Prozess gegen Magdeburg-Todesfahrer: Augenzeugin wurde nur knapp verfehlt

Magdeburg - Der Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt wird am Donnerstag fortgesetzt. Es wird voraussichtlich ein höchst emotionaler Tag.

Der Angeklagte Taleb A. steht für seine Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor Gericht.
Der Angeklagte Taleb A. steht für seine Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor Gericht.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Der 51-jährige Attentäter Taleb A. steht wegen sechsfachen Mordes und über 300-fachem versuchten Mord vor Gericht. Ihm droht Sicherheitsverwahrung.

Grundlegende Informationen zu dem Attentat und dem langwierigen Gerichtsverfahren findet Ihr im Artikel "Eigenes Gerichtsgebäude gebaut: Mega-Prozess gegen Magdeburger Amokfahrer startet".

TAG24 ist wieder für Euch vor Ort und berichtet live.

11.46 Uhr: Prozess pausiert

Richter Dirk Sternberg spricht der Zeugin seinen höchsten Respekt aus, bevor er sie entlässt. Es wird eine einstündige Mittagspause angekündigt.

Der Verhandlungstag pausiert bis 12.45 Uhr.

11.36 Uhr: Augenzeugin ist nach Anschlag "emotional kalt geworden"

Der Vorfall beschäftigt die Zeugin bis heute. "Ich habe für mich nicht so wahrgenommen, dass ich da war, dass ich das erlebt habe", erklärt die Wissenschaftlerin.

Sie habe bis heute mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen und sei emotional sehr kalt geworden. Die Magdeburgerin weint vor Gericht und erklärt, dass dies das erste Mal sei, dass sie diese Emotionen zulassen würde. "Es ist manchmal schwierig, so weiterzumachen, als ob nichts passiert wäre", schildert die 30-Jährige.

Der Angeklagte verdeckt während der Aussage sein Gesicht nicht mehr, sitzt aber teilnahmslos auf seinem Stuhl und lässt den Kopf hängen.

Am Donnerstag sagen wieder zahlreiche Zeugen und Geschädigte aus.
Am Donnerstag sagen wieder zahlreiche Zeugen und Geschädigte aus.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

11.24 Uhr: Todeswagen verfehlte Augenzeugin nur knapp

Jetzt sagt eine 30 Jahre alte Magdeburgerin vor Gericht aus. Sie war mit ihrer Volleyball-Gruppe an dem Anschlagsabend auf dem Weihnachtsmarkt.

Die Gruppe hielt sich an einem Essensstand auf, als der Anschlag begann. "Irgendwas hat hinter uns ganz fürchterlich gerumpelt", erinnert sich die 30-Jährige. Das Tatauto habe sie und ihre Bekannte dann nur knapp verfehlt.

"Ich habe mir gar nichts Schlimmes gedacht im ersten Moment." Die Magdeburgerin nahm zunächst an, dass der Autofahrer möglicherweise einen Schlaganfall erlitten habe.

Sie flüchtete mit Freunden in das Lager einer Bude. Sie erläutert unter Tränen, wie sie vor Ort überlegte, eine Glühweinflasche zu zerschlagen, um sich gegebenenfalls wehren zu können. "Wir wussten ja gar nicht, was passiert."

Die Angst, die sie in dem Moment erfüllte, vergleicht die 30-Jährige mit "Stacheldraht, der sich in einen reinfrisst". Dennoch verließ sie die Hütte, um den Verletzten zu helfen und eine Bekannte zu suchen.

11.11 Uhr: Taleb A. verdeckt plötzlich Gesicht

Während der Zeugenaussage der Ersthelferin hält der Angeklagte Taleb A. dauerhaft ein Taschentuch vor sein Gesicht. Der Grund dafür ist unklar.

Rechtsanwalt von Rüden kritisiert den Todesfahrer, woraufhin er das Tuch vom Gesicht nimmt.

11.08 Uhr: Zeugin lobt Einsatzkräfte

Die 45-Jährige war nach dem Anschlag im Kontakt mit dem Mädchen und durfte die Familie kennenlernen. "Es hat uns automatisch eine Freundschaft verbunden, die hoffentlich lebenslang hält."

Das Mädchen ist inzwischen genesen, könne sich nach Aussagen der Zeugin aber nicht an den Vorfall erinnern.

Zum Schluss ihrer Aussage lobt die 45-Jährige alle Einsatzkräfte und Ersthelfer des Abends. "Unsere Gruppe ist stellvertretend für ganz viele auf dem Weihnachtsmarkt", erklärt sie. Deswegen sagt sie freiwillig vor Gericht aus. Sie bewundert auch den Zusammenhalt der Menschen "nach so einem hinterhältigen Anschlag".

Die Krankenschwester kann bis heute auf keine öffentlichen Feste gehen und ist bis heute in psychologischer Betreuung. "Es gibt ein Leben vor dem Weihnachtsmarkt und ein Leben nach dem Weihnachtsmarkt."

Es ist der elfte Prozesstag.
Es ist der elfte Prozesstag.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

10.57 Uhr: Krankenschwester eilte Kind zur Hilfe

Die 45-Jährige schildert, wie sie an dem Anschlagsabend einem 12-jährigen Mädchen half. Das Kind war schwer am Kopf verletzt worden.

Sie lief mit dem Kind über den Weihnachtsmarkt. "Da lag noch alles voller Menschen", beschreibt die Ersthelferin, "ich hab zu [dem Mädchen] gesagt, 'guck da nicht hin, guck da nicht hin'." Der Kreislauf der kleinen Verletzten war instabil und sie habe stark gefroren.

Es dauerte laut der Zeugin lange, bis Rettungswagen und Hilfsmittel vor Ort eintrafen. Sie konnte dem Mädchen eine Infusion legen und sie betreuen.

Erst knapp zwei Stunden nach dem Anschlag konnte das Kind endlich in einem Versorgungszelt behandelt werden. Der 12-Jährigen ging es dann wieder besser, sodass die Zeugin mit ihrem Mann und Vater schließlich nach Hause gehen konnte.

10.47 Uhr: Ersthelferin sagt vor Gericht aus

Nun sagt eine 45-jährige Krankenschwester aus. Sie war mit Kollegen auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Zwei ihrer Kollegen sagten in den vergangenen Verhandlungstagen bereits vor Gericht aus.

Die Augenzeugin unterhielt sich mit einem Kollegen, als der Anschlag begann. "Für mich hat es sich angehört wie ein dumpfes Maschinengewehr", erinnert sich die 45-Jährige. Sie flüchtete mit vielen anderen Menschen hinter die Weihnachtsmarktbuden und rief ihren Ehemann an.

Wie auch ihre Kollegen agierte sie an diesem Abend als Ersthelferin.

10.40 Uhr: Zeugin konnte ihrem "Job als Mutter nicht nachgehen"

Die Zeugin beschreibt, wie sehr sie bis heute unter dem Vorfall leidet. "Ich konnte meinem Job als Mutter nicht nachgehen", schildert sie. Der Vater der Kinder habe sich überwiegend allein gekümmert. "Ich hab vor mich hinvegetiert."

Es sei für sie belastend, etwas mit Kindern zu unternehmen. Zu groß ist die Angst vor der Außenwelt und fremden Menschen. "Jeder ist unberechenbar", heißt es.

Zwar befindet sich die Pflegerin bis 2027 in Elternzeit und hofft, anschließend wieder arbeiten gehen zu können. "Ich könnte es mir derzeit aber nicht vorstellen."

Richter Sternberg spricht der Zeugin viel Kraft aus und entlässt sie.

Der Angeklagte kommt auch am Donnerstag nicht selbst zu Wort.
Der Angeklagte kommt auch am Donnerstag nicht selbst zu Wort.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

10.34 Uhr: Augenzeugin war mit neugeborenem Mädchen auf dem Weihnachtsmarkt

Nach einer kurzen Pause steht jetzt eine Kinderpflegerin (34) vor Gericht. Sie war am Anschlagsabend mit ihrem ehemaligen Partner und zwei Kindern auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt.

Die 34-Jährige stand mit ihrem nur 12 Tage alten Mädchen an einem Schmalzkuchenstand. "Dann hat es plötzlich ganz, ganz laut geknallt", erinnert sich die junge Frau, "dann habe ich zur Seite geguckt und sah dort die ganzen Menschen fliehen und dann das Auto."

Der Todeswagen des Angeklagten fuhr an ihr vorbei. Die Augenzeugin habe demnach "sofort verstanden, dass es ein Anschlag war". Sie riss ihr Baby aus dem Kinderwagen und war zunächst davongerannt, drehte aber erneut um, um ihren Partner und den Sohn zu suchen.

Glücklicherweise war die gesamte Familie wohlauf, sie fanden einander wieder und konnten nach Hause fahren. "Von da an war alles anders."

Die zweifache Mutter ist bis heute in psychologischer Behandlung.

10.10: Taleb A. liegt bei Aussage mit Kopf auf dem Tisch

Zum Schluss ihrer Aussage schildert die Mutter die letzten Minuten des kleinen Kindes.

Sie hat ihren beiden Söhnen einen 50-Euro-Schein in die Hand gedrückt, "was der André ganz stolz in sein Portemonnaie gesteckt hat", erinnert sie sich. Die Brüder zogen gemeinsam los, tranken heiße Schokolade, aßen Süßigkeiten und waren auf dem Weg, sich einen Burger zu holen. "Dann kam das Auto."

Während der Aussage der 39-Jährigen liegt der Angeklagte Taleb A. (51) mit dem Gesicht regungslos auf dem Tisch.

Die Zeugin wird jetzt entlassen und der Verhandlungstag für kurze Zeit unterbrochen.

Der Angeklagte lag während einer Zeugenaussage regungslos auf dem Tisch.
Der Angeklagte lag während einer Zeugenaussage regungslos auf dem Tisch.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

10 Uhr: André (†9) war ein "herzliches Kind"

Die 39-Jährige beschreibt ihr getötetes Kind als "kleinen Chaoten, der alle mit seinen großen Augen verzaubert hat". André war ein sehr herzliches, liebevolles Kind.

Richter Sternberg spricht behutsam auf die Mutter ein und betont, dass sie sich nichts vorwerfen muss. Es sei "das normalste der Welt", zwei Kinder auf dem Weihnachtsmarkt allein rumlaufen zu lassen.

Ihr ältester Sohn wurde an dem Abend leicht verletzt, erlitt Schürfwunden und Prellungen. Der 20-Jährige ist, wie auch seine Mutter und ihr Lebensgefährte, bis heute in psychologischer Betreuung.

Titelfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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