Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger im Interview: "Wir trauen uns den Bundestag zu!"

Dresden/München - In wenigen Wochen ist Bundestagswahl – Zeit, die Parteien und ihre Ziele genauer vorzustellen. In den kommenden Wochen werden wir mit dem Special BundesTAG24 Spitzenpolitiker der großen Parteien interviewen, Wahlprogramme genauer beleuchten und jede Menge spannende Informationen rund um die Bundestagswahl am 26. September liefern. Heute im Interview: Hubert Aiwanger (50), der mit seinen Freien Wählern künftig auch bundesweit Schlagzeilen machen will.

Stellvertretender MP von Bayern und Chef der Freien Wähler: Hubert Aiwanger (50) will in den Bundestag.
Stellvertretender MP von Bayern und Chef der Freien Wähler: Hubert Aiwanger (50) will in den Bundestag.  © Eric Münch

Hubert Aiwanger, der am 26. Januar 1971 in Ergoldsbach geboren wurde, ist der Bundes- und bayrische Landes-Chef der Freien Wähler.

Er ist seit 2018 stellvertretender Ministerpräsident in Bayern, davor war er Fraktions-Chef seiner Partei.

Als Sohn eines Landwirts wuchs der Diplom-Agraringenieur im ländlichen Teil des Landkreises Landshut auf. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er dank CSU-Stipendium an der Fachhochschule Weihenstephan.

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Zusammen mit 18 anderen kleineren Parteien kippte Aiwanger die 3-Prozent-Hürde für die Wahlen zum Europaparlament und brachte 2014 die erste europäische Abgeordnete der Freien Wähler nach Brüssel.

Der MP-Vize ist heute der letzte bayerische Spitzenpolitiker, der offenkundig nicht geimpft ist.

Was sind eigentlich die Freien Wähler?

Politik-Redakteur Paul Hoffmann (28, M.) und Reporter Erik Töpfer (21) im Gespräch mit Hubert Aiwanger (50, l.).
Politik-Redakteur Paul Hoffmann (28, M.) und Reporter Erik Töpfer (21) im Gespräch mit Hubert Aiwanger (50, l.).  © Eric Münch

TAG24: Herr Aiwanger, wer oder was sind eigentlich die Freien Wähler?

Hubert Aiwanger: Die Freien Wähler sind eine bürgerliche Vernunftspartei. Seit Jahrzehnten gibt es uns auf kommunaler Ebene. Nach dem Krieg und beim Wiederaufbau haben wir vor Ort Verantwortung übernommen. Jetzt wollen wir auch in die Landtage und den Bundestag gehen.

TAG24: Welchem politischen Spektrum fühlt sich Ihre Partei eigentlich angehörig?

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Hubert Aiwanger: Der politischen Mitte. Wir sind, wie der Name schon sagt, frei und unabhängig. Wir nehmen keine Großkonzernspenden an, sind damit unabhängig von politischen Einflüssen gewisser Lobbygruppen und wir sehen sehr stark auch den Mittelstand, das Handwerk und das Eigentum als wichtig an. Bei den Freien Wählern sind sehr viele Ehrenamtliche – also vernünftige, gesunde, ehrliche Mitbürger.

TAG24: Viele Deutsche nehmen die Freien Wähler nur als Kommunalpartei wahr, haben sie bundesweit überhaupt nicht auf dem Zettel. Können die Freien Wähler Bundespolitik?

Hubert Aiwanger: Auf alle Fälle! Ich glaube, nur wer gute Kommunalpolitik kann, kann auch Bundespolitik. Es befremdet mich schon, dass Leute beispielsweise Bundeskanzler werden wollen, die meinen, in Batterien seien Kobolde drin, die noch kein Rathaus von innen gesehen haben, die nicht wissen, wie eine kommunale Wasserversorgung funktioniert, wie ein Kindergarten organisiert wird oder wie die Straßen repariert werden. Mit Problemen der Bürger vor Ort umzugehen muss ein Landes- und Bundespolitiker gelernt haben. Viele Leute im Bundestag haben aber gar nicht diese kommunale Leiter durchlaufen. Wir Freien Wähler sind überwiegend kommunal. Ich war im Stadtrat, im Kreistag und fast alle meiner Parteikollegen sind kommunal geschult. Wir wissen also was los ist und das ist für uns auch die Voraussetzung für den Bundestag. Ja, wir trauen uns auf alle Fälle den Bundestag zu und ich bin überzeugt, wir würden das Niveau dort heben und nicht senken.

TAG24: Kurzum, in der Kommune lernen, heißt im Bundestag gut abliefern können?

Hubert Aiwanger: Genau.

Aiwanger will in den Bundestag, sofern seine Freien Wähler über 5 Prozent kommen. Am liebsten wäre ihm eine Koalition mit CDU/CSU, FDP und SPD.
Aiwanger will in den Bundestag, sofern seine Freien Wähler über 5 Prozent kommen. Am liebsten wäre ihm eine Koalition mit CDU/CSU, FDP und SPD.  © dpa/Kay Nietfeld

TAG24: Bei den letzten Bundestagswahlen erhielten die Freien Wähler immer nur jeweils 1 Prozent der Stimmen. Mit welchem Ziel treten Sie dieses Mal an?

Hubert Aiwanger: Wir wollen über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, um so auch eine politische Koalition der Mitte zu ermöglichen. Wir wollen Rot-Rot-Grün verhindern, idealerweise auch die Regierungsbeteiligung der Grünen. Damit sind wir diesmal eine sehr gute strategische Wahl und ich appelliere auch an CDU/CSU-Wähler, mit der Zweitstimme Freie Wähler zu wählen. Dann bekommen sie vernünftige Koalitionspartner, brauchen nicht mit den Grünen regieren oder am Ende zuschauen, wie Rot-Rot-Grün an ihnen vorbeiregiert.

TAG24: Also würden Sie bei einer Koalition Union und FDP bevorzugen?

Hubert Aiwanger: Eine Koalition der Mitte, also CDU/CSU, FDP, SPD. Das ist unsere Schnittmenge, mit der wir wohl am besten könnten, die in diesem ganzen Kladderadatsch auch am vernünftigsten sind. Links, AfD und Grün wollen wir eigentlich nicht.

TAG24: Angenommen es kommt zu einer Koalition mit Ihrer Beteiligung: Gebe es dann eigentlich einen Minister Aiwanger oder ist Ihr Platz in Bayern?

Hubert Aiwanger: Egal ob wir in die Regierung oder die Opposition kommen, wenn wir über 5 Prozent kommen, gehe ich nach Berlin! Wir können da einfach mehr bewegen als in einer Landesregierung alleine. In den meisten Themen gibt eben Berlin den Ton an. Von der Corona-Politik bis zur Afghanistan-Politik, von der Hochwasserhilfe bis hin zur inneren Sicherheit läuft ja nichts ohne Berlin und deswegen läuft auch vieles in diesen Themen nicht, weil Berlin nicht läuft. Ich will in die Hauptstadt, weil mein Hebel dort länger wäre als in Bayern.

TAG24: Und Ihr Ministeramt in Bayern?

Hubert Aiwanger: Das würde ich mit einem tränenden Auge abgeben. Aber wir bleiben ja in der Landesregierung, nur mit anderen Leuten.

"Wenn Söder nach Berlin gegangen wäre, wären wir vielleicht beide da und hätten weitermachen können"

Markus Söder (54, CSU) und Hubert Aiwanger (50, FW) arbeiten in Bayern bereits eng zusammen.
Markus Söder (54, CSU) und Hubert Aiwanger (50, FW) arbeiten in Bayern bereits eng zusammen.  © dpa/Peter Kneffel

TAG24: Apropos Platz in Bayern: Armin Laschet macht zurzeit eine extrem schlechte Figur. Wäre Markus Söder der bessere Kanzlerkandidat gewesen?

Hubert Aiwanger: CDU/CSU haben es so entschieden, wie es jetzt ist. Ich hätte mit beiden Konstellationen leben können, aber ganz offen gesagt: Wenn Markus Söder nach Berlin gegangen wäre, wären wir vielleicht beide da gewesen und hätten weitermachen können wie in Bayern. Söder und Aiwanger gemeinsam nach Berlin, vielleicht in einer Koalition gleich weiterarbeiten. Sei es drum. Was die Union noch alles vorhat, weiß sie vielleicht selber nicht. Wir müssen uns um uns selber kümmern, nicht um Andere.

TAG24: Wird Laschet trotzdem noch Kanzler?

Hubert Aiwanger: Auch wenn sich Olaf Scholz momentan heran kämpft, gehe ich davon aus. Es ist ja mittlerweile so ein Hütchenspiel. Jeder darf mal eine Woche die Nase vorne haben, dann wird er wieder runtergehauen und der Nächste ist wieder vorne. Man weiß nicht, wo wir zum Wahltermin stehen und ich will auch keine Wette eingehen aber ich gehe schon davon aus, dass CDU/CSU am stärksten abschneiden und Armin Laschet damit auch Kanzler werden wird.

TAG24: Mit der SPD haben Sie laut eigener Aussage Schnittmengen. Wie schaut es mit einem Kanzler Scholz aus?

Hubert Aiwanger: Ja, die FREIEN WÄHLER haben eine starke soziale Wurzel, gerechte Rente, bessere Rahmenbedingungen für Pflegekräfte, Kita kostenfrei usw. Scholz ist auch einer der Vernünftigeren innerhalb der SPD. Wenn ich da so Kühnert und Co anschaue, die Esken usw. da wird einem ja angst und bange. Es ist nur die Frage, wie die Machtverhältnisse dann innerhalb der SPD sind, ob Scholz sich dann durchsetzen kann. Aber wenn er vernünftige Partner an seiner Seite hätte, kann es durchaus sein, dass auch er einen ganz vernünftigen Kanzler abgeben würde. Ich will ihn da auch gar nicht schlecht reden. Nur: Wenn jetzt gerade diese drei (Laschet, Baerbock, Scholz) die heißesten Favoriten sind, naja gut…

TAG24: Führt Olaf Scholz eigentlich auch den besten Wahlkampf oder sind die anderen Beiden nur so schlecht?

Hubert Aiwanger: Genau so. Olaf Scholz profitiert davon, dass die anderen Beiden momentan noch schlechter auftreten als er.

"Bei den Freien Wählern weiß man, woran man ist"

Aiwanger erklärt seine Ziele.
Aiwanger erklärt seine Ziele.  © Eric Münch

TAG24: Kommen wir mal zu den Inhalten: Ihre Wahlplakate kommen ganz ohne Forderungen, Ideen oder Versprechen daher. Haben Sie den Wählern denn gar nichts zu bieten?

Hubert Aiwanger: (Lacht) Wir haben schon Wahlplakate, auf denen unsere Themen präsentiert werden. Wir haben zum Beispiel das Thema Wasserstoff als Antwort auf die Energiedebatte der Grünen. Die Grünen wollen Autobahnen, Fleisch essen und Fliegen verbieten - wir sagen, ersetzt doch einfach die fossilen Brennstoffe (Öl, Kohle, Gas) mit grünem Wasserstoff. Dann haben wir das Thema heimische Lebensmittel mit dem Stichwort "Apfel statt Avocado". Auch werben wir mit sicheren Renten. Wir wollen keine ständige Erhöhung des Renteneintrittsalters. Unser Wahlprogramm haben wir mit als Erste veröffentlicht. Bei den Freien Wählern weiß man, woran man ist. Vernünftige Themen, gesunder Menschenverstand, Heimat, Familie, Mittelstand, Innere Sicherheit, das sind die Kernthemen. Wir sind keine Klientel-, sondern eine Volkspartei. Aufgrund unserer kommunalen Herkunft sind wir gewohnt, 50+X Prozent der Bürger hinter uns zu vereinen. Ein Freier Wähler wird beispielsweise nur dann Bürgermeister, wenn er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Dafür braucht er den sozial Schwachen genauso wie den Großunternehmer und den Zahnarzt bis zum Landwirt und den Polizisten hinter sich. Wir sind die Partei des Volkes und haben Themen in Hülle und Fülle.

TAG24: Neben grünem Wasserstoff: Unterstützt Ihre Partei eigentlich auch synthetische Kraftstoffe? Das ist ja aktuell ein ganz großes Steckenpferd der FDP…

Hubert Aiwanger: Ja, das hat die FDP jetzt vor kurzem vielleicht von uns abgeguckt. Ich bin ja Wirtschaftsminister in Bayern und habe diese Dinge schon mit realpolitischen Maßnahmen hinterlegt, beispielsweise eine Arbeitsgruppe für synthetische Kraftstoffe auch als Flugbenzin gegründet. Den Verbrenner auch mit eFuels in gewissen Fällen klimakorrekt zu füttern, da bin ich voll dafür. Ich tue sogar was dafür! Wir haben in Bayern Förderprogramme, forschen, unterstützen Betriebe und Arbeitsgruppen, die das nach vorne bringen. Beim Thema Batterie und Verbrenner sind nicht die Batterie oder der Verbrenner der Böse, sondern das, womit man sie füttert. Wenn ich das eAuto mit Strom aus polnischer Braunkohle lade, dann ist die Batterie auf alle Fälle schädlicher als der synthetisch geladene Verbrenner, der mit grünem Wasserstoff fährt. Es kommt darauf an, was man reinsteckt und nicht auf die Maschinerie. Ich bin also voll für synthetischen Kraftstoff als eine Option neben der Brennstoffzelle. Vor allem bin ich aber großer Fan von grünem Wasserstoff, den wir teilweise selber erzeugen und teilweise importieren werden.

TAG24: Ist grüner Wasserstoff eigentlich auch für dünner besiedelte Bundesländer wie Sachsen eine Perspektive?

Hubert Aiwanger: Auf jeden Fall! Gerade in den ländlichen Räumen - Stichwort: Lieber Wasserstoff wie Wolf. Nicht Wölfe ansiedeln und die Menschen absiedeln, sondern grünen Wasserstoff erzeugen. Das schafft super tolle Arbeitsplätze mit der Technik von morgen für die Region!

So soll der ländliche Raum gestärkt werden

Döringstadt in Bayern kämpft mit denselben Problemen, wie viele andere Dörfer in Deutschland. Aiwanger will sie fit für die Zukunft machen.
Döringstadt in Bayern kämpft mit denselben Problemen, wie viele andere Dörfer in Deutschland. Aiwanger will sie fit für die Zukunft machen.  © dpa/Nicolas Armer

TAG24: Die Freien Wähler wollen den ländlichen Raum stärken. Wie konkret wollen sie junge Erwachsene wieder aufs Dorf locken?

Hubert Aiwanger: Ich glaube man muss die Leute gar nicht rauslocken, sondern sie entdecken zunehmend die Vorteile des Landlebens. Gerade in der Pandemie haben ja viele Landbewohner gesagt, für uns ändert sich gar nicht so viel, ich kann weiter ohne Maske um mein Haus gehen, im Garten grillen. In den Städten mussten die Menschen wiederum mit der Maske rumlaufen, die Restaurants waren geschlossen usw… Das Land ist auf alle Fälle krisenresistenter, man lebt gemütlicher und entspannter. Alles in allem kann man also sagen: Das Landleben hat seine Vorteile, wir müssen jetzt nur noch die Nachteile, die das Land zu erleiden hat, beseitigen. Da sind die Themen schnelles Internet, Einkaufen, das Thema ärztliche Versorgung, Schulen, Kindergärten. Wenn wir diese Infrastruktur noch auf städtisches Niveau hochziehen, das Auto akzeptieren und den jungen Leuten wieder Mut machen, eine Familie zu gründen, statt jeden Tag einen Weltuntergang zu prophezeien, dann ist das Land die Zukunftsregion.

TAG24: Die Freien Wähler sind ja auf dem Land deutlich stärker als in den Städten…

Hubert Aiwanger: Genau, aber nicht weil wir gegen Städte sind, sondern weil wir in den kleineren Strukturen historisch gewachsen sind. Übrigens glaube ich, dass es auch den Städten gut tut, wenn sie entlastet werden von immer mehr Zuzugsdruck, steigenden Mieten usw. Da hat jeder was davon. Das Potenzial des Landes muss besser ausgeschöpft werden.

TAG24: Schnelles Internet ist auch so ein Thema auf dem Land. Wir reden schon so lange darüber, doch wann haben wir es endlich mal?

Hubert Aiwanger: Auch wenn ich es jetzt schlecht reden könnte, ist es durchaus so, dass wir hier in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht haben. Aber: Die technischen Anforderungen wachsen häufig schneller als die Ausbauszenarien. Ungefähr alle zwei Jahre verdoppeln sich die Ansprüche an Datendown- und uploads. So schnell kommen die Anbieter häufig gar nicht hinterher.

TAG24: Aber bei der Breitband-Forderungen von 2008 könnte man zum Beispiel anfangen…

Hubert Aiwanger: Ja, durchaus. Wir als Freie Wähler haben vor Jahren schon einen flächendeckenden Glasfaser- und Mobilfunkausbau gefordert. Natürlich ist durch die Privatisierung der Telekommunikationsbranche in den neunziger Jahren, ein historischer Fehler, auch vieles schiefgelaufen. Man hat nur noch auf Rendite geschaut und gesagt, in den Städten rentiert es sich, auf dem Dorf nicht. Das war mal anders. In den Zeiten als die Post noch staatlich war, wurde jedes Dörfchen ans Telefonnetz angeschlossen, selbst wenn die dort nur einmal in der Woche telefoniert haben, haben sie ihre Leitung bekommen. In der Folge wurde diese Solidargemeinschaft aber immer weiter aufgekündigt und renditenorientiert. Das Gleiche gilt beispielsweise auch für den Gesundheitssektor. Jetzt muss der Staat mit Fördergeld nachbessern. Auch wenn der Ausbau vorwärts geht, darf man nicht locker lassen und muss ständig Gas geben.

"Soziale Medien haben mehr Vorteile als Nachteile", aber ...

An Schulen müsse mehr über Soziale Medien aufgeklärt werden, findet Hubert Aiwanger.
An Schulen müsse mehr über Soziale Medien aufgeklärt werden, findet Hubert Aiwanger.  © 123RF/inkdrop

TAG24: Wo kann da die Politik konkret Initiative zeigen?

Hubert Aiwanger: In Bayern lass ich beispielsweise regelmäßig die Mobilfunkabdeckung an den Autobahnen und Bundesstraßen überprüfen. Die Telekommunikationsanbieter haben ja Versorgungsauflagen zu erfüllen, die Bundesnetzagentur überwacht das eigentlich, aber naja, ich habe gesagt: Vertrauen ist gut, selber messen ist besser. Dabei haben wir festgestellt, dass viele Lücken einfach unentdeckt sind und konnten die Anbieter dann darauf hinweisen, das mal auszubessern. Bei Internet und Mobilfunk müssen wir ständig Gas geben. Als letzter Satz vielleicht noch: Natürlich wurden auch Fehler gemacht. Der Staat wollte für die Vergabe von Lizenzen immer viel Geld einnehmen und die Unternehmen sind schon wirtschaftlich verblutet, um diese zu kaufen und hatten dann kein Geld mehr, die Technik auszubauen. Besser wäre gewesen, wir hätten denen ihr Geld gelassen und gesagt: Bis zum Datum X haben die Standards im Land so und so zu sein.

TAG24: Stichwort Vernetzung: Sehen die Freien Wähler Soziale Medien eigentlich eher als Bedrohung oder als Chance für die Gesellschaft?

Hubert Aiwanger: Ich sehe es eher als Chance an. Wir brauchen natürlich den aufgeklärten Internetnutzer, dass die jungen Leute auch nicht alles glauben, was da an Fake News verbreitet wird. Auch aus Sicht der Demokratie haben die Sozialen Medien unter dem Strich mehr Vorteile als Nachteile. Persönliche Meinungen können, auch wenn natürlich viel Käse rumgepostet wird, unverändert verbreitet werden. Sie sind ein sehr seriöses Medium, das die Dinge auch so transportiert, wie ein Politiker das gesagt hat. Aber: Zu manchen Themen gebe ich schon gar kein Interview mehr und stelle die Dinge lieber selber ins Internet, bevor ich ständig verrissen werde. Es ist also sowohl für einen Politiker, als auch für das normale Volk sinnvoll, dass man sich über Soziale Medien austauschen und verständigen kann. Ganz abgesehen davon muss an Schulen natürlich noch mehr Aufklärung geleistet werden.

Darum lässt sich Hubert Aiwanger nicht gegen Corona impfen

Den Impfstoff gegen das Coronavirus, hier von BioNTech/Pfizer, lehnt Hubert Aiwanger bisher ab.
Den Impfstoff gegen das Coronavirus, hier von BioNTech/Pfizer, lehnt Hubert Aiwanger bisher ab.  © dpa/Sven Hoppe

TAG24: Thema eigene Meinung: Sie sind zuletzt mit Ihrer Aussage, dass Sie sich nicht impfen lassen wollen, ganz schön durchs Dorf getrieben worden. Hätte man da auch selber eine Begründung ins Internet stellen können?

Hubert Aiwanger: Ich wollte gar keine Gründe liefern, sondern durchaus auch die rote Linie aufrechterhalten. Wir haben keine Impfpflicht, wir haben die freie Entscheidung des Einzelnen über seinen Körper und damit muss ich mich auch nicht rechtfertigen - warum? Jeder kann sich impfen lassen, ich bin froh, dass es die Impfkampagne gibt und dass es die Impfstoffe gibt. Ich bin auch kein Impfgegner, aber man muss die eigene Entscheidung dazu respektieren.

TAG24: Manche Medien wollten Sie ja auch förmlich zu einer Aussage nötigen. Uns fällt da beispielsweise das Interview bei Maischberger ein, die immer und immer wieder nachgebohrt hat…

Hubert Aiwanger: Ja und beim ZDF war es nochmal ähnlich, weshalb ich systematisch über Wochen hinweg Interviews abgelehnt habe, weil die mir schlichtweg in die Hosenbeine gekrabbelt sind und eine Erklärung haben wollten. Das ging mir zu weit und das geht dann auch in Richtung Impfdruck, auch in der Öffentlichkeit. Ich meine, der Politiker hält das schon aus, aber wenn diese Vorgehensweise Schule macht und man sich am Arbeitsplatz oder in der Schule auch rechtfertigen soll, ist das nicht gut. Diese Leute werden dann aggressiv, fühlen sich unter Druck gesetzt oder lassen sich trotzt gegenteiliger ärztlicher Empfehlung impfen. Insofern muss ich sagen, dass wir diese Dinge mit mehr Sensibilität steuern müssen. Und zum Journalismus: Gewisse Zeitungen haben auch einfach nur den ersten Satz, dass der Aiwanger sich nicht impfen lassen will, als eine fette Überschrift gedruckt. Sie haben aber nicht gesagt, ich schließe es für die Zukunft nicht aus und dass ich kein Impfgegner bin. Das war alles uninteressant, sondern es wurde nur vom bösen Impfgegner gesprochen und Parallelen zu anderen Parteien gezogen. Das war unter der Gürtellinie, ein Verriss. An solchen Stellen ist es dann immer gut, wenn man in die Sozialen Medien selber reinschreiben kann, wie die Lage ist.

TAG24: Welche Rolle sollte der Journalismus Ihrer Meinung nach denn hier einnehmen?

Hubert Aiwanger: Ich glaube, dass er in dieser aufgeheizten Situation auch eine gewisse Verantwortung hat, nicht nur auf die Schlagzeile zu schauen. Wenn der Politiker immer nur auf sein Wahlergebnis schaut und bei diesen Themen maximale Verunsicherung schüren würde, wäre er genauso unverantwortlich wie eine Zeitung, die sagt, wir kochen das Thema so hoch und verbreiten unwahre Behauptungen über Politiker, nur damit wir… Das ist nicht korrekt im Sinne der Sache.

TAG24: Der Vollständigkeit halber müssen wir trotzdem fragen: Sind Sie inzwischen geimpft?

Hubert Aiwanger: (Schmunzelt) Beantworte ich nicht! Aber ich würde Ihnen keinen Neuigkeitswert sagen, falls Sie herum spekulieren.

Freie Wähler: Bevölkerung sollte mehr Mitentscheiden können

Aktuelles Beispiel: Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" will einen Volksentscheid in Berlin an den Start bringen.
Aktuelles Beispiel: Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" will einen Volksentscheid in Berlin an den Start bringen.  © dpa/Christophe Gateau

TAG24: Immer wieder gibt es Diskussionen um mehr Bürgerbeteiligung. In welchen Fragen stellen sich eigentlich Volksentscheide als besonders sinnvoll dar und wo sind sie kein geeignetes Mittel?

Hubert Aiwanger: Wir plädieren ja für die direkte Wahl des Bundespräsidenten, weil wir da immer wieder festgestellt haben, dass da Hinterzimmerpolitik gemacht wird, um Leute als Kanzlerkandidat zu verhindern oder andere parteipolitische Dinge gedreht werden, um dann Koalitionen einzuleiten usw. Ich traue der Bevölkerung auf alle Fälle zu, deutlich mehr Themen als derzeit verantwortungsbewusst zu beantworten. Da ist auch die Schweiz ein Vorbild, wo selbst größte Verkehrsprojekte im Milliardenbereich die Zustimmung des Volkes finden. Selbst für steuerpolitische und rentenpolitische Forderungen fände ich das die Mehrheit in der Bevölkerung reif genug ist, um das verantwortungsbewusst zu beantworten. Das Volk würde mit Sicherheit nicht sagen, dass wir gleich nach der Grundschule eine Rente von 10.000 Euro im Monat wollen. Gleichzeitig würde das Volk aber auch nicht bei der derzeit von der Politik diskutierten Rente mit 70 mitgehen. Bei vielen dieser Themen traue ich dem Volk mehr zu als einer Politik, die am Ende vielleicht auch von Wahlergebnissen getrieben ist.

TAG24: Und welche Entscheidungen sollte definitiv weiter der Staat treffen?

Hubert Aiwanger: Dinge die in Richtung Menschenrechtsfrage, Grundgesetz gehen oder wo es um Punkte wie die Todesstrafe geht. Über sowas würde ich nicht abstimmen lassen, aber bei normalen staatspolitischen bis hin zu Finanzthemen bin ich davon überzeugt. Am Rande: Das würde auch die demokratische Debatte in den Medien auf eine ganz neue Ebene heben. Ich bin davon überzeugt, dass wir der Demokratie und auch der Handlungsfähigkeit unseres Staates einen großen Dienst erweisen würden.

Ob Klima-Katastrophe aufzuhalten ist, "wissen vielleicht nicht mal die Wissenschaftler, aber man sollte es zumindest versuchen"

Das Hochwasser traf vor allem NRW und Rheinland-Pfalz. Aber auch in Bayern kam es im Juli zu solchen Katastrophen.
Das Hochwasser traf vor allem NRW und Rheinland-Pfalz. Aber auch in Bayern kam es im Juli zu solchen Katastrophen.  © dpa/Thomas Frey

TAG24: Hochwasser im Westen Deutschlands, Brände am Mittelmeer: Ist der Klima-Gau noch aufzuhalten? Und wenn ja, wie?

Hubert Aiwanger: Das wissen vielleicht nicht mal die Wissenschaftler, aber man sollte es zumindest versuchen. Ich bin kein Anhänger einer Weltuntergangstheorie, die teilweise verbreitet wird. Nach dem Motto: Wenn wir es nicht in so und so viel Zeit geschafft haben, das CO2 um so und so viel Prozent zu reduzieren, dann ist es eh egal, dann kippt das Weltklima und dann sind wir alle tot. Sowas sorgt für Endzeitstimmung und führt dazu, dass man sich gar nicht mehr anstrengt, weil jeder sagt, das schaffen wir ja eh nicht und es wird schon gut gehen. Ich bin überzeugt, dass wir diese Dekarbonisierung nicht nur aus klimapolitischer Sicht anstreben sollten, sondern auch um die Importabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, die ja irgendwann auch endlich sind. Ich sage: Vollgas geben beim Ersatz der fossilen Energieträger, das nützt uns auch als regionale Wertschöpfung. Selbst wenn es die Klimafrage nicht gebe, sollten wir diesen Weg gehen, aber ohne Endzeitstimmung, ohne den Menschen Angst zu machen, ohne den jungen Frauen zu sagen, du sollst kein Kind mehr bekommen, weil das Klimagefahr verursacht. Mut zur Zukunft mit erneuerbaren Energien und nicht Angst vor der Zukunft!

TAG24: Wie stehen die Freien Wähler eigentlich zur Ostsee-Pipeline Nord Stream 2?

Hubert Aiwanger: Ich bin dafür und auch die Freien Wähler sind dafür. Erstens bin ich der Überzeugung, dass wir die Energie- und Wirtschaftspartnerschaft zu Russland nicht sabotieren sollten. Zweitens ist Nord Stream 2 ja vor allem eine mögliche Wasserstoff-Pipeline. Wir könnten darin im ganz großen Umfang grünen Wasserstoff reinholen. Das ist mit eine Garantie dafür, dass wir überhaupt die Dekarbonisierung hinbekommen und es würde uns auf zwei Beine stellen, denn dann bräuchten wir das Gas eben nicht nur einseitig aus Amerika zu importieren. Weiter bin ich der Überzeugung, dass wir durch gute Wirtschaftsbeziehungen zu Russland auch Menschenrechtsfragen eher in den Griff bekommen, als wenn wir uns mit verschränkten Armen abwenden und sagen, wir nehmen nur noch Fracking-Gas von anderer Seite und mit Euch wollen wir nichts mehr zu tun haben. Das Sprichwort heißt: Handel bringt Wandel. Gute wirtschaftliche Zusammenarbeit ist besser als Boykott.

Titelfoto: Eric Münch

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