Ein Dorf in ständiger Hochwasser-Angst, doch Deichbau lohne sich nicht

Halle (Saale)/Grimma - Während es in Nordrhein-Westfalen und Rheinpfalz noch Monate dauern wird, nach der Hochwasserkatastrophe zurück zum Alltag zu gelangen, steigt andernorts angesichts der schlimmen Flutbilder und nach den Vorfällen der Vergangenheit die Angst, dass es auch sie (wieder) treffen könnte.

2013 wurde Planena komplett von Wassermassen umschlossen.
2013 wurde Planena komplett von Wassermassen umschlossen.  © Screenshot/ARD-Mediathek
So sieht es in Planena an der Saale eigentlich aus.
So sieht es in Planena an der Saale eigentlich aus.  © Screenshot/ARD-Mediathek

Die Rede ist unter anderem von Planena, einem Stadtviertel von Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. 33 Bewohner des kleinen Dorfes leben mitten im Flutgebiet und in ständiger Angst eines erneuten Hochwassers.

Das hatte es hier zuletzt 2013 gegeben, als die gesamte Ortschaft überflutet wurde.

Katrin und Ralf Pfund haben sich seitdem selbst zu helfen gewusst. Sie entwickelten ein eigenes Warnsystem. Mit einem Pflasterstein markieren sie in ihrem Hof die Wasserkante und kontrollieren stündlich, ob der Pegel steigt.

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"Wenn das Wasser so hochsteigt, dass die Garagen anfangen vollzulaufen, muss das Boot raus", erzählt die Ehefrau in der ARD-Reportage "Fakt". Danach geht es - zentimetergenau abgemessen - durchs Hoftor auf die Straße und weiter per Fuß in einer Wathose zum Auto.

Damit sich das nicht wiederholt, sollte ein Ringdeich - wie er andernorts schon geschehen - um Planena gebaut werden.

Doch aufgrund der hohen Gesamtkosten von über einer Million Euro - es wird neben dem Deich auch ein Pumpensystem benötigt - wurde das Vorhaben zu den Akten gelegt.

Katrin und Ralf Pfund, hier beim Hochwasser 2013, haben ihr privates Warnsystem entwickelt. Das Boot steht im Notfall immer bereit.
Katrin und Ralf Pfund, hier beim Hochwasser 2013, haben ihr privates Warnsystem entwickelt. Das Boot steht im Notfall immer bereit.  © Screenshot/ARD-Mediathek

Ringdeich um Halle-Planena wird nicht gebaut: "Deutlich negatives Kosten-Nutzen-Verhältnis"

Ob dieser von der Stadt Halle (Saale) vorgezeichnete Ringdeich jemals gebaut wird, ist unklar.
Ob dieser von der Stadt Halle (Saale) vorgezeichnete Ringdeich jemals gebaut wird, ist unklar.  © Screenshot/ARD-Mediathek

"Anhand der zusätzlichen Kosten ist von einem deutlich negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis auszugehen, sodass die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben wäre", schrieb das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie als Antwort auf eine Anfrage im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Katrin Pfund ist traurig und enttäuscht: "Was soll man dazu sagen, wenn man hört, dass man es nicht wert ist..."

Die dorfeigene Warnsirene wurde in den 90er-Jahren abmontiert. Das aktuelle Warnsystem beinhaltet den Anruf eines Planena-Bewohners, der dann alle anderen Einwohner per Handy warnen soll. Doch viele vor allem ältere Menschen würden ihr Handy nicht so oft benutzen, kritisieren sie.

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"Wenn eine Sirene da wäre, die die Leute im Katastrophenfall nachts wach macht, wäre das sicherer", glaubt Ralf Pfund.

Auch Silvia Richter und ihren Papa hat es 2013 hart getroffen. Sie wurden sogar in ihrem Zuhause vergessen. Während das gesamte Dorf evakuiert wurde, habe die Feuerwehr nicht gewusst, wie man zu dem abgelegenen Grundstück kommen soll. Sie hätte mit ihrem Vater etwa eine Woche auf dem Dachboden ausgeharrt, bis der Pegel endlich zurückging.

Fehlende Warnsysteme an vielen Stellen: "Die Lücken sind furchterregend!"

Nach elf Jahren Bauzeit wurde die Hochwasserschutzanlage in Grimma fertiggestellt.
Nach elf Jahren Bauzeit wurde die Hochwasserschutzanlage in Grimma fertiggestellt.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Auf die Problematik der Alarmierung in von Hochwasser gefährdeten Gebieten weist auch Katastrophenforscher Prof. Wolf Dombrowsky von der Steinbeis Hochschule Berlin hin.

"Die Lücken im Warnsystem sind furchterregend", so Dombrowsky. "Seit mindestens 40 Jahren wird darüber diskutiert, dass man auf den neuesten Stand der Technik gehen müsste. Das wird zwischen Bund und Ländern blockiert, weil man sich nicht einigen kann, wer es bezahlt. Es hat offenbar erst fast 200 Toter bedurft, ehe man mal in die Hufen kommt."

Lobend sprach der Experte dagegen über die sächsische Stadt Grimma, die 2002 und 2013 durch die angrenzende Mulde überflutet wurde. 2002 stand das Wasser hier in der Innenstadt rund 3,50 Meter über Geländehöhe.

Der 28.000-Einwohner-Ort hat aus den beiden Katastrophen gelernt und für fast 60 Millionen Euro eine Schutzmauer - finanziert von Bund und Freistaat - errichtet, die 2019 nach elf Jahren Bauzeit fertiggestellt wurde. Innerhalb von etwa 90 Minuten können alle 78 Fluttore auf einer Länge von 2,2 Kilometern geschlossen werden.

Zudem werden im Ernstfall Sprachnachrichten und Warntöne über Lautsprecher und Sirenen verbreitet, Registrierte sogar per SMS gewarnt. "Für mich ist Grimma wirklich ein Leuchtturm", sagte Dombrowsky und lobte auch, dass keine Heizungen, Öltanks oder Elektroanlagen mehr in Kellern sind.

Dieses Grimmaer Fluttor wurde durch Vandalismus am Wochenende beschädigt, wodurch es durch verbogene Eisenteile nicht geschlossen werden kann.
Dieses Grimmaer Fluttor wurde durch Vandalismus am Wochenende beschädigt, wodurch es durch verbogene Eisenteile nicht geschlossen werden kann.  © Sören Müller

Unglaublich: Am vergangenen Wochenende wurde eines der Fluttore in Grimma sowie ein Stück der Schutzmauer durch Vandalismus beschädigt. 3300 Anwohner wären dem Hochwasser aktuell ausgeliefert.

Den gesamten "Fakt"-Beitrag gibt's in der ARD-Mediathek zum Nachschauen.

Titelfoto: Bildmontage: Screenshot/ARD-Mediathek

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