Recycelte (N)Ostalgie: "Plaste-Boom" in Deutschland ein Fluch, in der DDR ein Segen?

Leipzig - Welcher frühere DDR-Bürger kennt es nicht? Stapelweise haben die Kinder alte Zeitungen und sonstiges Papier gebündelt, zur SERO-Annahmestelle gebracht und somit ein bisschen Taschengeld verdient. Dass das Recycling-System der DDR viel komplexer, aber auch höchst effizient war, zeigt die MDR-Reihe "Zeitreise" mit ihrer Dokumentation "Aus Mangel zur Perfektion – Müll & Recycling in der DDR".

DDR-Bürger konnten ihr gesammeltes Altpapier zu SERO-Annahmestellen bringen und bekamen dafür Geld.
DDR-Bürger konnten ihr gesammeltes Altpapier zu SERO-Annahmestellen bringen und bekamen dafür Geld.  © Screenshot/MDR-Mediathek

Laut Statistischem Bundesamt hat im Jahr 2019 jeder Deutsche 457 Kilogramm Hausmüll produziert.

Zum Vergleich: Der Durchschnitts-DDR-Bürger kam 1988 auf etwa 300 Kilogramm Abfall, wobei mehr als 70 Kilo davon sogenannte Sekundärrohstoffe waren, sprich Altpapier, Plaste und Glas.

Dieser Anteil landete nicht auf der Mülldeponie, sondern in einer von rund 17.000 SERO-Annahmestellen (SERO = Volkseigener Betrieb Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung), wurde dort aufbereitet und wiederverwertet.

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Dieses simple und staatlich subventionierte Recycling-System gab es seit den 1960er-Jahren und war zwar höchst effizient, doch wurde es in der DDR nicht der Liebe zur Umwelt wegen realisiert, sondern weil stets und ständig Not und Mangel im sozialistischen Staat herrschten.

Vor allem Kinder sammelten damals fleißig Plaste, Glas und Papier und verdienten sich so ihr Taschengeld. Pro Kilo Altpapier gab es 30 Pfennig, je Glasflasche 5 Pfennig und für Flaschen aus Thermoplaste gab es 3 Pfennig.

Sogar "Unser Sandmännchen" klärte die jungen Fernsehzuschauer über die richtige Entsorgung von beispielsweise Altpapier auf. Die Kinder sollten dadurch lernen, dass Müll durchaus wertvoll sein konnte.

Auch "Unser Sandmännchen" brachte Kindern bei, wie das Abfallsystem in der DDR funktionierte.
Auch "Unser Sandmännchen" brachte Kindern bei, wie das Abfallsystem in der DDR funktionierte.  © Screenshot/MDR-Mediathek

SERO nach der Wende vor dem Ende

Auch Flaschen waren begehrte "Handelsware" unter den Sammlern.
Auch Flaschen waren begehrte "Handelsware" unter den Sammlern.  © Screenshot/MDR-Mediathek

Da die DDR rund 60 Prozent ihrer Rohstoffe importieren lassen musste, wozu meist die Devisen fehlten, konnten sie mithilfe von SERO zwischen zwölf und 14 Prozent ihrer Stoffe ersetzen.

Mit diesem System war man der Bundesrepublik Deutschland, die seit den 1960ern ein massives Müllproblem hatte, einen großen Schritt voraus. Die Westdeutschen konnten daher von der deutschen Wiedervereinigung 1990 nur profitieren.

Doch für SERO bedeutete diese den Tod. Der Müll aus dem Westen überflutete die Annahmestellen, sodass gesammelte Rohstoffe nicht mehr abgenommen werden konnten. Die meisten Stellen wurden geschlossen, fast 29.000 Menschen verloren ihre Arbeit.

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Der versprochene Erhalt des Systems wurde nicht realisiert, aber: "SERO war gut, SERO lebt und mit SERO kann man gutes Geld verdienen", sagt Jens Fiedler, der Logo und Rechte an der Marke 2007 erwarb und eine Annahmestelle in Oranienburg betreibt.

Der Grundgedanke von SERO feiert auch in Leipzig ein Comeback. Hunderte Schulen und Kitas sammeln wieder Altpapier.

Obwohl der Stadtreinigung dadurch rund 250.000 Euro verloren gehen, werden die Sammelaktionen geduldet. Es sei laut einer Mitarbeiterin toll, dass Kindern so der richtige Umgang mit Müll sowie Ressourcenschonung näher gebracht werden.

Plaste bedeutete in der DDR Moderne, Schönheit und Wohlstand

Schon vor der Wiedervereinigung war die BRD Meister im Produzieren von Müll.
Schon vor der Wiedervereinigung war die BRD Meister im Produzieren von Müll.  © Screenshot/MDR-Mediathek

Auch das Thema Kunststoffabfälle beschäftigte die Menschen damals wie heute. Während 1950 weltweit 1,5 Millionen Tonnen Plaste produziert worden waren, waren es 2015 ganze 322 Millionen.

In der DDR fand der Kunststoff-Boom seinen Anfang im Jahr 1958. Das zur Herstellung benötigte Erdöl gab es im sozialistischen Staat allerdings nur selten. Erst eine Öl-Trasse in der Sowjetunion ermöglichte die Verarbeitung in den Werken Buna und Leuna.

Plaste löste große Begeisterung aus und stand für Moderne, Schönheit und Wohlstand, doch es war auch teuer.

Mit verschiedenen Ideen zur Wiederverwendung des Stoffes lag man auch hier weit vor der Bundesrepublik, in der es kein Recycling-System für Plaste gab.

Noch heute sagt man den Plaste-Produkten der DDR nach, dass sie unkaputtbar seien und Jahrzehnte lang halten, ähnlich ist es auch bei Elektrogeräten aus der DDR.

TAG24 hat für Euch ein paar DDR-Gegenstände gesammelt, die alle mindestens 31 Jahre alt, aber noch voll funktionstüchtig sind.

Ein noch immer funktionstüchtiges Kofferradio des Modells "Stern Elite de Luxe", das Ende der 1960er Jahre hergestellt wurde, kostete damals 660 DDR-Mark.
Ein noch immer funktionstüchtiges Kofferradio des Modells "Stern Elite de Luxe", das Ende der 1960er Jahre hergestellt wurde, kostete damals 660 DDR-Mark.  © privat
Die elektrische Kaffeemühle, das Handrührgerät, die Nussmühle und der Multiboy tun auch heute noch ihren Dienst.
Die elektrische Kaffeemühle, das Handrührgerät, die Nussmühle und der Multiboy tun auch heute noch ihren Dienst.  © privat
Messbecher, Teesieb und ein Behältnis für gekochte Eier samt Mini-Salzstreuer gab es vermutlich in beinahe jedem Haushalt der DDR.
Messbecher, Teesieb und ein Behältnis für gekochte Eier samt Mini-Salzstreuer gab es vermutlich in beinahe jedem Haushalt der DDR.  © privat
Und auch der "Eierpikser" rechts im Brotkorb dürfte vielen ehemaligen DDR-Bürgern bekannt vorkommen.
Und auch der "Eierpikser" rechts im Brotkorb dürfte vielen ehemaligen DDR-Bürgern bekannt vorkommen.  © privat

Wer noch mehr über die Liebe zu Plaste in der DDR erfahren möchte, kann sich die Doku "Aus Mangel zur Perfektion – Müll & Recycling in der DDR" in der MDR-Mediathek anschauen.

Titelfoto: Bildmontage / Screenshots/MDR-Mediathek / Privat

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