Wahlerfolge der AfD: Soziologe erklärt, wer die Schuld daran trägt

Darmstadt - Die rechtspopulistische AfD erlangte 18,4 Prozent bei der jüngsten Landtagswahl in Hessen, 14,6 Prozent bei der am selben Tag stattfindenden Landtagswahl in Bayern. Die deutlichen Gewinne der "Alternative für Deutschland" haben viele Menschen in Sorge versetzt, doch was steckt hinter diesen Erfolgen? Der Soziologe Michael Hartmann (71) gibt in einem Vortrag, der kürzlich auf YouTube veröffentlicht wurde, eine Erklärung, die zu denken gibt.

Die rechtspopulistische - und in Teilen rechtsextreme - AfD erzielt gegenwärtig in Deutschland wachsenden Wähler-Zuspruch. Der Soziologe Michael Hartmann (71) hat eine Erklärung dafür.
Die rechtspopulistische - und in Teilen rechtsextreme - AfD erzielt gegenwärtig in Deutschland wachsenden Wähler-Zuspruch. Der Soziologe Michael Hartmann (71) hat eine Erklärung dafür.  © Montage: Carsten Koall/dpa, Screenshot/YouTube/vhsrt - Volkshochschule Reutlingen

Der 71-Jährige war über viele Jahre hinweg Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Dabei machte er sich einen Namen als sogenannter "Eliten-Forscher".

In seinen Arbeiten untersucht er die Zusammensetzung und das Denken der gesellschaftlichen Eliten von Politik, Wirtschaft, Justiz und Kultur und den Konsequenzen, die dies für die jeweilige Gesellschaft insgesamt hat.

In dem Vortrag "Die Eliten und der Aufstieg des Rechtspopulismus" zieht der Soziologe eine klare Verbindung zwischen Wahlerfolgen der AfD in Deutschland und der vor allem von den politischen und wirtschaftlichen Eliten geprägten Politik der zurückliegenden Jahrzehnte.

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Dabei betont Michael Hartmann zunächst, dass man angesichts der teils erheblichen Wahlerfolge von rechtspopulistischen Parteien in unserer gegenwärtigen Zeit differenzieren müsse zwischen solchen Wählern, die von vornherein ein rechtes Weltbild hätten und damit quasi die Kernklientel der jeweiligen Partei seien, und solchen Wählern, die ursprünglich Nichtwähler oder Wähler anderer Parteien gewesen seien, nun jedoch zu den Rechtspopulisten überliefen.

Diese letztere Gruppe interessiert den emeritierten Soziologieprofessor insbesondere, denn er stellt einen klaren Zusammenhang zwischen deren Drift nach rechts und der Politik der zurückliegenden Jahrzehnte in Deutschland fest, die bei vielen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu spürbaren Wohlstandsverlusten geführt habe.

Der Frust über diese andauernde Verschlechterung der jeweiligen Lebenssituation - als Beispiel nennt der Soziologe etwa die schon seit Jahren andauernde Wohnungskrise in Deutschland - führe dazu, das einige der Betroffenen zu AfD-Wählern würden.

Diese Diagnose des 71-Jährigen deckt sich mit den Forschungsergebnissen der Soziologen Carolin Amlinger (39) und Oliver Nachtwey (48), die in dem im letzten Jahr erschienenen Buch "Gekränkte Freiheit - Aspekte des Libertären Autoritarismus" festgehalten wurden.

Michael Hartmann: "Das ist der Nährboden für dieses Gefühl 'Die da oben denken nicht an uns, die sehen uns gar nicht'"

Rechtspopulisten haben gut lachen: Robert Lambrou (56, Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Hessen) und Alice Weidel (44, Bundessprecherin der AfD) freuen sich zusammen über das Wahlergebnis ihrer Partei in dem Bundesland.
Rechtspopulisten haben gut lachen: Robert Lambrou (56, Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Hessen) und Alice Weidel (44, Bundessprecherin der AfD) freuen sich zusammen über das Wahlergebnis ihrer Partei in dem Bundesland.  © Helmut Fricke/dpa

Michael Hartmann kommt danach auf sein Spezialgebiet zu sprechen: die Eliten in Deutschland, also die Inhaber von Top-Positionen in Politik, Justiz, Wirtschaft oder Kultur und Medien.

Diese seien zu großen Teilen mit Personen besetzt, die aus den "oberen vier Prozent" der Gesellschaft stammten - und diese Herkunft bestimme daher auch sehr oft die Perspektive, die diese Personen einnähmen.

Dies erkläre, weshalb in den zurückliegenden Jahrzehnten hauptsächlich eine Politik betrieben wurde, die reiche und sehr reiche Menschen bevorzuge und solche mit kleinen und mittleren Einkommen benachteilige. Die Eliten hätten sich dabei schlicht an ihrem eigenen sozio-kulturellen Umfeld orientiert.

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Den "Zusammenhang zwischen Elite und dem Aufkommen oder dem Siegeszug des Rechtspopulismus" erklärt der 71-Jährige danach wie folgt: "Die Eliten treffen Entscheidungen, die extrem stark geprägt sind von ihrer eigenen Lebenswirklichkeit, und je länger zurückreichend diese Lebenswirklichkeit ist, sie gehören ja alle zum oberen Prozent der Einkommensbezieher, das ist schon bei einfachen Bundesrichtern so, je länger diese Lebenswirklichkeit andauert, das heißt, wenn sie schon als kleine Kinder da aufgewachsen sind, umso stabiler sind diese Denkmuster."

Der Soziologe fährt fort: "Sie treffen ihre Entscheidungen auf dieser Basis, diese Entscheidungen begünstigen in den letzten zwanzig Jahren hohe Einkommen und Vermögen, und je höher, um so mehr werden sie begünstigt, sie benachteiligen niedrige Einkommen, und das ist der Nährboden für dieses Gefühl 'Die da oben denken nicht an uns, die sehen uns gar nicht'", welches der Drift nach rechts bei vielen AfD-Wählern zugrunde liege.

Der Vortrag des Soziologen Michael Hartmann auf YouTube

Aus diesem Grund ärgere es Michael Hartmann "kolossal", wenn Vertreter der Eliten - er nennt als Beispiel Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (67, SPD) - sich in "Sonntagsreden" über die Erfolge der Rechtspopulisten beklagten, aber "nicht einen einzigen Gedanken" daran verschwendeten, dass die Eliten eben auch Verantwortung dafür trügen.

Titelfoto: Montage: Carsten Koall/dpa, Screenshot/YouTube/vhsrt - Volkshochschule Reutlingen

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