Gigantische Bauprojekte im Leipziger Osten: An der Realität vorbei?

Von Anke Brod

Leipzig - Der Leipziger Stadtteil Anger-Crottendorf verändert sich rasant. Nachdem TAG24 kürzlich über die Ansichten des Bürgervereins Anger-Crottendorf zur städtebaulichen Entwicklung berichtet hatte, lassen wir jetzt das Pendant "ACtiv für Bürger" zu Wort kommen. In deren Augen haben die Umsetzungswünsche des Bürgervereins Anger-Crottendorf zur laufenden Neugestaltung des gemeinsamen Lebensumfeldes wenig mit den "tatsächlichen Bedürfnissen" der Menschen vor Ort zu tun.

Nicht wenige Anwohner befürchten für Anger-Crottendorf bei Stadtteilplanungen an ihren Köpfen vorbei ein hausgemachtes Parkplatzdesaster.
Nicht wenige Anwohner befürchten für Anger-Crottendorf bei Stadtteilplanungen an ihren Köpfen vorbei ein hausgemachtes Parkplatzdesaster.  © Anke Brod

Diese Veränderungen umfassen neben dem künftigen "Parkbogen Ost" als Aktivachse längs der 2012 stillgelegten Bahntrasse den neuen Park in der Rietzschke-Aue und gehen bis zur in Sanierung befindlichen Karl-Krause-Fabrik an der Theodor Neubauer Straße. Für die alte Feuerwache Ost gegenüber bestehen darüber hinaus Nutzungspläne als Bürgerzentrum.

An der Ihmelsstraße wächst ein riesiger Schulcampus mit Sporthalle heran. Und auf dem Areal zweier Pacht-Garagenhöfe an der Liselotte-Herrmann-Straße plant die Stadt den Bau einer weiteren Grundschule. Den Anlagen droht perspektivisch das Aus.

Nicht nur den Mitgliedern der langjährigen Garagengemeinschaften bereitet dies Sorgen. Es fühlen sich weitere Alteingesessene, aber auch Zugezogene von Stadtplanern und Vertretern alternativer Gestaltungswünsche überrollt.

Vor gut einem Jahr gründeten sie daher einen zusätzlichen Bürgerverein. Er nennt sich "ACtiv für Bürger" und entstand nach Angaben der Initiatoren aus der Notwendigkeit einer "unabhängigen, wirklichen Bürgervertretung" als Ansprechpartner für alle Bürger im Wohngebiet.

Der Grund für solch geplante Schulneubauten liegt laut Leipziger Stadtverwaltung in gestiegenen Einwohnerzahlen der Messestadt sowie im Geburtenanstieg. Die Mitglieder von "ACtiv für Bürger" sehen hierfür im Kiez allerdings keinen Bedarf. "Wir sind voll mit Schulen", heißt es. Davon abgesehen gäbe es bessere Alternativen für eine neue Grundschule, als sie auf dem Gelände der Garagenhöfe an der Liselotte-Herrmann-Straße errichten zu wollen.

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Entgegengesetzte Stimmen - laut "ACtiv für Bürger" einige wenige, die versuchten, die Leipziger Stadtverwaltung vor ihre "Traumvorstellungen" zu spannen - befürworten unterm Strich den weiträumigen Abzug von Autoverkehr, einen Superblock sowie Gemeinschaftsflächen für alle.

Die Garagenhöfe in Anger-Crottendorf werden von den langjährigen Pächtern privat in Schuss gehalten.
Die Garagenhöfe in Anger-Crottendorf werden von den langjährigen Pächtern privat in Schuss gehalten.  © Anke Brod

Sind bestehende Schulen nicht ausgelastet?

Der Hof hinter der ehemaligen Feuerwache Ost ist riesig. Weshalb anstatt auf Garagengrund dort bei Bedarf keine Grundschule gebaut werden kann, fragen sich die Mitglieder des Vereins "ACtiv für Bürger".
Der Hof hinter der ehemaligen Feuerwache Ost ist riesig. Weshalb anstatt auf Garagengrund dort bei Bedarf keine Grundschule gebaut werden kann, fragen sich die Mitglieder des Vereins "ACtiv für Bürger".  © Anke Brod

Im Gespräch mit Tomasz Petersohn (43), dem Vorsitzenden von "ACtiv für Bürger", sowie Steffen Brabnik (62), Vorstand der Garagengemeinschaften, sowie Anwohnerin Kerstin Kruber (58) erfuhr TAG24, dass etwa die im Ort ansässige 74. Grundschule und auch die Ernst-Pinkert-Schule angeblich von den Schülerzahlen her nicht ausgelastet seien.

Bei Bedarf könne ein neues Gebäude ja auch auf dem großen Hinterhof der alten Feuerwache Ost errichtet werden, argumentieren sie. Diesen Vorschlag habe die Stadtverwaltung allerdings nicht gewürdigt.

In Anger-Crottendorf überwiegt laut "ACtiv für Bürger" der Senioren- und Arbeiteranteil, letzterer mit Schichtdienst auch außerhalb Leipzigs. Diese Leute seien auf das Auto angewiesen.

Die Initiative konkretisierte die Not: Zum einen habe man für den neuen Schulkomplex an der Ihmelsstraße bereits einen Garagenhof mit rund 90 Plätzen abgerissen. Fielen dann noch besagte Garagenhöfe mit rund 180 Unterstellmöglichkeiten und der von 60 Parkenden genutzte "Polygraphplatz" vor der Krausefabrik mit bald 120 neuen Wohnungen und 42 Tiefgaragenplätzen wegen seiner Umgestaltung zum grünen Bürgerort weg, sähe es für Autofahrer mau aus.

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Bislang parkten rund 100 Anwohner zudem im Herzen von Anger-Crottendorf, also in der engen Stünzer-, Neumann- oder Friedrich-Dittes-Straße. Dort begann der Stadtordnungsdienst im Mai 2021 "Knöllchen" für Gehwegparkende zu verteilen - nach Behauptungen von "ACtiv für Bürger" angeblich auf Druck des Bürgervereins Anger-Crottendorf.

Parkraumerhebung hat gerade begonnen

Gigantische Umwälzungen in Anger-Crottendorf: Im Rahmen des entstehenden "Parkbogen Ost" wird aktuell auch die Steinbogenbrücke über der Theodor-Neubauer-Straße saniert.
Gigantische Umwälzungen in Anger-Crottendorf: Im Rahmen des entstehenden "Parkbogen Ost" wird aktuell auch die Steinbogenbrücke über der Theodor-Neubauer-Straße saniert.  © Anke Brod

Dieser Parkplatzabbau sei kontraproduktiv, meint der Verein, denn ein guter öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) oder Alternativen seien offenbar nicht geplant. Auch ein Parkraumkonzept fehle.

Eine entsprechende Petition und die Beharrlichkeit der Anger-Crottendorfer habe nun nach über einem Jahr der "Bemühungen um Beachtung" immerhin zur Anordnung einer Parkraumanalyse geführt: Tatsächlich waren demnach just diesen Mittwoch Beauftragte zur Stellplatzerhebung vor Ort unterwegs!

Vorherige Erhebungen der Stadt Leipzig hatten gezeigt, dass 2021 in Anger-Crottendorf 48,6 Prozent aller Haushalte über Nutzfahrzeuge verfügten. Somit bestünde keine "Übermotorisierung", meint "ACtiv für Bürger".
Neben dem Erhalt der beiden Garagenhöfe fordern Betroffene von der Stadt auch Stellplatz-Ersatz. An den Garagen ließen sich überdies Ladestationen für E-Autos einrichten, so die Idee.

Die Pächter errichteten die Anlage 1971/72 in Eigenregie und halten sie bis heute privat instand. "Das hat eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Geist sich aus der gemeinsamen Verantwortung und Arbeit entwickelt hat", erklärt Anwohner Lutz Hartung (80). Er bemüht sich laut eigener Aussage seit Jahren ohne nennenswerte Resonanz, Antworten zum Umgang der Stadt mit den Garagenhöfen zu erhalten.

Die Mitstreiter des Vereins "ACtiv für Bürger" (v.l.n.r.:) Kerstin Kruber (58), Steffen Brabnik (62) und Tomasz Petersohn (43) unterhielten sich mit der TAG24-Reporterin in den Garagenhöfen von Anger-Crottendorf.
Die Mitstreiter des Vereins "ACtiv für Bürger" (v.l.n.r.:) Kerstin Kruber (58), Steffen Brabnik (62) und Tomasz Petersohn (43) unterhielten sich mit der TAG24-Reporterin in den Garagenhöfen von Anger-Crottendorf.  © Anke Brod

Garagen zur Hobbypflege und zum Klönen

Die Pächter zweier Garagenhöfe in Anger-Crottendorf sehen in dem Areal nicht nur reine Stellplätze, sondern pflegen dort auch gewachsene Nachbarschaft.
Die Pächter zweier Garagenhöfe in Anger-Crottendorf sehen in dem Areal nicht nur reine Stellplätze, sondern pflegen dort auch gewachsene Nachbarschaft.  © Anke Brod

Jener Geist habe sich in den vergangenen 50 Jahren zum Teil auf ihre Kinder übertragen.

"Die Garagen sind für sehr viele Nutzer nicht nur Unterstellmöglichkeiten für Autos, sondern auch Begegnungsstätten, über Autos und Motorräder zu fachsimpeln, sie zu pflegen und sich gegenseitig zu helfen", betonte Hartung.

Selbst Oldtimer würden hier liebevoll gepflegt. Steffen Brabnik etwa sieht als Oldtimerfan die Felle seiner Hobbyschrauberei davonschwimmen. "Darauf hatte ich mich zum Ruhestand sehr gefreut", sagt er traurig.

Weshalb altbewährte Strukturen auf Biegen und Brechen Neuland weichen sollen, begreift hier niemand. "Das ist für mich ein Ort der Begegnung, Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfe, Hobby- und Traditionspflege, aber auch eine Entlastung des öffentlichen Raums vom ruhenden Verkehr", fasst es auch Kerstin Kruber zusammen.

Lutz Hartung resümiert: "Wir fordern von der Stadt, dass sie sich nicht bloß um Schulen kümmert, sondern auch um die Lebensbedingungen aller Menschen. Ich kann es nicht verstehen, dass man einen Stadtteil mutwillig ins Verkehrschaos stürzen will." Er macht deutlich: "Da der nächste Anschluss an den ÖPNV 850 Meter entfernt ist, werden die Autos gebraucht. Es ist kein Luxusgut!"

Kollektives Aufatmen in dem aufreibenden Disput gäbe es sicherlich für alle Beteiligten, wenn sie es schafften, sich auf Augenhöhe in ihren Vorstellungen und Vorbehalten auszutauschen, um letztlich im klassischen Kompromiss Gemeinwohl zu erreichen.

Update, 27. Juni: Stadt äußert sich zum "ACtiv für Bürger"-Vorschlag

Zum Vorschlag des Vereins "ACtiv für Bürger", eine weitere Grundschule für Anger-Crottendorf nicht auf dem Pachtgrund zweier etablierter Garagenhöfe zu errichten, sondern lieber auf dem Gelände der früheren Feuerwache Ost, äußerte sich auf TAG24-Anfrage am Montag das städtische Amt für Schule.

"Im Rahmen der Standortuntersuchungen wurde auch die Errichtung der Grundschule auf dem Gelände der heutigen Feuerwache Ost geprüft", schrieben die Verantwortlichen. Es habe sich gezeigt, dass das Bestandsgebäude für eine schulische Nutzung nicht geeignet sei und den Abbruch erfordert hätte. Weiter hieß es: "Darüber hinaus wäre das Grundstück der Feuerwache Ost allein von der Grundstücksgröße nicht ausreichend gewesen, sodass ein Eingriff in den Garagenhof weiterhin erforderlich wäre."

Auf Basis entsprechender Stadtratsbeschlüsse sei der Erhalt des Hauptgebäudes der Feuerwache Ost mit Weiterentwicklung zum Nachbarschaftszentrum vorgesehen, so die Begründung. Der Abbruch des Gebäudes für eine Schule habe nicht zur Diskussion gestanden.

Titelfoto: Anke Brod

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