WBS 70: Der berühmteste "Platten"-Typ der DDR feiert runden Geburtstag

Dresden - Nicht nur die Einheit, auch die "Platte" feiert Geburtstag! Seit 50 Jahren gibt es den bekannten Typ "WBS 70". Kaum eine andere Abkürzung für "Wohnungsbauserie 70" steht so für Hoffnungen und Träume, aber auch für das graue, durchschnittliche Ende der DDR vor 30 Jahren.

"Frau Dr. Platte": Claudia Quiring vom Stadtmuseum forscht über die Typenbauten. Sie steht vor einem Modell eines Plattenbaus aus den 70er-Jahren.
"Frau Dr. Platte": Claudia Quiring vom Stadtmuseum forscht über die Typenbauten. Sie steht vor einem Modell eines Plattenbaus aus den 70er-Jahren.  © Ronald Bonss

Dennoch und trotzdem wird groß gefeiert - in Dresden mit einer Galerie-Ausstellung, einer Ur-Platte, und einer großen "WBS 70"-Schau im Stadtmuseum, zu der nun die Vorbereitungen angelaufen sind.

Was zeichnete Plattenbauten in Ost und West aus? Wer zog mit welchen Hoffnungen ein und flüchtete wann vor der Ghettoisierung aus den großen Plattenbaugebieten? Und wie klang und roch eigentlich eine Platte? Diese Dresdner Forscherin will den Mythos WBS 70 entschlüsseln.

"Wir brauchen noch Fotos aus Bau- und Einzugszeit. Wir wollen erfahren: Wie hat man sich eingerichtet, wie ist man damit umgegangen, dass die versprochene Kaufhalle noch nicht fertig war und vielleicht nie fertig wurde", sagt die Kustodin für Baugeschichte und Stadtentwicklung im Dresdner Stadtmuseum, Claudia Quiring.

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Die Kunsthistorikerin plant die erste große Plattenbau-Ausstellung der Stadt. Thema ist dabei nicht nur die WBS 70, sondern das Lebensgefühl in der "Platte" im Osten und im Westen. "Wir wollen darstellen, wie die Menschen zu ihrer Wohnung gekommen sind, wie sie sich beim Einzug fühlten, wie die Stimmung später gekippt ist", so Frau Quiring, die übrigens selber nie die Wohn-Erfahrung "Platte" gemacht hat.

Schon 1955 gab es in Dresden erste Experimente mit Plattenbauten

Die Platten an der Comeniusstraße wurden 1974 gebaut, sie sind die ersten WBS 70 Blöcke in Dresden.
Die Platten an der Comeniusstraße wurden 1974 gebaut, sie sind die ersten WBS 70 Blöcke in Dresden.  © Thomas Türpe

Spannend: Das alte "Platten-Gefühl" soll wieder erlebbar werden. "Ich möchte mit Geräuschen spielen, das Hellhörige ist vielen in Erinnerung - und die trockene Luft. Wenn ich mit Mitarbeitern bei uns im Haus spreche - ich muss nur auf den Knopf drücken und die Erinnerungen sprudeln." Das Stadtmuseum sucht zudem bereits jetzt die Unterstützung der Dresdner, deren Erinnerungen und original erhaltene Objekte.

Geplant ist die Ausstellung 2023. Mehr als zwei Jahre bleiben noch, um in alten Akten zu wälzen, Fotos zu sichten und mit Bewohnern zu sprechen. Geplant ist zudem eine Museums-Außenstelle in einem der großen Dresdner Plattenbaugebiete. "Ich hoffe, dass wir die Wohnung einer Familie finden, die damals ganz frisch eingezogen ist, als es noch nach Beton gerochen hat, die selber gekachelt hat und die quasi bis vorgestern dort gewohnt hat."

Übrigens: 1955 gab es in Dresden erste Experimente mit den damals modernen Plattenbauten, zum Beispiel an der Mansfelder Straße. 1969 wird dann der Plattentyp "IW 67" gebaut. Ins Gedächtnis eingebrannt hat sich dennoch am deutlichsten die WBS 70. "Dessen geistige Geburt war im Jahr 1970, tatsächlich gebaut wurde in Dresden erstmals im Jahr 1974 an der Comeniusstraße", so die Ausstellung-Chefin.

Hättet Ihr es gewusst? Der Nudelturm am Albertplatz ist "WBS 70".
Hättet Ihr es gewusst? Der Nudelturm am Albertplatz ist "WBS 70".  © Thomas Türpe
Alles Gute zum "50.": Mathias Körner (42) kämpfte jahrelang für die Gorbitzer Platte, wohnte selbst in einer WBS 70.
Alles Gute zum "50.": Mathias Körner (42) kämpfte jahrelang für die Gorbitzer Platte, wohnte selbst in einer WBS 70.  © Eric Münch

Die Platte als Design-Star

Im Kunsthaus Raskolnikow startet Ende Oktober eine WBS-70-Ausstellung.
Im Kunsthaus Raskolnikow startet Ende Oktober eine WBS-70-Ausstellung.  © Eric Münch

Die WBS 70 war die wichtigste Platte der gesamten DDR, 650 000 Wohnungen entstanden. Fast jede zweite DDR-Platte ist damit "WBS 70". Die Dresdner Galerie "Raskolnikow" widmet der Kult-Platte des Ostens ab Ende Oktober eine eigene Ausstellung.

Vor Ort werden Künstler, Fotografen und Architekturhistoriker ihren Blick auf diesen Wohntyp richten. Auch an der Raskolnikow-Außenwand ist eine Kunst-Installation geplant. Zudem wird es eine umfangreiche Publikation zum Thema Platte geben, sechs Wissenschaftler aus Dresden und Warschau arbeiten daran. Ein Thema dabei ist die WBS 70-Mustersiedlung Gorbitz.

Tomasz Lewandowski (42), Kurator und Organisator, erwartet ein beispielloses Interesse. "Die Szene wächst, das Interesse der Künstlerschaft ist groß. Alle haben gestaunt, was wir hier im Raskolnikow vorhaben." Hintergrund: In der Popkultur und Designszene ist die „Ostmoderne" mittlerweile zum echten Star avanciert.

  • Info: 30. Oktober bis 18. Dezember, Kunsthaus Raskolnikow (Böhmische Straße 34) kein Eintritt, um Spende wird gebeten.

Plattenbau-Musterwohnung als "Wohnmaschine"

Architekt Martin Maleschka (38) ist ein ausgewiesener Kenner der "Ostmoderne".
Architekt Martin Maleschka (38) ist ein ausgewiesener Kenner der "Ostmoderne".  © privat

In der Dresdner Hainbuchenstraße 10 entsteht während der Raskolnikow-Präsentation in einer der letzten unsanierten "WBS 70"-Platten eine Kunst-Ausstellung mit Alltagsgegenständen der DDR. Interessant ist auch der Künstler selbst.

"Wie ganz konkret die Ausstellung aussehen wird, wird sich in meinen nächsten schlaflosen Nächten herauskristallisieren. Eine kleine Idee gibt es schon. Es soll die Farbe 'orange' werden, da die lautstark für die 70er-Jahre steht, was natürlich zum Thema nicht besser passen könnte", sagt Architekt Martin Maleschka (38).

Der Cottbuser ist einer von ganz wenigen Menschen, die von der "Ostmoderne" leben. Maleschka fotografiert, schreibt Bücher und setzt sich künstlerisch mit der DDR-Baukunst auseinander.

Die Platte selbst stellt die Eisenbahner Wohnungsgenossenschaft zur Verfügung. "Die Ausstellung erinnert an einen wichtigen Teil unserer gemeinsamen, ostdeutschen Geschichte. Einmalig ist, dass die Menschen in diesem Stadtteil die Ausstellung direkt in ihrer Nachbarschaft erleben können. Die 80er-Jahre mit den typischen Plattenbauten haben unsere Genossenschaft entscheidend geprägt", so eine Sprecherin.

Gut zu wissen: "WBS 70"-Fakten

  • Die ersten "WBS 70"-Bauten entstanden im Frühjahr 1973 in Neubrandenburg in der Koszaliner Straße.
  • Dresden folgte im Jahr 1974 an der Comeniusstraße 33 bis 35.
  • Der Wohnkomplex Bodenbacher Straße war die "erste komplexe Anwendung der Wohnungsbauserie 70" in Dresden.
  • Sachsenweit entstanden 182.000 "WBS 70"-Platten.
  • Die Bauten wurden als 5-, 6- oder 11-Geschosser errichtet.
  • Auch der "Nudelturm" am Albertplatz und die "Barock-Platte" in der Königsstraße gehören zu dem variantenreichen Bautyp.

Titelfoto: Thomas Türpe

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