Mobilität in Leipzig: OB Jung will Stadt den Fußgängern zurückgeben

Leipzig - Die Diskussion rund um das Thema Mobilität in Leipzig spitzt sich immer weiter zu. So sehr, dass sich sogar OB Burkhard Jung (65, SPD) entschied, seinen "Bericht des Oberbürgermeisters" am Mittwoch im Stadtrat darauf zu fokussieren. Jung skizzierte darin seine Vision, die "Fehler aus 100 Jahren Verkehrsentwicklung, wenn nicht abzuschaffen, dann zumindest abzumindern". Die Reaktion der Fraktionen: durchwachsen.

Bei der Ratsversammlung am Mittwoch skizzierte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (65, SPD) seine Vision der Stadt der Zukunft und erklärte: "Wir müssen den öffentlichen Raum den zu Fuß gehenden weitgehend zurückgeben."
Bei der Ratsversammlung am Mittwoch skizzierte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (65, SPD) seine Vision der Stadt der Zukunft und erklärte: "Wir müssen den öffentlichen Raum den zu Fuß gehenden weitgehend zurückgeben."  © Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Jung ging in seiner Rede auf die Erfindung des Autos vor 100 Jahren ein. Eine Revolution, wie er sagte, "die unser Leben maßgeblich verändert hat". Spätestens nach 1945 seien Wohlstand und Freiheit auch an das Auto geknüpft worden. "Städte wurden für das Auto optimiert, der öffentliche Raum neu geordnet. Straßen bekamen eine neue primäre Funktion."

Bis heute werde diese Denkweise "überall in der Verkehrsplanung wie ein Diktum vorhergetragen". 100 Jahre autofokussierte Stadtentwicklung hätten dafür gesorgt, dass "der öffentliche Raum zum Verkehrsraum geworden ist und die Menschen an den Rand gedrängt wurden".

Jung wolle damit jedoch Schluss machen. "Um es ganz deutlich zu sagen: Wir reden über den Raum, in dem 625.000 Menschen leben. Der Raum zwischen den Häusern ist nicht nur Verkehrsraum, sondern der Raum, in dem Menschen leben. [...] Für Begegnung, Entspannung, Spielen."

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Er selbst wolle Politik für Menschen machen. Dabei wandte er sich fragend an die Stadträte: "Wollen wir tatsächlich die falsche Diskussion führen, wie wir mehr Verkehrsraum schaffen? Wollen wir weiter darüber reden, dass wir vor dem Bahnhof eigentlich vier Spuren statt zwei brauchen?"

Jungs Antwort: "Ich will einen öffentlichen Raum für alle schaffen und die Fehler aus 100 Jahren Verkehrsentwicklung, wenn nicht abschaffen, dann zumindest abmindern."

Leipzigs OB Jung: Flanieroffensive und neuer S-Bahn-Tunnel

Jung forderte eine Flanieroffensive und sprach sich auch für einen neuen S-Bahn-Tunnel von West nach Ost aus, damit Menschen unter anderem schneller vom Hauptbahnhof zur Red Bull Arena gelangen.
Jung forderte eine Flanieroffensive und sprach sich auch für einen neuen S-Bahn-Tunnel von West nach Ost aus, damit Menschen unter anderem schneller vom Hauptbahnhof zur Red Bull Arena gelangen.  © Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Jung verknüpfte seine Vision mit acht Thesen. Dabei ging es unter anderem darum, dass...

  • der öffentliche Raum den Fußgängern zurückgegeben werden sollte,
  • diese ins Zentrum der Stadtplanung gehörten,
  • Leipzig ein flächendeckendes, sicheres und großzügiges Radwegenetz brauche sowie
  • Straßenbahnen und Busse das Rückgrat unserer Mobilität darstellen und weiter gestärkt werden müssten.

Das Stadtoberhaupt forderte eine "Flanieroffensive", denn eine kinder- und familienfreundliche Stadt sei "immer auch eine fußgängerfreundliche Stadt". Er sprach sich für einen weiteren S-Bahn-Tunnel von Ost nach West aus und verknüpfte dies mit dem Eingeständnis, dass die Zahl der Pendler auch so hoch sei, "weil wir den ÖPNV und den ländlichen Raum vernachlässigt haben".

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Dem OB zufolge benötige die Stadt jedoch auch "starke, verkehrstüchtige Verkehrsadern", unter anderem für den Wirtschaftsverkehr. "Ich bin nicht blauäugig. Natürlich brauchen wir das." Insgesamt 76 Millionen Euro habe die Stadt in den nächsten Jahren in Komplexmaßnahmen eingeplant.

Jung betonte allerdings ebenfalls, dass die Wirtschaft nicht zusammenbrechen werde, wenn auf den Verkehrsadern Tempo 30 gelte und fügte an: "Jeder Griff zum Rad macht den Wirtschaftsverkehr flüssiger."

Bericht des Oberbürgermeisters: Harsche Kritik der Fraktionen

Vonseiten der Stadträte gab es gemischte Reaktion auf die OB-Rede. Mehrfach wurde erneut die Radspur am Hauptbahnhof kritisiert sowie die Kommunikation rund um deren Einrichtung.
Vonseiten der Stadträte gab es gemischte Reaktion auf die OB-Rede. Mehrfach wurde erneut die Radspur am Hauptbahnhof kritisiert sowie die Kommunikation rund um deren Einrichtung.  © Hendrik Schmidt/dpa

Die Stadträte forderte Jung auf, bei dem Thema wieder sachlich und respektvoll zu diskutieren. Doch nach der Debatte um die Radspur am Hauptbahnhof schien die Rede bei vielen nur noch weiter Öl ins Feuer zu gießen.

So sprach sich Grünen-Fraktionschef Dr. Tobias Peters noch für die Pläne aus und erklärte: "Wir wollen die Verkehrswende auf den Weg bringen."

Doch schon Franziska Riekewald von der Linken kritisierte, dass bei allen Visionen der ÖPNV viel zu kurz komme. Es müsste mehr Geld in die Hand genommen und Maßnahmen müssten besser kommuniziert werden. "Das haben wir schon bei der Radspur vor dem Hauptbahnhof nicht gemacht."

Auch CDU-Fraktionschef Frank Tornau konzentrierte sich auf den Fahrradstreifen und bezeichnete derartige Regelungen gar als "Zwangsmaßnahmen". An Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) gewandt erklärte er: "Hören Sie auf zu behaupten, es gehe um Sicherheit." Er selbst sehe in den Maßnahmen die Umsetzung ideologischer Vorstellung und von Symbolpolitik. "Wenn es aber konkret wird, ist die Stadtverwaltung überfordert."

Tobias Keller (AfD) bezeichnete die 2020 beschlossene "Mobilitätsstrategie 2030" als "zu Grabe getragen" und forderte: "Schluss mit dem Fokus auf Radler. [...] Schluss mit der Benachteiligung von Kfz-Fahrern. [...] Schluss mit der Unterfinanzierung des ÖPNV."

Leipzigs Mobilitätspläne: Reichen die Gelder?

Wenn Leipzig beim Thema Mobilität vorankommen will, so eine Einschätzung des Verkehrs- und Mobilitätsausschusses, dann brauche es mehr Geld und mehr Zusammenarbeit.
Wenn Leipzig beim Thema Mobilität vorankommen will, so eine Einschätzung des Verkehrs- und Mobilitätsausschusses, dann brauche es mehr Geld und mehr Zusammenarbeit.  © Hendrik Schmidt/dpa

SPD-Fraktionschef Christopher Zenker versuchte es anschließend mit versöhnenden Worten. Die aktuellen Diskussionen bezeichnete er als "völlig überzogen" und forderte: "Wir sollten sachlich bleiben. Die Umsetzung der Verkehrswende wird zu Konflikten führen. Sie ist aber notwendig, damit wir unsere Klimaschutz-, Emissionsvermeidungs- und Lebensqualitätsziele erreichen."

Sven Morlok von der FDP hatte für seine Kritik immerhin mehrere Konzepte und Programme des Verkehrsdezernats zusammengetragen, auf deren Ausarbeitung die Stadträte noch immer warten. Beispiel: "Das 'Konzept für den ruhenden Verkehr' sollte 2021 stehen. Anderthalb Jahre später haben wir es immer noch nicht vorliegen."

"Was hier deutlich geworden ist, ist die Differenz zwischen 'soll' und 'ist'", erklärte abschließend Dr. Klaus-Peter Reinhold als Vertreter des Verkehrs- und Mobilitätsausschusses und machte seine Äußerung an Zahlen deutlich: 2018 habe der Stadtrat in seinem Nachhaltigkeitsszenario 56 Millionen Euro jährlich für die Weiterentwicklung der Bereiche ÖPNV, Rad und Fuß beschlossen, wohlgemerkt zu den damaligen Preisen. "Im Rahmenplan 2020 beschließen wir inklusive ÖPNV plötzlich 42 Millionen. Im Haushalt steht noch weniger."

Reinholds Mahnung: "Wenn wir die Stadt nach vorn bringen wollen, dann reichen hier weder die Gelder im Nachhaltigkeitsszenario, noch was wir planen. Da müssen wir uns zusammenfinden."

Titelfoto: Montage: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa + Hendrik Schmidt/dpa

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