Schilder-Irrsinn: Was ist bitte eine "unechte Einbahnstraße"?

Leipzig - Verkehrszeichen. Über 1000 verschiedene gibt es in Deutschland. Wo und wie sie aufgestellt werden müssen, ist penibel in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. Verschiedene Ausnahmefälle erschweren jedoch Fahrzeugführern, sich an geltende Regeln zu halten - selbst wenn sie es wollten. Hier der Fall einer sogenannten "unechten Einbahnstraße" in Leipzig. Noch nie gehört? Dann seid Ihr bei Weitem nicht allein. TAG24-Redakteur Nico Zeißler bekam es selbst mit ihr zu tun.

Das linke Parkplatz-Schild ist fest im Boden einbetoniert, steht in Fahrtrichtung Lortzingstraße am linken Fahrbahnrand. Doch auch wenn mobile Schilder auf dieser Straßenseite andersherum stehen, gelten sie.
Das linke Parkplatz-Schild ist fest im Boden einbetoniert, steht in Fahrtrichtung Lortzingstraße am linken Fahrbahnrand. Doch auch wenn mobile Schilder auf dieser Straßenseite andersherum stehen, gelten sie.  © Nico Zeißler

Wie alles begann: Am Morgen des 9. März 2020, einem Montag, wollte ich ausnahmsweise mit dem Auto auf Arbeit fahren. Es regnete in Strömen, und ich begab mich an die Stelle auf der Humboldtstraße, an der ich mein Fahrzeug zuletzt abgestellt hatte. Es war weg.

Eine minutenlange Absuche der umliegenden Straßen begann, doch es blieb verschwunden. Abgeschleppt bereits zwei Tage zuvor, weil es wegen eines Umzugs im Parkverbot stand, erläuterte mir ein Polizist am Telefon. Ich war mir aber sicher, keine Parkverbotsschilder gesehen zu haben.

Mein Auto durfte ich bei einem privaten Abschleppunternehmen abholen, das an diesem Morgen nicht nur meinen Wagen an besagter Stelle entfernt hatte, wie ich dort erfuhr. 284,85 Euro durfte ich blechen, um ihn wiederzubekommen.

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Ein freundlicher Mitarbeiter des Unternehmens zeigte mir vor Ort die Fotos, auf denen der Abschleppvorgang und die Parkverbotsschilder zu sehen waren. "Die stehen doch verkehrt herum", entgegnete ich ihm. Er musste lachen, denn das hatte er schon zuhauf von anderen Autobesitzern gehört, die in der Vergangenheit - vermutlich ebenfalls unwissentlich - auf diesem Stück der Humboldtstraße im Parkverbot gestanden hatten. Denn: Es handelt sich um eine "unechte Einbahnstraße"!

Mindestens vier Falschparker-Autos wurden am Tag des Umzugs von einem privaten Abschleppunternehmen entfernt. Alle Fahrer konnten das Parkverbot, in dem sie standen, durch zumindest eines der "verkehrt herum" aufgestellten Verkehrszeichen bei der Einfahrt in die Straße nicht sehen. Laut Stadt ist das aber so korrekt.
Mindestens vier Falschparker-Autos wurden am Tag des Umzugs von einem privaten Abschleppunternehmen entfernt. Alle Fahrer konnten das Parkverbot, in dem sie standen, durch zumindest eines der "verkehrt herum" aufgestellten Verkehrszeichen bei der Einfahrt in die Straße nicht sehen. Laut Stadt ist das aber so korrekt.  © privat

"Unechte Einbahnstraße": Was ist das?

Das Teilstück der Humboldtstraße zwischen Pfaffendorfer Straße im Osten und Lortzingstraße im Westen (rote Markierung) ist eine "unechte Einbahnstraße".
Das Teilstück der Humboldtstraße zwischen Pfaffendorfer Straße im Osten und Lortzingstraße im Westen (rote Markierung) ist eine "unechte Einbahnstraße".  © Google Maps

Ich hatte mein Auto wieder, knapp 300 Euro waren jedoch weg. Ich wollte weniger das Geld zurück, als vielmehr den Sinn verstehen.

Was ist eine "unechte Einbahnstraße", von der weder ich noch Bekannte, Verwandte und Nachbarn jemals zuvor etwas gehört hatten? Und wieso ist es korrekt, dass die Parkverbotsschilder entgegen der Einbahnstraßen-Fahrtrichtung stehen dürfen?

Zunächst zur räumlichen Einordnung: Es geht um das 150 Meter kurze Teilstück zwischen der Pfaffendorfer Straße im Osten und der Lortzingstraße im Westen. Hineinfahren darf man nur von der Pfaffendorfer Straße, von der Lortzingstraße aus ist die Einfahrt ausschließlich Fahrrädern erlaubt.

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Innerhalb der beiden genannten Querstraßen kann die Humboldtstraße jedoch von allen Verkehrsteilnehmern beidseitig befahren werden. Aus welchem Grund? Unklar. Sinn ergibt das aus meiner Sicht - zumindest in dieser Straße - nicht.

Woran überhaupt erkennt man, dass es keine normale Einbahnstraße ist? Am fehlenden blauen Schild mit weißer "Einbahnstraße"-Schrift und einem runden, roten "Einfahrt verboten"-Schild, welches das Abbiegen auf die Pfaffendorfer Straße verbietet. Das war's.

Ein einbetoniertes Verkehrszeichen, das genauso gilt wie ein andersherum aufgestelltes mobiles

Die beiden Schilder, die den Bereich des Parkverbots anzeigen, stehen entgegen der erlaubten Fahrtrichtung, gelten aber. Dass das Parkverbot am 7. März 2020 gilt, sieht man bei Einfahrt von der gegenüberliegenden Pfaffendorfer Straße aus nicht.
Die beiden Schilder, die den Bereich des Parkverbots anzeigen, stehen entgegen der erlaubten Fahrtrichtung, gelten aber. Dass das Parkverbot am 7. März 2020 gilt, sieht man bei Einfahrt von der gegenüberliegenden Pfaffendorfer Straße aus nicht.  © Nico Zeißler

Und weil die unechte Einbahnstraße eben zwischen den Querstraßen beidseitig befahren werden darf, ist es korrekt, dass die Verkehrszeichen jeweils am rechten Fahrbahnrand in Fahrtrichtung zeigen.

Fährt man also von der Pfaffendorfer Straße in die Humboldtstraße ein und parkt - wie durch die Markierungen vorgesehen - auf der linken Seite schräg, sieht man aufgestellte manuelle Parkverbotsschilder nicht. Die würde man nur sehen, wenn man von der Lortzingstraße einfahren würde. Und das ist verboten.

Heißt: Man parkt ein, steigt aus, läuft zu dem Verkehrszeichen, dreht sich um und sieht erst dann, was hier gilt. Irgendwie hatte ich damals in der Fahrschule gelernt, dass bei Einfahrt in eine Straße eindeutig erkennbar sein muss, welche eventuellen Parkverbote gelten.

Zumal es in Fahrtrichtung Lortzingstraße ein einbetoniertes Verkehrszeichen gibt, an dessen Blickrichtung man sich doch eigentlich orientieren sollte. Das steht auf der selben Straßenseite andersherum als die mobilen Zeichen, wegen denen mein Auto abgeschleppt wurde. Gilt aber auch. "Willkür" nenne ich das. Und - sorry - das weiß und versteht auch kein Mensch.

Das große ABER

Gilt beides: Sowohl die in Fahrtrichtung Lortzingstraße angebrachten Parkverbotsschilder (l.) als auch die umgedrehten Richtung Pfaffendorfer Straße.
Gilt beides: Sowohl die in Fahrtrichtung Lortzingstraße angebrachten Parkverbotsschilder (l.) als auch die umgedrehten Richtung Pfaffendorfer Straße.  © Nico Zeißler

Ich habe die Situation auf der Humboldtstraße wochenlang beobachtet. Schließlich hatte ich genügend Zeit, da auf meine An- und Nachfrage bei der Stadt (9. und 20. März) erstmals am 6. Juli (!) der Versuch einer Erläuterung kam.

So sah ich, dass Ende April mobile Parkverbotsschilder plötzlich in Fahrtrichtung der unechten Einbahnstraße aufgestellt waren. Ende Juli standen weitere dann wieder anders herum. Gültig waren natürlich beide Varianten. Abschleppunternehmen hatten weiterhin reichlich zu tun, unwissende Autofahrer blechten fleißig weiter. Aber wie kann das sein?

Nachdem meine Fragen offensichtlich missverstanden wurden und ich hartnäckig weiter nachbohrte, bekam ich schließlich am 26. November - nach über 37 Wochen - eine halbwegs befriedigende Meldung vom Leipziger Verkehrs- und Tiefbauamt.

Mehr oder weniger nachvollziehbar wurde die einstige Entscheidung, an dieser Stelle eine "unechte" Einbahnstraße einzurichten, erklärt.

Und: "Derzeit wird die Anordnung einer echten Einbahnstraße mit 'Radverkehr frei' geprüft." Dies sei "bis vor einigen Jahren so nicht möglich" gewesen, "daher die vorhandene Regelung".

Eines noch: Selbst wenn ein Verkehrsschild möglicherweise rechtswidrig aufgestellt wurde, muss ein Autofahrer ein damit verbundenes Verbot beachten. Es sei denn, es handelt sich um offensichtliche Willkür oder Sinnwidrigkeit. Darüber kann man sich in der Humboldtstraße zumindest streiten.

Titelfoto: Bildmontage: Nico Zeißler

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