Stadtrat-Streit um Mittagessen an Leipziger Schulen: "Müssen die Familien mehr in die Pflicht nehmen"
Leipzig - Ein SPD-Antrag zum "Mittagessen-to-go" an Leipziger Schulen hat im Stadtrat eine hitzige Diskussion ausgelöst.
Alles in Kürze
- SPD-Antrag zum Mittagessen-to-go an Leipziger Schulen ausgelöst.
- Lunchbeutel soll zur Auswahl der Cateringunternehmen hinzugefügt werden.
- CDU-Stadtrat: Eltern müssen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen.
- Stadtrat beschließt Antrag trotz kontroverser Diskussion.
- Ziel ist es, allen Schülern ein warmes Mittagessen zu ermöglichen.

Die Idee: Es soll geprüft werden, ob in kommunalen Schulen auch ein Lunchbeutel - etwa Salate und Sandwiches - zur Auswahl der Cateringunternehmen hinzugefügt und über das Angebot gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung nach Bildung und Teilhabe abgerechnet werden kann.
Zur Begründung der Vorlage hieß es: "Gerade ab der 6. Klasse lässt sich in weiterführenden Schulen der Trend beobachten, dass junge Menschen nicht mehr an der Schulverpflegung teilnehmen wollen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oftmals ist aber gerade die Dynamik der Freundesgruppe (Cool ist, wer nicht mitisst) ausschlaggebend für das Ablehnen einer Mittagsmahlzeit in der Schule."
SPD-Stadtrat Andreas Geisler (59, SPD) erklärte dazu in der Ratsversammlung: "Zwei Dinge haben an Schulen nichts zu suchen, habe ich als Stadtelternratsvorsitzender immer gesagt, das eine ist Angst und das andere ist Hunger und Durst. Wir reden heute über Hunger."
Nicht genug Schüler mit Anspruch auf Schulessen im Bildungs- und Teilhabepaket nutzten das Angebot auch wirklich. "Die Frage ist, was passiert, wenn die Hälfte der Klasse an den Imbiss geht, die Salatbox nimmt und rausgeht, oder im Zweifelsfall in den nächsten Supermarkt [...] und dann stehen wieder die, die kein Essen haben daneben und haben Hunger."
Mit einem Lunch-to-go hätten "alle Kinder mit einkommensschwachen Eltern die Möglichkeit, wieder gemeinsam im Schulhof, in der Mensa oder wo auch immer zu essen."
CDU-Stadtrat: "Müssen uns dazu bekennen, dass Eltern Verantwortung für ihre Kinder haben"

Der Antrag war zunächst von der Verwaltung abgelehnt worden - doch: "Zwei Minuten bevor ich hier vorgegangen bin, wurde mir aus dem Dezernat gespiegelt, die Verwaltung würde sogar unseren Antrag übernehmen", so Geisler.
Bürgermeisterin Vicki Felthaus erklärte dazu, es sei mündlich zugesagt worden, "dass wir nach Rücksprache mit anderen Kommunen das so prüfen können, wie es im Ursprungsantrag steht."
Also Ende gut, alles gut? Hätte so sein können, doch dann entspann sich eine Kontroverse im Stadtrat.
So meldete sich Michael Weickert von der CDU zu Wort, gab SPD-Mann Geisler inhaltlich zwar recht, aber: "Ich finde, wir müssen auch einfach die Familien ein Stück weit mehr in die Pflicht nehmen, sich um ihre Kinder zu kümmern, ich finde, es gehört einfach dazu. Es ist völlig in Ordnung, dass wir auch die Symptome bekämpfen eines Problems, aber wir müssen uns auch immer wieder dazu bekennen, dass Eltern Verantwortung für ihre Kinder haben."
Sofort folgte die direkte Antwort des Stadtrats Thomas Kumbernuß (54, Die Partei): "Ein ganz großes Symptom des Problems nennt sich Kapitalismus, ich finde es schön Herr Weickert, dass sie was dagegen machen wollen."
BSW-Stadtrat: "Schülern klarmachen, dass auch uncoole Dinge nicht unrichtig sind"

Und auch Geisler reagierte: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, es gibt einen Anteil an Familien, an Alleinerziehenden, die große Schwierigkeiten haben, dem gerecht zu werden und genau dort müssen wir versuchen mit den Hilfsmöglichkeiten, die wir haben, zu unterstützen, weil Bildungsgerechtigkeit betrifft am Ende das Kind und nicht die Eltern."
Christian Kriegel (69, AfD) äußerte seine Sorge um die Cateringfirmen und befand: "Die Gefahr ist hier wirklich da, dass wir dann diejenigen bevorzugen, die so einen Lunchbeutel mit anbieten, denn es gibt Essensanbieter, die können es wahrscheinlich gar nicht anbieten und dann wird wieder ein neues Kriterium aufgemacht und vielleicht eine hochwertige Küche fällt dann außen vor."
Dem stimmte Thomas Kachel (55) von der BSW-Fraktion zu und führte zudem an: "Es ist vielleicht uncool, wenn sich Schülerinnen und Schüler jetzt zum Essen zusammensetzen müssen, aber ich finde, ordentliche Bildung muss auch darin bestehen, diesen Schülern dann klarzumachen, dass auch uncoole Dinge nicht unrichtig sind, sondern es geht darum, sozusagen klarzumachen, dass gemeinsame Essen und gemeinsames warmes Essen ein Wert an sich sind."
Am Ende wurde der SPD-Antrag trotz der kontroversen Diskussion beschlossen.
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