Baubürgermeister Stephan Kühn im Interview: "Ich verfolge keinen ideologischen Kurs"

Dresden - Stephan Kühn (45) polarisiert wie kein Zweiter in der Dresdner Stadtpolitik. Verkehrsversuche, der Spurenstreit um die Carolabrücke oder frisch aufmarkierte Radwege - kaum eine Maßnahme seiner Verkehrspolitik bleibt ohne Protest. Im TAG24-Sommerinterview erklärt der grüne Baubürgermeister, wie er persönlich mit der Kritik und dem Druck umgeht.

Der Grünen-Politiker stellte sich den Fragen der TAG24-Redakteure Hermann Tydecks (42, r.) und Lennart Zielke (29).
Der Grünen-Politiker stellte sich den Fragen der TAG24-Redakteure Hermann Tydecks (42, r.) und Lennart Zielke (29).  © Norbert Neumann

"Die Entscheidung für eine vierspurige Lösung widerspricht der Empfehlung zahlreicher Experten"

TAG24: Herr Kühn, Sie waren elf Jahre Bundestagsabgeordneter. Bereuen Sie den Wechsel ins Dresdner Rathaus im Jahr 2020?

Stephan Kühn: Nein. Ich wollte mich für meine Heimatstadt engagieren und war zuvor bereits jahrelang als Bezirksbeirat und Stadtrat kommunalpolitisch aktiv. Als man mich fragte, musste ich nicht lange überlegen.

TAG24: Sie plädierten für zwei bis drei Spuren, am Ende entschieden sich Stadtrat und OB Hilbert für eine vierspurige Carolabrücke. Warum konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Stephan Kühn: Ich hatte vorgeschlagen, die neue Brücke nicht zu verbreitern, da das Verkehrsaufkommen stark rückläufig ist. Die Entscheidung für eine vierspurige Lösung widerspricht der Empfehlung zahlreicher Experten. Der Stadtrat hat sich dennoch anders entschieden.

TAG24: Einige Fraktionen zweifeln an den Prognosen aus Ihrem Geschäftsbereich.

Stephan Kühn: Die Prognosen basieren auf bundesweit einheitlichen Standards. Sie haben bereits gerichtlichen Überprüfungen standgehalten.

TAG24: Glauben Sie denn, dass sich die Mehrheit der Dresdner eine zwei- bis dreispurige Brücke wünscht?

Stephan Kühn: Eine Mehrheit der Dresdner wünscht sich eine Carolabrücke, die ins Stadtbild passt und sicherlich keine Autobahnbrücke mitten im Zentrum. Die DDR-Brücke war bereits eine der breitesten in Dresden.

TAG24: Sie üben das Amt des Verkehrsbürgermeisters sehr politisch aus, bauen die Stadt zulasten der Autofahrer um, sagen Ihre Gegner.

Stephan Kühn: Dresden belegt bundesweit im ADAC-Städte-Ranking Platz 1 - auch bei den Autofahrern. Ich verfolge keinen ideologischen Kurs, sondern habe die Belange aller Verkehrsteilnehmer im Blick. Verkehrsversuche wie am Blauen Wunder sind keine persönlichen Projekte, sondern gehen auf Ratsbeschlüsse zurück.

Der Verkehrsversuch am Blauen Wunder im April 2024 sorgte stadtweit für erhitzte Gemüter.
Der Verkehrsversuch am Blauen Wunder im April 2024 sorgte stadtweit für erhitzte Gemüter.  © Norbert Neumann

Für Kühn gehören Hassnachrichten "leider zum Alltag"

TAG24: Erfordert die Mitte-Rechts-Mehrheit im Stadtrat nicht eine Kurskorrektur?

Stephan Kühn: Wenn der Stadtrat neue Beschlüsse fasst, setze ich sie um.

TAG24: Fahren Sie selbst Auto?

Stephan Kühn: Ja, seit 25 Jahren. Ich nutze Carsharing und fahre mindestens einmal pro Woche. Bei gutem Wetter steige ich lieber aufs Rad - auch im Winter, solange es nicht eisig ist. Mit der Straßenbahn bin ich auch viel unterwegs.

TAG24: Sie erhalten zahlreiche Zuschriften aus der Bevölkerung.

Stephan Kühn: Sehr viele davon sind positiv.

TAG24: Sie stehen aber auch massiv in der Kritik, lesen teils hasserfüllte Kommentare.

Stephan Kühn: Das erleben viele Politiker - besonders Frauen. Hassnachrichten gehören leider zum Alltag. Bürgermeister und Landräte haben deshalb bereits ihre Ämter niedergelegt. Das ist besorgniserregend.

TAG24: Wie reagieren Sie darauf?

Stephan Kühn: Bei einer groben Wortwahl reagiere ich sachlich. Wird jemand beleidigend, dann gebe ich den Fall zur Staatsanwaltschaft. Ein uneinsichtiger Wiederholungstäter, der mich als "grüner Faschist" bezeichnete, musste 4000 Euro zahlen. So was ziehe ich dann durch.

Kühn kam mit dem Fahrrad zum Haus der Presse, nutzt nach eigenen Angaben aber auch den ÖPNV und das Auto.
Kühn kam mit dem Fahrrad zum Haus der Presse, nutzt nach eigenen Angaben aber auch den ÖPNV und das Auto.  © Norbert Neumann

Stephan Kühn: "Wenn ich Bürger in meine Sprechstunde einlade, dann mäßigt sich der Ton"

TAG24: Und im persönlichen Umgang?

Stephan Kühn: Wenn ich Bürger in meine Sprechstunde einlade, dann mäßigt sich der Ton. Das Problem liegt vor allem in den sozialen Medien - dort verschwindet oft jedes Maß an Höflichkeit und Anstand.

TAG24: Sie wurden im Dezember mit Familie und Freunden aus dem Schillergarten geworfen.

Stephan Kühn: Das fiel negativ auf den Wirt zurück. Wir sind daraufhin in ein anderes Restaurant gegangen, wo wir freundlich empfangen wurden.

TAG24: Haben Sie sich jemals physisch bedroht gefühlt?

Stephan Kühn: Nein. Während OB und Ministerpräsident bereits Demonstranten vor der Haustür hatten, ist mir das erspart geblieben. Personenschutz war für mich bisher kein Thema.

TAG24: Auch nicht nach der Morddrohung im April 2024?

Stephan Kühn: Das war ein Rentner, der seinen Blutzuckerspiegel nicht im Griff hatte. Er rief bei meiner Sekretärin an und hinterließ seinen Namen und die Telefonnummer. Dann bekam er Besuch vom Staatsschutz. Wir werden uns noch vor Gericht treffen.

TAG24: Können Sie die Familie aus dem Trubel um Ihre Person heraushalten?

Stephan Kühn: Ja, meine Kinder haben deshalb keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Geht juristisch gegen Drohungen vor: Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn (45) ist seit Oktober 2020 im Amt.
Geht juristisch gegen Drohungen vor: Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn (45) ist seit Oktober 2020 im Amt.  © Norbert Neumann

Kühn und sein Verhältnis zu OB Hilbert

TAG24: Was sagen Ihre Freunde?

Stephan Kühn: Die fragen mich manchmal, warum ich mir das antue (schmunzelt).

TAG24: Wie ist Ihr Verhältnis zu OB Hilbert?

Stephan Kühn: Bei vielen Projekten genieße ich seine Rückendeckung. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir hin und wieder unterschiedlicher Meinung sind. Das klären wir intern - auf vertrauensvoller Basis.

TAG24: Duzen Sie sich?

Stephan Kühn: Nein, wir siezen uns.

TAG24: Im Herbst 2027 endet Ihre Amtszeit. Wie geht es danach für Sie weiter, angesichts möglicher Herausforderungen bei der Wiederwahl?

Stephan Kühn: Ich fokussiere mich erst einmal auf die Gegenwart und habe noch viel vor: den grundhaften Ausbau der Königsbrücker Straße, die Nossener Brücke mit der Campuslinie oder auch die Sanierung des Römischen Bades und der Robotron-Kantine.

TAG24: Möchten Sie langfristig in Dresden bleiben?

Stephan Kühn: Mein Lebensmittelpunkt ist hier, meine Tochter kommt diesen Sommer in die Schule. Ich fühle mich in meiner Heimatstadt wohl.

Titelfoto: Norbert Neumann

Mehr zum Thema Dresden Politik: