Chemnitz - 15 Jahre lang saß Detlef Müller (61, SPD) im Bundestag, trug wichtige politische Entscheidungen mit - im März 2025 musste er seine Koffer packen, schaffte aufgrund der Wahlergebnisse den Einzug nicht mehr. Wie blickt der gelernte Lokführer aktuell auf das politische Geschehen im Land, was sagt er zu den schlechten Umfragewerten seiner Partei? Und wie geht es nach 15 Jahren Bundestag für ihn weiter? TAG24 fragte nach.
TAG24: Herr Müller, nach dem Aus im Bundestag wollten Sie wieder Lokführer werden - zurück zu den Wurzeln. Sind Sie heute tatsächlich wieder im Führerstand unterwegs?
Detlef Müller: Ich gehe definitiv wieder zur Deutschen Bahn zurück - allerdings nicht als Lokführer. Ich bin einfach zu lange raus. Ich denke, dass ich an anderer Stelle für die Bahn besser und wichtiger sein könnte. Welcher Job es genau wird, entscheidet sich in den nächsten 14 Tagen.
TAG24: Kommen wir zur Politik. Aktuell heizt die "Stadtbild"-Debatte die Diskussion um Geflüchtete weiter an - auch in Chemnitz. Viele Bürger sagen, sie fühlen sich in ihrer Stadt nicht mehr sicher. Was sagen Sie dazu?
Detlef Müller: Das "Stadtbild" hat sich in den letzten Jahren verändert - und nicht unbedingt zum Guten. Die Menschen haben das Gefühl, dass man sich zu einer bestimmten Zeit in der Innenstadt unsicher fühlt. Das ist natürlich in erster Linie ein Gefühl. Aber es gibt gewisse Menschengruppen, die tauchen da auf, fangen vielleicht an zu pöbeln. Dann gibt es viele, die vermutlich unter Drogeneinfluss stehen - und das ist in der Innenstadt mehr geworden. Dieses Unwohlsein in der Innenstadt kann ich gut nachvollziehen. Ich finde es auch übertrieben, die "Stadtbild"-Debatte nur mit dem Begriff Rassismus zu verknüpfen. Denn die Bürger sprechen darüber, fühlen sich unsicher. Und einige Zahlen belegen das ja auch. Wir müssen das Thema ernst nehmen.
Raub- und Messerstraftaten: Was tun, Herr Müller?
TAG24: Was viele Chemnitzer verunsichert, sind die Meldungen über Raubstraftaten. Ein Blick in die Polizeistatistik zeigt: Nichtdeutsche Tatverdächtige sind in Chemnitz mehr als doppelt so häufig an Raubstraftaten beteiligt als Deutsche. Was läuft da schief?
Detlef Müller: Wenn Sie von Raubstraftaten sprechen, denke ich vor allem an Vorfälle auf der Straße: Handy abziehen, Portemonnaie abziehen und so weiter. Da spielt auch die Messerkriminalität eine Rolle. Das Thema ist in den letzten Jahren zunehmend präsent und wird eher bei nichtdeutschen Tatverdächtigen verortet - vor allem aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum. Das ist einfach ein Fakt. Anders sieht es wiederum bei Straftaten unter Alkohol aus - da spielen dann deutsche Tatverdächtige eher eine Rolle.
TAG24: Was ist Ihre Lösung?
Detlef Müller: Es braucht hier einen guten Mix aus mehr Polizeipräsenz (das ist inzwischen gegeben) und einem konsequenten Durchsetzen des Rechtsstaates - da ist die Justiz gefragt. Straffällige Ausländer ohne Aufenthaltstitel oder -status sollten konsequent abgeschoben werden. Allerdings müssen ihre Heimatländer sie auch aufnehmen wollen. Da liegt das eigentliche Problem.
Zehn Jahre "Wir schaffen das!": Ist Integration teilweise gescheitert?
TAG24: "Wir schaffen das!", sagte Ex-Kanzlerin Angela Merkel (71, CDU) in Bezug auf die Integration zahlreicher Flüchtlinge im Jahr 2015. Viele Bürger haben aktuell ein völlig anderes Gefühl. Das zeigt auch eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv. 40 Prozent sagten, dass es bis heute Probleme gibt, die auf die Zuwanderung 2015 zurückzuführen seien. Muss sich die Politik daher eingestehen, dass Integration teilweise nicht funktioniert hat?
Detlef Müller: Ja. Und da sind auch viele Politiker-Phrasen dabei. Ich hab das in Berlin erlebt. Dort wurde in einer Migrations-Runde gesagt: "Wir dürfen nicht die Fehler machen, die wir in Neukölln mit der türkischen Community gemacht haben." Also Parallelgesellschaften. Alle haben genickt - dennoch machen wir diese Fehler.
Das hängt auch damit zusammen, dass der Satz "Wir schaffen das" zwei Voraussetzungen hat - beide Seiten müssen es wollen. Es muss einerseits die Möglichkeit zur Integration geben: Deutschkurse, Arbeit, Anerkennung, Wohnung und ein ausreichendes Gehalt. Gleichzeitig müssen die Personen die Integration auch wollen. Das heißt auch: raus aus seiner eigenen Community kommen, Deutsch sprechen, eine Ausbildung suchen, Arbeit kriegen. "Wir schaffen das" geht nur, wenn beide Seiten das wollen.
"Wir erleben seit Jahren einen zunehmenden Egoismus"
TAG24: Ich denke gerade zurück an die Ampel-Jahre. Damals hatten viele Bürger das Gefühl, dass vor allem das Integrations-Thema ungern angesprochen wurde. Dabei ist doch gerade das so wichtig - wie sehen Sie das?
Detlef Müller: Ich halte viel von Realismus. Und Probleme, die offensichtlich sind, muss man ansprechen, damit man sie ändern kann. Wir haben in Deutschland so ein bisschen die Mentalität, schnell zu urteilen. Man ist dann manchmal schnell in der rechten Ecke - oder sogar Rassist. Das baut Barrieren auf und fördert nicht den Dialog. Das ist ja eines der Grundprobleme, die die Gesellschaft hat, dass man nicht mehr auf Augenhöhe miteinander respektvoll reden kann. Wir müssen Probleme lösen, also müssen wir sie auch benennen.
TAG24: Sie sagten in Bezug auf die "Stadtbild"-Debatte vor Kurzem gegenüber TAG24, dass wir ein gesellschaftliches Gesamtproblem haben. Es fehle an Respekt, Anstand, Bildung. Wie schaffen wir es, diese wichtigen Grundbausteine des Zusammenlebens wieder in den Vordergrund zu rücken?
Detlef Müller: Wir erleben seit Jahren einen zunehmenden Egoismus. Da spielen auch die sozialen Medien eine Rolle. Man kann sich den ganzen Tag zurückziehen, in die virtuelle Wirklichkeit. Dazu kommen Halbwahrheiten, die auch über diese Plattformen verbreitet werden. Aber auch der Leistungsdruck, der Konkurrenzgedanke trägt zum Egoismus bei. Bildung ist bei diesem Thema der Schlüssel - dass man in der Schule nicht nur den Satz des Pythagoras lernt, sondern auch Lebensbildung erhält. Dann spielt Familie auch eine Rolle: Sie sollte diese Werte, Respekt, Anstand und Ordnung, vermitteln.
SPD ratscht in Umfragen immer weiter ab - vor allem im Osten: Was machen die Sozialdemokraten falsch?
TAG24: Für die SPD sieht es vor allem mit Blick auf den Osten eher düster aus - aber auch auf Bundesebene schwinden die Prozente dahin. Als Gewinner zeichnen sich immer mehr die Ränder ab - Linke und AfD. Wie wollen Sie als Sozialdemokraten es wieder schaffen, diesen Trend umzukehren?
Detlef Müller: Ich spüre, dass die Bindung der Wähler in die SPD verloren geht. Da müssen wir ehrlich sein: Wir machen in der Themensetzung einfach Fehler. Die SPD war mal die Partei für Arbeiter und Angestellte, auch für Handwerker. Für die Menschen, die Werte schaffen.
Wir konzentrieren uns aber viel mehr auf Nebenthemen: Bürgergeld, Cannabis-Gesetz, Kindergeld. Dabei müsste aktuell das Thema Wirtschaft an erster Stelle stehen - ohne Wirtschaft bricht hier alles zusammen. Wir müssen uns wieder auf die arbeitende Mitte konzentrieren. Darum muss sich die Sozialdemokratie kümmern - und nicht um ganz viele Nebenthemen, die sicherlich auch wichtig sind, aber nicht an erster Stelle stehen sollten.
TAG24: Planen Sie, sich für den kommenden Bundestags-Wahlkampf wieder aufstellen zu lassen - ein Comeback im Bundestag quasi?
Detlef Müller: Ich saß 15 Jahre im Bundestag und bin der Meinung, dass nun die junge Generation den Vortritt hat. Daher werde ich nicht neu antreten.