahren ist die Polizei tausenden Hinweisen nachgegangen und hat hunderte Personen überprüft. Auch sogenannte Profiler waren eingebunden, die versuchten, ein Täterprofil zu erstellen.

Mädchen-Mörder noch immer nicht gestellt

Ein Flugblatt, auf dem die Bevölkerung um Hinweise auf einen Mordfall in Karlstadt (Opfer: Sabine Back) gebeten wird, liegt auf einem Autodach.
Ein Flugblatt, auf dem die Bevölkerung um Hinweise auf einen Mordfall in Karlstadt (Opfer: Sabine Back) gebeten wird, liegt auf einem Autodach.  © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Sabine Back, Karlstadt: Auf einem Bauernhof im unterfränkischen Karlstadt bricht im vergangenen September ein Feuer aus. Das ist brisant, weil auf dem Gelände 1993 ein totes Mädchen entdeckt wurde. Der Mordfall ist bisher ungeklärt. Den früheren Besitzer des Anwesens hatten die Ermittler in der Vergangenheit als Verdächtigen im Visier. Sein Verfahren war aber mangels Tatnachweises eingestellt worden, der Mann ist mittlerweile tot.

Seit 2021 ermittelt die Polizei wieder intensiver zum Tod der 13-Jährigen, nachdem unter anderem feinere DNA-Analysen neue Hinweise gebracht hatten. So wurde auch der Tatort im etwa 1100 Einwohner zählenden Ortsteil Wiesenfeld erneut untersucht.

Am 22. Dezember 2021 klagt die Staatsanwaltschaft einen Mann wegen Mordes an, der damals 17 Jahre alt war. Doch das Landgericht Würzburg lässt die Anklage aus Mangel an stichhaltigen Beweisen nicht zu. Dagegen legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.

Das zuständige Oberlandesgericht Bamberg hat darüber bisher nicht entschieden.

Klebeband-Rest kann Mordfall lösen?

Waltraut Ess, Bad Neustadt/Saale: 1993 wird die 51 Jahre alte Geschäftsführerin eines Autohauses aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld getötet. Die gefesselte Leiche findet der Sohn. Die Getötete hatte nach der Rückkehr von einem Lokalbesuch offenbar Einbrecher in ihrer Wohnung überrascht und war durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Hals getötet worden.

Bis auf 3500 Mark entwenden die Täter nichts. Keine zwei Wochen später präsentieren die Ermittler einen damals 28 Jahre alten Verdächtigen - doch ihm kann nichts nachgewiesen werden.

Zum Jahresende 2022 rollt die Polizei den Fall wieder auf. "Bei der akribischen Neuauswertung der damaligen Ermittlungsarbeiten ergaben sich Hinweise auf mögliche Täter mit Bezug zu Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg", so die Begründung der Beamten.

"Wir haben jedes Stückchen Klebeband aufgehoben und noch weitere Spuren zur Untersuchung auf Halde. Wir geben nie auf", sagt ein damaliger Ermittler.

Mord am anderen Ende der Welt: Beihilfe und Justizbehinderung

Eine Gedenktafel für die deutsche Rucksacktouristin Simone Strobel aus Unterfranken (Bayern) steht vor dem Lismore Centra Tourist Park in Lismore.
Eine Gedenktafel für die deutsche Rucksacktouristin Simone Strobel aus Unterfranken (Bayern) steht vor dem Lismore Centra Tourist Park in Lismore.  © Jason O'brien/AAP/dpa

Simone Strobel, Würzburg: Im Februar 2005 wird die Erzieherin aus dem Landkreis Würzburg tot unter Palmwedeln in Australien gefunden. Die 25-Jährige war mit ihrem Freund durch das Land gereist. Er gilt bis heute als Hauptverdächtiger.

Doch nachgewiesen werden konnte ihm bisher nichts. Im Oktober 2020 setzt die Polizei in Australien eine Belohnung von einer Million Dollar für Hinweise zu dem Gewaltdelikt aus. Ende Juli 2022 wird der verdächtige Deutsche überraschend in seinem Haus im westaustralischen Perth festgenommen und nach Sydney geflogen. Dort wird er des Mordes angeklagt, wenige Tage später aber auf Kaution freigelassen. Die zuständige Richterin wirft der Anklage vor, kaum Beweise für ihre Beschuldigungen vorgelegt zu haben.

Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat vor Monaten ein Rechtshilfe-Ersuchen wegen aktueller Ermittlungsergebnisse der australischen Behörden gestellt. So haben die Australier etwa Haftbefehle gegen die anderen beiden damals Mitreisenden erlassen. Sie leben heute in Bayern.

Nach Medienberichten wird ihnen Beihilfe zum Mord und Justizbehinderung vorgeworfen. Ausgeliefert werden sie beiden aber nicht, für ein mögliches Strafverfahren wären deutsche Behörden zuständig.

Tötungsfantasie umgesetzt: Polizei tappt im Dunkeln

Mithilfe des Plakats sucht die Polizei nach einem Täter, der im Sommer 2020 einen 24-Jährigen in Bayreuth umgebracht haben soll.
Mithilfe des Plakats sucht die Polizei nach einem Täter, der im Sommer 2020 einen 24-Jährigen in Bayreuth umgebracht haben soll.  © Daniel Karmann/dpa

Daniel, Bayreuth: In der Nacht vom 18. auf den 19. August 2020 ist der 24-Jährige mit seinem Fahrrad auf einem unbeleuchteten Weg am Stadtrand von Bayreuth unterwegs, als er im Dunkeln angegriffen wird.

Der mit einem Messer bewaffnete Täter bringt den jungen Mann um, "mit absolutem Tötungswillen", wie es von der später eingerichteten "Soko Radweg" heißt. Profiler der Kripo gehen davon aus, dass der Täter im Rahmen einer "psychischen Auffälligkeit" handelte oder eine Tötungsfantasie umsetzte. Die Ermittler versuchen, unter anderem mit einer außergewöhnlichen Plakatkampagne mit einem Foto des Opfers und der Frage "Wer hat mich hier ermordet?" den Fall zu klären - bisher vergeblich.

"Die polizeilichen Möglichkeiten wurden bislang vollends ausgeschöpft, brachten jedoch keine neuen Erkenntnisse", teilte die Polizei Oberfranken kürzlich mit.

"Vor diesem Hintergrund sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine neuerlichen zielführenden Maßnahmen in Aussicht."

40 Jahre kein Erfolg: Zig Mordfälle in Bayern ungeklärt

Peggy Knobloch (Lichtenberg), Christiane Junker (Aschaffenburg), Monika Frischholz (Flossenbürg), Gertrud Kalweit (Amberg) und viele mehr: Einige Taten sind auch 40 Jahre nach dem Verbrechen ungelöst - bei manchen Opfern steht bis heute nicht einmal ihre Identität fest.

Für das Jahr 2021 registrierte die Polizei in Bayern laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 129 Mordfälle und Mordversuche - zwei davon konnten nicht aufgeklärt werden (Stand: März 2022).

Dem Innenministerium zufolge hat die Bearbeitung von Altfällen eine sehr hohe Priorität. Immer wieder würden "Cold Cases" in die Hand genommen, "wobei hier keine festen Fristen für solche Maßnahmen vorgesehen sind".

Das Landeskriminalamt überprüfe zudem regelmäßig beispielsweise alte Fingerabdrücke und andere Spuren.

Titelfoto: Bildmontage: Nicolas Armer/dpa, Daniel Karmann/dpa

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