Frust und Armut im Problembezirk Halle-Silberhöhe: "Die lassen die Menschen hier einfach leiden"

Halle (Saale) - Im Hallenser Ortsteil Silberhöhe leben deutlich mehr Hartz IV-Empfänger als im Rest der Stadt. Die MDR-Reportage "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV?" sammelte Eindrücke aus dem Viertel und sprach mit Betroffenen.

Im Plattenviertel Halle-Silberhöhe wohnen besonders viele HartzIV-Empfänger.
Im Plattenviertel Halle-Silberhöhe wohnen besonders viele HartzIV-Empfänger.  © MDR/Thomas Kasper

So kommt beispielsweise Stephan zu Wort, der sowohl aufgrund seines anspruchsvollen Familienlebens mit fünf Kindern als auch aufgrund seiner Vorstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung einfach kein Glück bei der Jobsuche hat.

Bereits mehr als 50 Mal wurde er abgewiesen, bewirbt sich aber immer weiter. "Das ist natürlich nicht leicht, aber man muss am Ball bleiben", erklärt er in dem Beitrag.

Ähnlich verhält es sich mit Sven, genannt Karotte, der seine Leidenschaft für Graffiti-Art gerne beruflich verwirklichen möchte und erst einen Tag vor den Dreharbeiten aus dem Gefängnis entlassen wurde. Insgesamt hat er in seinem Leben schon sieben Haftstrafen abgesessen, saß damit hochgerechnet 12 Jahre ein.

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"Ich hab das gesamte Strafregister durch. Außer sexuelle Straftaten, also Vergewaltigung, Kindersitte und Mord", erzählt er. "Ansonsten bin ich schon mal mit allem in Berührung gekommen".

Auch er wuchs in Halle-Silberhöhe auf, kam mit 13 zum ersten Mal mit Alkohol in Berührung, danach folgte Cannabis und mit 15 dann auch härtere Drogen. Inzwischen ist er clean und holt sich einmal, manchmal auch zweimal täglich im Rahmen eines Substitutions-Programms eine Dosis Methadon ab.

Eine Wohnung oder einen Job hat Karotte nicht, stattdessen wohnt er bei einer Freundin. "Erzähl das mal einem Arbeitgeber: Kommst aus dem Knast und bist im Substi-Programm. Wer nimmt dich da?". Ein Lichtblick in seinem Leben: Die Kunst. "Wenn ich das Malen nicht hätte, würde ich manchmal durchdrehen", erzählt er.

Karotte hält sich aktuell mit Graffiti-Aufträgen über Wasser, früher hat er mit Drogen gedealt.
Karotte hält sich aktuell mit Graffiti-Aufträgen über Wasser, früher hat er mit Drogen gedealt.  © MDR/Thomas Kasper

Frust auf Behörden: "Die lassen die Menschen hier einfach leiden"

Jin (32) ist in Halle-Silberhöhe aufgewachsen und lebt von einer kleinen Rente. Nebenbei arbeitet sie ehrenamtlich als Kunstlehrerin.
Jin (32) ist in Halle-Silberhöhe aufgewachsen und lebt von einer kleinen Rente. Nebenbei arbeitet sie ehrenamtlich als Kunstlehrerin.  © MDR/Thomas Kasper

Auch Jin (32) ist quasi ein "Urgestein" der Silberhöhe, auch sie hat eine Drogen-Vergangenheit, wegen der sie nun erwerbsunfähig ist und von einer kleinen Rente leben muss. Ihre beiden Kinder wurden vom Jugendamt zu den Großeltern geschickt.

Ehrenamtlich arbeitet sie als Kunstlehrerin - ohne je studiert zu haben. Begabt genug für eine Kunst-Hochschule sei sie als Teenager durchaus gewesen, hat es sich jedoch einfach nicht leisten können. "Und fürs Stipendium war ich zu blöd", erklärt sie. "Also nicht im geistigen Sinne, sondern weil ich es vermasselt hab".

Jin scheint mit ihrem Kunst-Unterricht eine Art Anker für viele bedürftige Heranwachsenden im Viertel darzustellen. Sie mache es traurig, dass die Kinder hier so etwas wie "Urlaub" oder "Ausflüge" nie kennenlernen würden: "Aber dafür sind wir ja hier".

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Also ganz nach dem Motto: Hier hilft man sich gegenseitig - weil die Behörden es nicht tun.

Rico (34) muss im Viertel Pfandflaschen sammeln, um über die Runden zu kommen. Die Rente und das Krankengeld, das er vom Amt bekommt, reiche nämlich allein nicht zum Leben aus. Seine nüchterne Feststellung: "Ich bin damit großgeworden, als Hartz IV-Empfänger. Ich kenn's nicht anders".

Er ist nicht der Einzige, der sich von den Behörden im Stich gelassen und nicht ernst genommen fühlt. "Wenn man heutzutage Hilfe braucht, sagen die einem 'Kannst mich am Arsch lecken'", so beispielsweise die Einschätzung des arbeitslosen Mirko. Seine Bekannte Silvia setzt noch einen drauf: "Die lassen die Menschen hier einfach leiden".

(v.l.n.r): Rico, Mirko, Silvia und Kevin sind alle arbeitslos und treffen sich täglich am sogenannten Würfel in Halle-Silberhöhe.
(v.l.n.r): Rico, Mirko, Silvia und Kevin sind alle arbeitslos und treffen sich täglich am sogenannten Würfel in Halle-Silberhöhe.  © MDR/Thomas Kasper

Experten stellen fest: Die Selbstwirksamkeit des Menschen ist wichtig

Anna Manser von der gemeinnützigen "Hallesche Jugendwerkstatt gGmbH" berichtet in der Reportage, wie wichtig die Selbstwirksamkeit für den Menschen sei - ein Gefühl, das bei Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Abhängigkeit und Fremdbestimmung vom Jobcenter komplett verloren ginge: "Das macht schon resignierter als wenn ich das Gefühl habe, selbst etwas bewirken zu können".

Ihrer Erfahrung nach sehnen sich viele Betroffene auf der Suche nach Arbeit auch eigentlich viel mehr nach Anerkennung als nach Geld. Denn ein Leben, in dem man nichts zu tun hat und es quasi egal ist, ob man morgens aufsteht, sei nicht gut für die Psyche: "So sind wir Lebewesen nicht gemacht".

Den kompletten Beitrag "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV?" könnt Ihr in der MDR-Mediathek nachgucken.

Titelfoto: Montage MDR/Thomas Kasper

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