Deutsche Einheit? Leider noch immer nicht im Portemonnaie
Dresden - Am Freitag feierte die Bundesrepublik den Tag der Deutschen Einheit. Schampus floss dabei allerdings kaum hierzulande. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es noch immer krasse Unterschiede zwischen Ost und West. Vor allem bei den Löhnen und Gehältern hinkt der Osten hinterher - und das wurmt ganz viele Menschen. Wie groß die Unterschiede noch sind, zeigen neue Studien. Zahlen und Stimmen für eine sachliche Debatte, die geführt werden muss.

Rund eine Million sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte zählte man 2024 in Sachsen. Ihr mittleres Einkommen lag 206 Euro über dem Vorjahr bei 3388 Euro/Monat.
Dieser Anstieg des Medianlohns kann zurückgeführt werden auf Tariferhöhungen (u. a. im Öffentlichen Dienst), einen hohen Fachkräftebedarf sowie Einmal- und Sonderzahlungen, berichtet Frank Vollgold von der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit.
Bundesweit erreichte der Medianlohn im vergangenen Jahr das Niveau von 4013 Euro – also rund 600 Euro über dem sächsischen Wert. Vergleicht man Sachsen allein mit Westdeutschland, dann haben die Sachsen 729 Euro weniger in der Tasche.
Die höheren Löhne in anderen Bundesländern sind - aller Wahrscheinlichkeit nach - auch ein Beweggrund dafür, dass immer mehr Menschen Sachsen verlassen, um anderswo in Deutschland ihre Brötchen zu verdienen.

Nur 41 Prozent arbeiten im Freistaat mit Tarifvertrag

158.000 Sachsen pendeln zur Arbeit in andere Bundesländer. Jeder Zweite davon (81.000) in den Westen. Gleichzeitig zieht es allerdings nur 145.000 Menschen aus anderen Bundesländern nach Sachsen.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung hat die Lohnlücke zwischen Ost und West analysiert und stellt Fortschritte fest.
Bei tariflichen Löhnen gibt es mit 98,5 Prozent nur noch marginale Unterschiede. Allerdings: Nur 41 Prozent der Beschäftigten in Sachsen arbeiten mit Tarifvertrag.
Die Vize-Vorsitzende des DGB Sachsen, Daniele Kolbe (45), sagt dazu: "Wer die Lohnmauer zwischen Ost und West ernsthaft einreißen will, der muss für mehr Tarifverträge in die Offensive gehen. Nur die bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West zu beklagen, hilft nicht weiter."
Gerade für Rentner wird's oft knapp

Ruhestand? Immer mehr sächsische Senioren arbeiten auch im Rentenalter. Mittlerweile sind über 62.000 Frauen und Männer weiter im Job oder als Minijobber aktiv. Ihre Motivation ist dabei höchst unterschiedlich. Teils wird aus Spaß an der Arbeit weiter zugepackt. Aber auch aus finanzieller Not.
So erhielten zum Jahresende 2024 insgesamt 19.745 Senioren im Land staatliche Grundsicherung. Damit bezogen fast doppelt so viele Menschen diese Sozialleistung wie vor fünf Jahren.
"Die Altersarmut in Sachsen wächst immer weiter, es ist keine Entspannung in Sicht", sagt Susanne Schaper (47, Linke). Ihre Partei fordert eine "verlässliche gesetzliche Rentenversicherung".
Die Sozialexpertin: "Gerade wir im Osten, wo die Löhne im Vergleich immer noch niedriger sind, brauchen die. Hier erhält derzeit jede und jeder dritte Vollzeitbeschäftigte weniger als 2750 Euro brutto im Monat, 60 Prozent liegen unter 3 500 Euro. Damit ist eine Armutsrente vorprogrammiert."
Ein anderer Trend: Immer mehr Renten werden besteuert. Die Quote liegt im Freistaat Sachsen bei 72,8 Prozent. In Sachsen-Anhalt ist die Quote mit 73,2 Prozent bundesweit am höchsten (Quelle: Statistisches Bundesamt).
"Die Einführung der Rentenbesteuerung war ein schwerer Fehler", sagte Sahra Wagenknecht (56, BSW). Es sei skandalös, dass die Steuern und Sozialabgaben für Rentner von Jahr zu Jahr steigen würden. Ihr Bündnis fordert, dass alle Renten bis 2000 Euro steuerfrei gestellt werden.
Manches ist im Osten billiger

Ohne Moos nichts los? Eine Prognos-Studie hat gezeigt, dass Rentner in Ostdeutschland finanziell komfortabler leben als im Westen, da relativ hohe Renten auf niedrige Lebenshaltungskosten treffen.
Unter den Top 5 der günstigsten Städte für Rentner befanden sich ausschließlich ostdeutsche Kommunen und mit Chemnitz und Görlitz zwei sächsische Städte.
Für Studierende ist laut dem Studentenwohnreport 2025 Chemnitz besonders günstig. 296 Euro muss man dort für eine 30-Quadratmeter-Wohnung berappen. Zum Vergleich: In München müssen Studenten für die gleiche Wohnungsgröße 837 Euro zahlen.
Im bundesweiten Vergleich aller 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland leben Menschen am günstigsten im sächsischen Vogtlandkreis und in Greiz (Thüringen).
Die günstigsten Lebenshaltungskosten in der gesamten EU hatte übrigens 2020 Bulgarien mit 47,2 Prozent unter dem EU-Durchschnitt, gefolgt von Rumänien mit 45,1 Prozent unter dem Schnitt.

Transformation brachte auch Probleme mit sich

"In den vergangenen 35 Jahren wurde viel erreicht, aber Lebensrealität und Stimmung der Menschen in Ostdeutschland zeigen, dass Einheit mehr ist als Infrastruktur und Straßenbau. Wir brauchen gleiche Chancen für alle Generationen – ob in der Kindertagesstätte, auf dem Arbeitsmarkt oder im Pflegeheim", betont Dietrich Bauer (65).
Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Sachsen ist in Sorge, denn der demografische Wandel lässt ganze Regionen in Ostdeutschland altern. Es fehlen Fachkräfte in Pflegeberufen, sozialen Einrichtungen.
Bauer: "Die ungleiche Infrastruktur in ländlichen Regionen führt zu eingeschränkter medizinischer Versorgung und geringeren Teilhabechancen."
Die Diakonie mahnt: Soziale Dienste müssen stabil und fair finanziert werden. Die Politik hat dabei die Folgen der Transformation in Ostdeutschland einzupreisen.
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