Ansiedlungspläne eines Rüstungsriesen wecken Ängste in Großenhain!

Großenhain - Die Ansiedlung eines international tätigen Konzerns ist für jede Kommune wie ein Lottogewinn: Hoch qualifizierte Arbeitskräfte und junge Familien kommen in die Stadt, Steuereinnahmen sprudeln in Millionenhöhe.

Großenhain nennt sich "Die freundliche Stadt im Grünen". Wird sie bald unfreundlich für andere Städte?
Großenhain nennt sich "Die freundliche Stadt im Grünen". Wird sie bald unfreundlich für andere Städte?  © imago images/Shotshop

Den Großenhainern blieb in diesen Tagen der Jubel allerdings im Halse stecken. Denn bei der geplanten Großinvestition handelt es sich um eine Pulverfabrik des Rüstungsriesen Rheinmetall. Die Möglichkeiten, sich gegen diese Ansiedlung zu wehren, sind obendrein äußerst beschränkt.

Vorab: Um diese angebliche Investition gibt es derzeit die in solchen Fällen übliche Geheimniskrämerei. Daher vermeiden die Beteiligten eine klare Stellungnahme, um "nicht an Spekulationen teilzunehmen".

Bei der Stadtverwaltung hat sich Rheinmetall bisher noch nicht vorgestellt. Unternehmenssprecher Oliver Hoffmann: "Es gibt noch keine Entscheidung bezüglich eines bestimmten Standortes."

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Viele Indizien weisen aber auf Großenhain hin. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg gab sich der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger optimistisch, dass die sächsische Landesregierung in den nächsten Wochen die Pläne für den Bau einer Pulverfabrik im Freistaat genehmigen wird.

Bereits vor vier Wochen antwortete Wirtschaftsminister Martin Dulig auf eine parlamentarische Anfrage, dass man für den Standort Großenhain mit mehreren Unternehmen in Kontakt stehe, unter anderem Rheinmetall.

Projekt der nationalen Sicherheit!

Der börsennotierte Rüstungskonzern Rheinmetall hat seinen Sitz in Düsseldorf.
Der börsennotierte Rüstungskonzern Rheinmetall hat seinen Sitz in Düsseldorf.  © imago/Robert Oberhäuser

Fakt ist, dass Rheinmetall ein Spezialchemiewerk für 700 bis 800 Millionen Euro plant. Neben dem Pulver sollen im Werk auch chemische Vorprodukte für Munition hergestellt werden - keine Munition oder Raketen. Etwa 500 bis 600 Fachkräfte müssen ausgebildet werden.

Weil es sich um ein Projekt der "nationalen Sicherheit" handle, wird eine Investition des Staates gefordert. Die Verhandlungen dazu finden in diesen Wochen in den Häusern Pistorius (Verteidigung) und Habeck (Wirtschaft) statt.

Der Standort Großenhain wird Großinvestoren gerade wie auf einem Silbertablett präsentiert. Mit 145 Hektar ist das Industriegebiet "Großenhain Nord" das derzeit größte verfügbare in Sachsen.

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Über viele Jahre hinweg hat der Freistaat mehr als 35 Millionen Euro in die Bodensanierung des ehemaligen Flughafens investiert und ist damit in diesem Jahr fertig geworden.

Nach den Sowjets: Großenhainer wollen kein militärisches Gelände!

Der Freistaat steckte über 35 Millionen Euro in die Sanierung des Geländes. So mussten auch 60 000 Tonnen Erdreich von Kerosin gereinigt werden.
Der Freistaat steckte über 35 Millionen Euro in die Sanierung des Geländes. So mussten auch 60 000 Tonnen Erdreich von Kerosin gereinigt werden.  © Petra Hornig

Bis 1993 war dies ein Standort der Roten Armee, wurde unter anderem auch als Sonderlager für Atomwaffen genutzt. Viele Großenhainer erinnern sich noch daran, wie die Sowjetpanzer immer wieder durch ihre Stadt rumpelten.

Von militärischer Nutzung hatte man daher genug. Oberbürgermeister Sven Mißbach (44, parteilos): "Es ist seit Langem Konsens zwischen Stadtverwaltung und den kommunalpolitischen Gremien, dass das Gelände einer zivilen Nutzung zugeführt werden soll. Die Fläche verfügt über großes Potenzial für verschiedene Industriezweige wie Halbleiter- oder Automobilindustrie."

Erst vor zwei Wochen wurde er durch die Staatsregierung über begleitende Gespräche in Berlin informiert. Mißbach: "Mit Blick auf die Potenziale der Fläche, aufgrund der historischen Erfahrung der Stadt Großenhain und dem Wunsch nach einer zivilen Nutzung der Fläche stehen wir einer möglichen Ansiedlung eines Rüstungsunternehmens daher skeptisch gegenüber. Dies wurde gegenüber den Vertretern des Freistaates im Gespräch Ende März auch so kommuniziert."

Großenhain bald "strategisches Kriegsziel"?

Für das weitläufige Gelände stellt sich Bürgermeister Sven Mißbach (44) gegen eine militärische Nutzung.
Für das weitläufige Gelände stellt sich Bürgermeister Sven Mißbach (44) gegen eine militärische Nutzung.  © Eric Münch

So müssen sich die Großenhainer unter anderem mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass ein Produkt aus ihrer Heimatstadt für andere Städte Tod und Zerstörung bringen kann. Die Vorbehalte sind über das gesamte demokratische Spektrum der Stadt verteilt.

Die Großenhainer Linke in einer Pressemitteilung: "Über Umwege werden wir zu Beteiligten an militärischen Auseinandersetzungen auf dieser Welt. Ein Beitrag zum Frieden ist das sicher nicht."

Der Großenhainer Stadtrat und AfD-Landtagsabgeordnete Martin Beger: "Mit dem Bau der Pulverfabrik könnte auch Großenhain wieder zum strategischen Kriegsziel werden. Das ist unverantwortlich."

Auch um zu verhindern, dass die Stadt ins Fadenkreuz feindlicher Militärstrategen gerät, würde man die Baugenehmigung für ein Rüstungsunternehmen gern verweigern. Doch ist die Stadt dabei relativ machtlos.

Entscheidung noch nicht gefallen!

Im Ernstfall hätte die Bundeswehr für maximal zwei Tage Munition, warnen Insider. Der Bedarf ist eine Frage der nationalen Sicherheit.
Im Ernstfall hätte die Bundeswehr für maximal zwei Tage Munition, warnen Insider. Der Bedarf ist eine Frage der nationalen Sicherheit.  © Philipp Schulze/dpa

Denn das Grundstück gehört dem Freistaat. Im sächsischen Wirtschaftsministerium weist man darauf hin, dass zunächst selbstverständlich die kommunale Planungshoheit gilt.

Sprecher Marco Henkel: "In den Grenzen des Rechts kann jeder Eigentümer einer Fläche damit grundsätzlich tun und lassen, was er will. Das heißt, er kann die Fläche auch bebauen."

Und wenn der Bauantrag dem Bebauungsplan der Gemeinde nicht grundsätzlich widerspricht, dann habe der Eigentümer einen Anspruch auf eine Baugenehmigung.

Und so sitzen die Großenhainer in diesen Tagen wie in der Warteschleife und harren der Dinge, die anderenorts für sie entschieden werden.

Am längeren Hebel sitzen sie ohnehin nicht.

Titelfoto: Montage: imago images/Shotshop, imago/Robert Oberhäuser, Petra Hornig, Eric Münch

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