Horror-Zustände in Leipzig: "Verantwortungslos, das Wohnen dort beizubehalten!"
Leipzig - Sie ist Ostdeutschlands größte Stadt, wächst bundesweit am schnellsten und wurde für viele Zugereiste zur Heimat: Leipzig. Nach der Wende investierten vor allem "Wessis" in die Messestadt. Neben realistischen Visionen ist auch aberwitziger Größenwahn übrig geblieben.
Alles in Kürze
- Leipzig wuchs nach der Wende schnell.
- Industrie-Arbeitsplätze gingen verloren.
- Westdeutsche Investoren kamen nach Leipzig.
- Die Stadt kämpfte sich aus Armut heraus.
- Heute hat Leipzig das zweitgeringste Einkommen.

Die Stadt der Friedlichen Revolution, die maßgeblichen Anteil am Mauerfall 1989 hatte, stürzte nach der Wende zunächst ab. Etwa 100.000 Industrie-Arbeitsplätze der DDR gingen verloren, nur etwa zehn Prozent der Stellen sollen übrig geblieben sein, erinnert sich Arnold Bartetzky in der MDR-Doku "Boom Boom Leipzig - Zwischen Visionen und Größenwahn".
Der 1996 nach Leipzig gezogene Buchautor und heutige Professor für Kunstgeschichte der Universität weiß, wie schlimm es um die heute siebtgrößte deutsche Stadt bestellt war.
"Die Bausubstanz, vor allem die Gründerzeitbauten, die Leipzig prägen, sind jahrzehntelang nicht saniert worden. Es fehlte auch an einfachsten Reparaturarbeiten: Die Dächer waren undicht, der Wind pfiff durch die undichten Fenster, Heizungen funktionierten schlecht, es gab eine extreme Luftverschmutzung."
Vor allem Plagwitz, heute hippes Alternativviertel, schien dem Ende geweiht. Aufgrund der damaligen Umweltbedingungen wäre es "verantwortungslos, das Wohnen auf lange Sicht dort beizubehalten", sagte damals der städtische Chefarchitekt Dietmar Fischer.

Westdeutsche Investoren kommen nach Leipzig: "Man dachte, das ist wie nach dem Zweiten Weltkrieg"

Für eine symbolische Mark übernimmt damals Ludwig Koehnes Familie einen Industriebetrieb. Trotz der geringen Ablöse ein großes Risiko für die Düsseldorfer.
"Der erste Eindruck war desolat. Als ich im Sommer 1993 in den Werkhallen war, dachte man, das ist wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Überheizte Hallen mit Luftheizung, völlig dunkel, das wirkte wie ein Museum", so der jetzige Inhaber der Maschinenbaufirma Techne Kirow GmbH.
Neben den Düsseldorfern investieren auch viele andere Westdeutsche in Bausubstanz und bringen sich in dessen Besitz. Damals ist das Wohnungsangebot höher als die Nachfrage, die Mieten lachhaft. Heute kommt die Stadt mit der Wohnraumschaffung nicht hinterher.
In all die Perspektivlosigkeit und hohe Arbeitslosenquote platzte in den 90ern der bayrische Unternehmer Manfred Rübesam hinein. Der Investor hatte der Stadt ein Wolkenkratzer-Viertel im heruntergekommenen Plagwitz vorgeschlagen, das zum sächsischen Manhattan werden sollte. "Er träumte von einer glitzernden Skyscraper-City und wollte so Plagwitz und die gesamte Stadt heilen", sagt Bartetzky.
Auch ohne diese Schnapsidee passiert vieles. Zeitweise, so heißt es, stehen in Leipzig nach Shanghai weltweit die meisten Kräne. Es wird abgerissen und neu gebaut.

Jürgen Schneider geht bei Leipzig-Umbau pleite

Auch Jürgen Schneider packt an, kommt in den Besitz Dutzender Gebäude, saniert diese aufwendig. Doch mit den Krediten übernimmt sich der Frankfurter Immobilienunternehmer, geht mit einer Milliardensumme pleite, taucht unter, wird zu einer fast siebenjährigen Haftstrafe verurteilt.
Die Banken führen die angefangenen Bauprojekte fort, stellen sie fertig, sind danach selbst Eigentümer der Gebäude.
Die jahrelange Armutshauptstadt kämpft sich auch durch die - letztlich gescheiterte - Olympiabewerbung 2012 nach oben. Doch auch heute haben Leipzigs 630.000 Einwohner das zweitgeringste Einkommen der 15 größten deutschen Städte.
Dennoch genießen sie auch die Vorzüge einer guten infrastrukturellen Anbindung, der grünen Lunge Auwald, den vielen Parks und Seen und sind stolz, auch nach dem Ende der DDR eine Sportstadt geblieben zu sein.
Schon jetzt ist die Doku abrufbar in der ARD-Mediathek. Am 30. September (20.15 Uhr) läuft sie zudem im MDR-Fernsehen.
Titelfoto: imago/teutopress