Lord of the Lost im großen ESC-Interview: "Jede Sekunde ist Gold wert"

Hamburg - Sie sind die Überraschung des Jahres: Lord of the Lost vertreten Deutschland mit ihrem Song "Blood & Glitter" beim Eurovision Song Contest. Im Gespräch mit TAG24 sprach Sänger Chris Harms (43) über seine Ängste, Ralph Siegels (77) ESC-Geheimnisse und was er an König Charles III. (74) schätzt.

Ende März hatten Lord of the Lost die Ehre, für König Charles (75) und seine Frau Camilla (75) zu spielen.
Ende März hatten Lord of the Lost die Ehre, für König Charles (75) und seine Frau Camilla (75) zu spielen.  © NDR

TAG24: Es ist gar nicht lange her, da durftet ihr vor König Charles spielen - eine unglaubliche Ehre, oder?

Chris Harms: Für ihn oder für mich? (lacht) Nein, es hat sehr viel Spaß gemacht, weil es natürlich etwas Besonderes ist, wenn man Menschen trifft, die man sonst sein Leben lang nur aus dem Fernsehen oder der Zeitung kennt. Ich bin jetzt selbst kein riesengroßer Fan von Monarchien, deshalb war ich nicht super aufgeregt. Aber es hat mir sehr viel Freude gemacht, weil er jemand ist, der die Monarchie für gute Dinge nutzt. König Charles setzt sich sehr für den Umweltschutz ein und da ist der Punkt erreicht, wo ich sage: Respekt! Wenn man in Zeiten, wo Monarchien lediglich etwas Repräsentatives haben, etwas daraus macht, dann freue ich mich sehr. Deswegen: Riesen-Respekt vor diesem Mann.

TAG24: Wie war das persönliche Kennenlernen?

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Harms: Er war sehr freundlich. Wir hatten ein angenehmes, kurzes Gespräch und er hat uns für Liverpool viel Glück gewünscht.

TAG24: Vom Hamburger Kaischuppen geht es auf Europas größte Bühne. Wie aufgeregt seid ihr?

Harms: Aufregung vor großen Bühnen haben wir eigentlich nicht, das sind wir gewohnt von Festivals oder Touren. Letztes Jahr waren wir beispielsweise mit Iron Maiden auf Stadiontour. Aber es ist natürlich was ganz anderes, wenn anonym, ohne dass du sie siehst, 200 Millionen Menschen zuschauen. Ich habe wirklich keinerlei Aufregung vor unserem Auftritt, ich habe einfach nur Angst vor technischen Schwierigkeiten, Angst davor, krank zu werden oder dass man auf einmal mit dem Fuß umknickt und sich den Knöchel bricht. Also so unvorhersehbare Dinge. Aber ich fühle mich sehr selbstbewusst und souverän mit dem, was wir machen, mit unserer Performance, mit mir als Sänger. Ich bin da wirklich fein mit mir.

Erfolg von Lord of the Lost zeigt offene Musikwelt

Gitarrist Pi Stoffers (29, v.l.), Schlagzeuger Niklas Kahl (34), Frontsänger Chris Harms (43), Keyboarder Gerrit Heinemann (36) und Bassist Klaas Helmecke (40) freuen sich auf den ESC.
Gitarrist Pi Stoffers (29, v.l.), Schlagzeuger Niklas Kahl (34), Frontsänger Chris Harms (43), Keyboarder Gerrit Heinemann (36) und Bassist Klaas Helmecke (40) freuen sich auf den ESC.  © Rolf Vennenbernd/dpa

TAG24: Die 15 Jahre Bühnenerfahrung, die ihr habt, geben euch quasi eine gewisse Sicherheit ...

Harms: Total. Wir haben in den letzten 15 Jahren knapp 1000 Konzerte in 30 oder 40 Ländern gespielt. Auf kleinen Bühnen, auf großen Bühnen, vor Leuten, die uns lieben, vor Leuten, die uns hassen. Wir sind es total gewohnt, auch mit Gegenwind und schwierigen Situationen klarzukommen. Das gibt einem natürlich einen ganz anderen Rückhalt, als wenn man ein neuer Künstler ist, der vielleicht nur für den ESC von der Plattenfirma aufgebaut wurde. Das meine ich gar nicht despektierlich, das ist völlig okay, wenn es solche Acts gibt, aber man darf sich auch nicht wundern, wenn diese Künstler dann unter solch einem Druck zusammenbrechen. Was uns natürlich genauso passieren kann, wir sind nicht davor gefeit. Aber die Chance ist natürlich kleiner, wenn man viel Erfahrung hat.

TAG24: Viele vergleichen euch sicherlich mit Lordi - schon der Name ist ähnlich. 2006 haben sie zudem den ESC gewonnen. Ein gutes Omen für euch?

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Harms: Das mit dem Namen ist natürlich Zufall. Ich glaube weder an gute noch an schlechte Omen, aber es zeigt zumindest, dass die Musikwelt aller paar Jahre offen ist für etwas, das eher am Rande der Popmusik stattfindet. Das hat man bei Lordi gesehen, das hat man bei Måneskin gesehen. Es gibt immer wieder Rock- und Metalbands, die weit kommen. Bei Lordi war es nicht nur der Song, sondern auch der große Überraschungseffekt.

Bei uns ist der Überraschungseffekt sicherlich auch da, allerdings passen wir rein vom Konzept und vom Optischen viel besser in den ESC rein, als Lordi. Klar wir sind musikalisch härter, aber wenn man uns so anschaut und uns nur optisch in dieser bunten ESC-Welt sieht, dann fallen wir eigentlich gar nicht so groß auf. Da gibt es wirklich ganz viele bunte Paradiesvögel, wie wir es sind.

TAG24: Werdet ihr Deutschland endlich von den Misserfolgen der vergangenen Jahre erlösen?

Harms: Ich hoffe das natürlich, aber es wäre vermessen, wenn ich es glauben würde. Wir kennen die Faktoren nicht, nach denen die Zuschauer werten bzw. die Faktoren, nach denen die internationale Jury uns entweder als superinteressante Überraschung einstuft oder als jemand, der einfach nicht in diese Welt gehört. Deshalb können wir nur hoffen, dass wir bessere Punkte mit nach Hause nehmen, als die letzten Teilnehmer. Ich glaube aber, dass wir durch das Element der Überraschung und den Exotik-Faktor, den wir mitbringen, dafür sorgen, dass ein paar einfach deshalb für uns anrufen, weil sie denken 'Ach Mensch, damit hab ich jetzt nicht gerechnet'.

Lord of the Lost setzt auf "Blood & Glitter"

"Das letzte Bier vor Liverpool" hieß es für die Band Lord of the Lost in einer Karaoke-Bar mit Olivia Jones (2.v.r.).
"Das letzte Bier vor Liverpool" hieß es für die Band Lord of the Lost in einer Karaoke-Bar mit Olivia Jones (2.v.r.).  © Axel Heimken/dpa

TAG24: Habt ihr Ziele oder eine Message für den ESC?

Harms: Das Ziel ist mindestens Letzter und das ist sehr realistisch. Das werden wir schaffen (lacht). Nein, wir haben uns kein Ziel gesetzt. Wir wollen es einfach genießen und 100 Prozent so sein, wie wir sind, um das Ganze authentisch machen zu können. Wir wollen nicht versuchen, uns irgendeiner ESC-Welt anzupassen, sondern unsere Bühnenshow machen, wie wir sie auch auf einem Festival machen würden.

Und die Message ... Klar, "Blood & Glitter" wirkt auf den ersten Blick entweder wie ein Partysong oder wie ein Song, der absichtlich durch die Kontroverse von Blut und Glitzer provozieren möchte. Aber dahinter versteckt sich eine ganz wichtige Message, die sagt "we are all from the same blood", also "wir sind alle vom gleichen Blut". Wir sind alle eins. Wenn das Blut nicht in unseren Adern fließt und uns am Leben erhält, dann ist es auch einfach vorbei und das macht uns alle zu einem großen Organismus. Und das ist die Message. Klar, man sieht uns erstmal, man hat die Optik, die Pyro, die Schminke, einen lauten Partysong, aber wenn man genau hinschaut, merkt man, wir haben auch etwas zu sagen.

TAG24: Wie bereitet ihr euch vor?

Harms: Aktuell bereiten wir uns gar nicht vor, weil wir es nicht können. Die Vorbereitungen liegen aktuell maßgeblich beim Team. Da werden LED-Leinwände vorbereitet bzw. die Pyro- und Lichtshow programmiert. Wir spielen drei Minuten Song, der ESC ist eine halbe Playback-Veranstaltung. Sprich, die Musik kommt eh vom Band. Die Jungs müssen nur wissen, wie sie sich genau zu dem Song bewegen. Natürlich übe ich täglich singen, um die Stimme warmzuhalten, aber viel mehr können wir tatsächlich gerade nicht machen. Die eigentliche Vorbereitung beginnt, wenn wir ab dem 3. Mai in Liverpool sind.

TAG24: Ihr habt euch im Vorfeld Tipps von ESC-Legende Ralph Siegel geholt. Was hat er euch geraten?

Harms: Das darf ich im Detail jetzt natürlich nicht verraten, denn wenn ein Ralph Siegel uns zum Essen einlädt, um uns wertvolle Tipps zu geben, dann möchte ich das auch respektieren. Aber sagen wir mal so: Es ist sehr schön, aus der Erfahrung von einem Ralph Siegel zu schöpfen. Um vielleicht etwas Offensichtliches zu verraten: Er hat uns gesagt, wie wichtig es ist, innerhalb dieser drei Minuten den Kontakt zum Publikum nicht zu verlieren. Wenn du 90 Minuten Festival spielst und du drehst dich mal eine Minute vom Publikum weg, um mit dem Schlagzeuger zu interagieren, dann ist das eine schöne Sache. Aber das sollte man nicht beim ESC machen. Man hat nur diese drei Minuten, und da ist jede Sekunde Gold wert.

Das wünscht sich der Lord-of-the-Lost-Sänger am meisten

Chris Harms (43) stellte sich den Fragen von TAG24.
Chris Harms (43) stellte sich den Fragen von TAG24.  © Rolf Vennenbernd/dpa

TAG24: Anfang des Jahres habt ihr die Nr. 1 der deutschen Albumcharts erreicht, nun steht der ESC an. Das Jahr hätte nicht besser starten können, oder?

Harms: Nö, das waren schon relativ viele gute Nachrichten aufeinander. Außerdem sind wir in diesem Sommer ein zweites Mal als Vorband von Iron Maiden gebucht. Das ist dann das nächste Highlight.

TAG24: Habt ihr noch Wünsche für dieses Jahr?

Harms: Also ich würde mir sehr wünschen, dass dieser furchtbare Krieg im Osten unseres Kontinents aufhört. Wir haben in der Vergangenheit sehr gerne in der Ukraine und auch in Russland gespielt. Beide Länder können wir aus offensichtlichen Gründen aktuell nicht besuchen. Das ist etwas, was mich nach wie vor jeden Tag beschäftigt, weil ich auch Freunde sowohl in Russland als auch in der Ukraine habe. Ich wünsche mir, dass da einfach Ruhe und Frieden einkehren. Aber das sind Wünsche, die mit Lord of the Lost jetzt gar nichts zu tun haben.

TAG24: Aber mit eurem Song und eurer Message...

Harms: Definitiv!

Titelfoto: Rolf Vennenbernd/dpa

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