Kinder von Balkon geworfen, Tochter (†3) tot: Mutter muss nicht ins Gefängnis!

Saarbrücken - Fassungslosigkeit und Betroffenheit bestimmen Plädoyers und Urteil im Mordprozess gegen eine 39-jährige Mathematikerin, die ihre Kinder von einer Brüstung geworfen hat. Zum Tatzeitpunkt war sie schuldunfähig, urteilen die Richter.

Im Juli 2022 warf die 39-jährige Angeklagte ihre beiden Töchter von einem Balkon. Während der Tat sei die Mutter schuldunfähig gewesen, urteilte nun das Gericht.
Im Juli 2022 warf die 39-jährige Angeklagte ihre beiden Töchter von einem Balkon. Während der Tat sei die Mutter schuldunfähig gewesen, urteilte nun das Gericht.  © Oliver Dietze/dpa

Alle Beteiligten am Saarbrücker Landgericht sind sich einig: Die 39-Jährige, die ihre beiden Töchter von einer sieben Meter hohen Brüstung geworfen hat, was eine nicht überlebte, war schuldunfähig. Wegen einer psychischen Erkrankung könne sie strafrechtlich im Sinne einer Bestrafung nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Die Kammer ordnete in dem Sicherungsverfahren am Freitag die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das hatte auch die Staatsanwaltschaft beantragt, die Verteidigung hatte sich dem angeschlossen. Eine Bewährungsstrafe schlossen alle aus.

Laut der Oberstaatsanwältin stelle die Frau zum jetzigen Zeitpunkt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

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Die gestorbene Tochter war drei, die andere ein Jahr alt. Nach eigenen Angaben litt die promovierte Mathematikerin, die als Unternehmensberaterin in Frankfurt gearbeitet hatte, an einer "Mischung aus Depression und Psychose".

An die Tat selbst könne sie sich nicht mehr erinnern. Vor der Urteilsverkündung bat sie alle Familienangehörigen mehrfach um Entschuldigung. "Es tut mir einfach unendlich leid, was passiert ist. Ich kann selbst nicht fassen, wie ich die Familie zerstören konnte."

Gutachter stellte Anzeichen für Schizophrenie und starke Depressionen bei der 39-Jährigen fest

Die 39-jährige Mathematikerin wirkte auf den Richter äußerlich ganz und gar nicht wie eine psychisch schwer kranke Frau.
Die 39-jährige Mathematikerin wirkte auf den Richter äußerlich ganz und gar nicht wie eine psychisch schwer kranke Frau.  © Oliver Dietze/dpa

Auch vor Gericht werde man mitunter mit Sachverhalten konfrontiert, "die ziemlich fassungslos machen", sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lauer. An die Beschuldigte gewandt, meinte er: "Wenn man nicht weiß, was mit Ihnen los ist, merkt man Ihnen äußerlich nicht an, dass Sie psychisch eine schwer kranke Frau sind."

Ein Gutachter hatte bei ihr Anzeichen für eine Schizophrenie und eine ausgeprägte depressive Symptomatik festgestellt, die sich zugespitzt und in einem akuten Wunsch nach Suizid gemündet habe. Ihre Kinder, so hatte die Beschuldigte selbst gesagt, wollte sie nicht alleine zurücklassen.

Die dreijährige Tochter war Ende Juli 2022 bei dem Sturz an einem Schädel-Hirn-Trauma gestorben. Deren einjährige Schwester und die Mutter, die selbst in die Tiefe sprang, überlebten. Die Familie wohnte im hessischen Main-Taunus-Kreis und war zu Besuch bei den Großeltern in Saarbrücken gewesen.

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Nach Ansicht des Verteidigers schlich sich Ende 2021 "eine grausame, heimtückische Krankheit" bei der Mutter ein - bei einer Frau, die hochintelligent, integriert im Beruf gewesen sei, in einer intakten Umgebung und großartigen Familie gelebt habe und "überglückliche und stolze Mutter von zwei gesunden Kindern" gewesen sei. Die Krankheit habe völlig Besitz von ihr ergriffen mit der Folge, dass diese "grausame Tat" geschehen sei.

Sie habe im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt, wisse aber, dass der Tod eines Kindes nicht wieder gutzumachen sei. "Ich bitte Sie einfach nur an dieser Stelle, dieser Frau zu vergeben. Ich glaube, dass sie es verdient hat", schloss er.

Promovierte Mathematikerin folgte dem Rat ihrer Ärzte nicht und setzte Medikamente ab

Richter Lauer gab zu bedenken, dass die Tat zu diesem Zeitpunkt nie passiert wäre, wenn die Frau dem Rat ihrer Ärzte gefolgt wäre, weiter ihre Medikamente genommen und in einer Tagesklinik geblieben wäre. Es sei jedoch bereits Teil ihrer Erkrankung gewesen, dass sie die Notwendigkeit dafür nicht gesehen habe. Lauer appellierte an die Beschuldigte, in Zukunft auf die Ärzte zu hören.

Da bei ihr eine gute Wirksamkeit der Medikamente festzustellen sei, sähe er "relativ zeitnahe Chancen", dass sie wieder auf freien Fuß komme.

Habt Ihr suizidale Gedanken oder habt diese bei einem Angehörigen oder Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 08001110111 und 08001110222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de.

Titelfoto: Oliver Dietze/dpa

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