Zwischen Plätzchen und Verpflichtungen: Warum Weihnachten nicht für alle Freude bedeutet

Dresden - Glitzernde Lichter, der Duft frisch gebackener Plätzchen und fröhliche Weihnachtslieder - so stellen sich viele das perfekte Fest vor. Doch hinter geschmückten Fenstern und den perfekt inszenierten Bildern in den sozialen Netzwerken sieht die Realität oft ganz anders aus. TAG24 hat mit Menschen gesprochen, die aus eigener Erfahrung wissen, wie belastend die Feiertage sein können. Außerdem verrät eine Psychologiestudentin Strategien, um die Weihnachtstage möglichst stressfrei zu überstehen.

Für Anika (22) waren Weihnachtsmärkte lange mit Anspannung verbunden - heute gehört das der Vergangenheit an.
Für Anika (22) waren Weihnachtsmärkte lange mit Anspannung verbunden - heute gehört das der Vergangenheit an.  © TAG24 / Isabel Klemt

Grade im Dezember, wenn überall die Vorweihnachtszeit gefeiert wird, setzen Gedränge auf Weihnachtsmärkten, familiäre Konflikte und üppiges Essen vielen Menschen besonders zu.

Für Anika F. (22), angehende Sozialarbeiterin, die an einer Essstörung litt, war die Weihnachtszeit lange eine enorme Belastung. "Überall war Essen - Süßigkeiten, Gebäck, auf den Weihnachtsmärkten oder beim Familienessen. In meinem Kopf bedeutete das permanenter Stress", erzählt sie TAG24.

Auch Content Creator Nico B. (31), der mit einer Angststörung lebt, empfindet die Weihnachtszeit als besonders herausfordernd. Früher traute er sich wegen seiner Krankheit nicht einmal auf den Weihnachtsmarkt. "Die Menschenmassen lösten Herzrasen und Schwindel bei mir aus. Ich hatte panische Angst, ohnmächtig zu werden", berichtet er.

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Lisa-Marie K. (27), selbstständige Reitpädagogin, empfindet die Adventszeit ebenfalls als belastend. Als Scheidungskind lebt sie seit Jahren mit Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung. "Ich hatte oft das Gefühl, zwischen den Stühlen zu stehen", erzählt sie. "Diese erzwungene Fröhlichkeit nach außen, während innerlich alles angespannt und brüchig war, war kaum auszuhalten."

Alle drei haben inzwischen durch Therapien und Klinikaufenthalte Unterstützung gefunden. Sie betonen, wie wichtig es ist, sich zu öffnen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Es ist erlaubt, sich an Feiertagen zurückzunehmen", so Lisa-Marie.

Lisa-Maries (27) eigene Erfahrungen aus der Kindheit prägen auch ihre heutige Arbeit. In der Reitpädagogik möchte sie Kindern einen sicheren Raum geben, in dem sie gesehen werden, Gefühle zeigen dürfen und Halt finden - Dinge, die ihr selbst lange gefehlt haben.
Lisa-Maries (27) eigene Erfahrungen aus der Kindheit prägen auch ihre heutige Arbeit. In der Reitpädagogik möchte sie Kindern einen sicheren Raum geben, in dem sie gesehen werden, Gefühle zeigen dürfen und Halt finden - Dinge, die ihr selbst lange gefehlt haben.  © Maria Fotoristika

Psychologiestudentin Lena engagiert sich für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen

Lena R. (30) ist Psychologiestudentin in Dresden und kennt die stillen Kämpfe vieler Menschen, besonders in der Weihnachtszeit.
Lena R. (30) ist Psychologiestudentin in Dresden und kennt die stillen Kämpfe vieler Menschen, besonders in der Weihnachtszeit.  © Thomas Türpe

Lena R. (30), Psychologiestudentin aus Dresden, kennt die stillen Kämpfe vieler Menschen. Sie hat sieben Jahre als Medizinische Fachangestellte in der Psychiatrie gearbeitet, befindet sich aktuell in der Abschlussphase ihres Bachelorstudiums und setzt sich insbesondere auf ihrem TikTok-Kanal "thepath.ology" für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ein.

Sie erklärt, dass gerade der Wunsch, ein perfektes Weihnachtsfest zu inszenieren, Druck erzeugen kann: "Viele versuchen, Konflikte zu unterdrücken und nach außen ein harmonisches Bild aufrechtzuerhalten. Kurzfristig funktioniert das, langfristig kann es aber Stress und Erschöpfung erhöhen."

Besonders Jahresrückblicke und dunkle Wintertage verstärken zudem Gefühle von Anspannung und Einsamkeit. "Wichtig ist, es nicht als persönliches Versagen zu bewerten", sagt Lena.

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Um Stress und Überforderung zu reduzieren, rät sie, realistische Erwartungen zu setzen, klar zu kommunizieren, sich Auszeiten zu nehmen, kleine Routinen einzuhalten sowie auf ausreichend Schlaf und Bewegung zu achten - und auch mal das Handy wegzulegen. "Es ist legitim, Grenzen zu setzen und belastende Themen zu vermeiden", erklärt sie.

Wenn psychische Belastungen anhalten, ist es sinnvoll, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Der Hausarzt ist ein guter erster Ansprechpartner, um weitere Schritte in Richtung Psychotherapie oder psychiatrische Hilfe zu planen", so Lena. Viele Krankenkassen bieten zudem anonyme Beratungshotlines und Unterstützung bei der Therapiesuche an.

"Die Suche nach einem Therapieplatz kann lang und kräftezehrend sein, aber man sollte sich nicht entmutigen lassen", betont Nico. "Ich habe mich durch viele Praxen durchtelefoniert und mich schließlich auf Wartelisten setzen lassen."

Weitere Informationen und Hilfsangebote findet ihr auf dem Gesundheitsportal des Bundesgesundheitsministeriums.

Durch verschiedene Interviews erhielt TAG24-Redakteurin Isabel Klemt (26) Einblicke in psychische Erkrankungen.
Durch verschiedene Interviews erhielt TAG24-Redakteurin Isabel Klemt (26) Einblicke in psychische Erkrankungen.  © Bildmontage: Norbert Neumann, Eric Münch, Thomas Türpe

Anika, Nico, Lisa-Marie und Lena möchten mehr Verständnis für psychische Erkrankungen schaffen

Im Gespräch mit TAG24 erzählt Nico (31), wie er mit seiner Offenheit zu seiner psychischen Erkrankung andere auf TikTok inspiriert und ihnen Mut macht.
Im Gespräch mit TAG24 erzählt Nico (31), wie er mit seiner Offenheit zu seiner psychischen Erkrankung andere auf TikTok inspiriert und ihnen Mut macht.  © Eric Münch

Soziale Medien beeinflussen zunehmend, wie wir uns selbst wahrnehmen - auch in der Weihnachtszeit.

Anika erzählt, dass sie früher stark von diesen unrealistischen Standards getriggert wurde. "Mir hat es extrem geholfen, Accounts zu entfolgen, die mich verunsichert haben, und stattdessen Menschen zu folgen, die echte Körper zeigen, echtes Leben, echte Emotionen." Ihr Appell: "Wir brauchen mehr echte Körper, echte Geschichten, echte Menschen."

Auch Nico setzt auf Echtheit in den sozialen Netzwerken. Auf seinem TikTok-Account "immensueberfordert" spricht er regelmäßig über seine Herausforderungen mit einer Angststörung. Um sich in der stressigen Vorweihnachtszeit zu entspannen, setzt Nico auf Bewegung und bewusste Auszeiten. "Ich spaziere abends gern und schaue mir die Weihnachtsdekorationen an, als Fokus auf die schönen Dinge."

Auch Lisa-Marie nimmt sich gezielt kleine Momente nur für sich selbst, besonders wenn der Alltag zu stressig wird. Ihr Pferd und ihre Arbeit unterstützen sie dabei enorm.

Alle drei möchten mit ihrer Geschichte mehr Sichtbarkeit und Verständnis für psychische Erkrankungen schaffen und anderen Mut machen. "Du weißt nie, was ein Mensch gerade durchmacht", sagt Anika.

"Rücksicht und Verständnis sollten wieder selbstverständlich sein [...] Menschen mit psychischen Erkrankungen tun sich oft schwer, um Hilfe zu bitten. Kleine Gesten wie ein Spaziergang oder ein gemeinsames Essen zeigen Aufmerksamkeit und verhindern, dass sich jemand vergessen fühlt", ergänzt Nico.

Titelfoto: Bildmontage: TAG24 / Isabel Klemt, Maria Fotoristika, Thomas Türpe, Eric Münch

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