Sie reden von Selbstverwaltung oder dem eigenen Staat: Rechter Vormarsch auf unsere Dörfer

Dresden - Wie viel von Sachsen hat sich bereits der staatlichen Kontrolle entzogen? Immer mehr "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" deklarieren ihr Grundstück als "souveränes Staatsgebiet" oder schließen sich dem "Königreich" an.

Anhänger des "Dritten Weges" beim Heldengedenken. In Sachsen sind sie vor allem im Vogtland aktiv.
Anhänger des "Dritten Weges" beim Heldengedenken. In Sachsen sind sie vor allem im Vogtland aktiv.  © imago/Moritz Schlenk

Rechtsextreme und völkische Siedler kaufen gezielt Immobilien auf und vernetzen sich. Und es werden Parallelstrukturen geschaffen (z. B. eigene Währung, Krankenversicherung, Meldewesen etc.), um sich der Hoheit des Staates zu entziehen.

Laut Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sei wohl nur die Spitze des Eisberges sichtbar - ein Überblick.

Ein selbsternanntes Königreich in der Landeshauptstadt

Der selbsternannte König Peter Fitzek (57) sammelt in Sachsen repräsentative Landgüter.
Der selbsternannte König Peter Fitzek (57) sammelt in Sachsen repräsentative Landgüter.  © imago/Robert Michael/dpa

Allein im letzten Jahr meldeten die Kommunen viele neue Personen, die sich der Reichsbürger-Szene zugehörig fühlen.

Laut aktuellem Verfassungsschutz-Bericht stieg die Zahl binnen eines Jahres um 600 auf 2500 - ein Zuwachs von fast einem Drittel. Bei 33 Personen wurden daraufhin Hinweise an die Waffenbehörde übermittelt.

Der enorme Zulauf begründet sich nicht allein mit der Ablehnung der Corona-Maßnahmen. Hinzu kommt, dass die verfassungsfeindliche Gruppe "Königreich Deutschland" um den selbst ernannten König Peter Fitzek (57) nun massiv in Sachsen Fuß fasst und Dresden zu einer Art Hotspot macht.

Wie viele noch? Staatsanwaltschaften brechen unter Akten zusammen
Sachsen Wie viele noch? Staatsanwaltschaften brechen unter Akten zusammen

Zwar gab es im Februar in Laubegast eine große Razzia gegen seine "Gemeinwohlkasse", doch das hält ihn sicher nicht ab, weiterhin Versicherungen in eigener Währung zu verkaufen.

Ein Staatsbetrieb ohne Freistaat

Zuvor wurde bereits das Schloss Bärwalde (bei Boxberg) in Fitzeks "Königreich" eingegliedert. Auch im Erzgebirge ist er präsent.
Zuvor wurde bereits das Schloss Bärwalde (bei Boxberg) in Fitzeks "Königreich" eingegliedert. Auch im Erzgebirge ist er präsent.  © wikipedia

Auch seinem Traum von selbst verwalteten "Gemeinwohldörfern" kommt der Herrscher des Fantasiestaates nun in Sachsen näher. Nachdem bereits das "Wolfsgrüner Schlösschen" (Eibenstock, Erzgebirge) und das Schloss Bärwalde (Boxberg, Kreis Görlitz) ins Königreich eingegliedert wurden, scheint Fitzek in Halsbrücke (Mittelsachsen) nun ein Coup gelungen zu sein:

Über einen Mittelsmann wurde das Kanzleilehngut für fünf Millionen Euro gekauft - 121 Hektar Land, 77 Kühe, 35 Wollschweine, eine Käserei und ein Hofladen. Hier soll ein "Staatsbetrieb" des Königreiches entstehen, sollen 150 Leute wohnen und arbeiten.

Über das Vorkaufsrecht versucht die Gemeinde den Deal noch zu verhindern, doch es scheint zu spät.

Dabei hatte LfV-Präsident Dirk-Martin Christian (61) bereits vor 16 Monaten Sachsens Bürgermeister vor dieser drohenden Entwicklung gewarnt.

Das Kanzleilehngut in Halsbrücke (Mittelsachsen) soll das nächste Schmuckstück im Königreich der Reichsbürger werden.
Das Kanzleilehngut in Halsbrücke (Mittelsachsen) soll das nächste Schmuckstück im Königreich der Reichsbürger werden.  © privat

"Rechte Landnahme" schreitet voran

Die Zentrale der Partei "Der Dritte Weg" in Plauen - man ist auf der Suche nach Grundstücken.
Die Zentrale der Partei "Der Dritte Weg" in Plauen - man ist auf der Suche nach Grundstücken.  © Ellen Liebner

Neben den Reichsbürgern suchen auch Rechtsextreme Grundstücke, um eigene Strukturen aufzubauen. Laut LfV ist der Erwerb und Ausbau von Immobilien wesentliche Strategie der Partei Dritter Weg - in Plauen (Pausaer Str. 130) wurde mit dem Partei- und Bürgerbüro ein bundesweites Vorzeigeprojekt geschaffen.

Parteiungebundene Rechtsextremisten suchen aber lieber die Abgeschiedenheit des ländlichen Raumes - der aktuelle Verfassungsschutz-Bericht zählt 28 eigene Rückzugsorte in Sachsen auf.

Da sind noch nicht die inzwischen übernommenen Grundstücke und Höfe der Initiative "Zusammenrücken in Mitteldeutschland" mitgezählt, zu der seit Februar 2020 rechtsextreme Aktivisten aufrufen. Sie sprechen von Siedlungsgemeinschaften, in denen man seinen an rassistischen und völkischen Ideen orientierten Lebensentwurf ausleben kann.

Der Zuzug konzentriert sich auf Mittelsachsen und vornehmlich auf den Ort Leisnig. Der Verfassungsschutz sieht dies als ein weiteres Indiz für die aktuellen Vernetzungsbestrebungen der rechtsextremen Szene.

Völkische Siedler auf Vormarsch

Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian (61).
Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian (61).  © privat

Doch auch anderenorts betreiben "völkische Siedler" inzwischen Bauernhöfe, Werkstätten und Handwerksbetriebe und vernetzen sich miteinander. Das Kulturbüro Sachsen lokalisiert diese Tendenzen in die Räume Zwickau, Meißen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge.

Eine besonders aktive Gruppe ist die ökologisch-esoterische Anastasia-Bewegung, die seit Kurzem vom Bundesverfassungsschutz (BfV) als Verdachtsfall geführt wird.

Sie propagiert die Gründung von Familienlandsitzen, um ein autarkes Rückzugsgebiet für Gleichgesinnte zu schaffen. Neben der Selbstversorgung werden auch Schulen betrieben.

In Sachsen wurden besonders im Erzgebirge und im Kreis Görlitz Aktivitäten beobachtet.

Parallelgesellschaft für alle Belange

Landrat Dirk Neubauer (52, parteilos) kämpft in Mittelsachsen gegen die Schaffung rechtsfreier Räume.
Landrat Dirk Neubauer (52, parteilos) kämpft in Mittelsachsen gegen die Schaffung rechtsfreier Räume.  © Uwe Meinhold

Erst wenn bei Anastasia extremistische Bestrebungen erwiesen sind, darf das LfV darüber berichten. Das gilt auch für die "Bürgergenossenschaft Mittelsachsen", die sich im vergangenen Jahr in Döbeln gegründet hat.

Obwohl Mittelsachsen mit dem Königreich und den rechtsextremen Zusammenrückern schon genug Ärger mit rechter Landnahme und Parallelstrukturen hat, sieht Landrat Dirk Neubauer (52, parteilos) diese Neugründung als "als gefährlichste Bestrebung, weil hier Geld und Ideologie zusammenkommen".

Unterstützt von der rechtslibertären "Privatstadt-Bewegung" suchen die Macher nach neu zu gründenden oder zu kaufenden Siedlungsgebieten, in denen man sich gezielt ums Steuerzahlen drücken kann.

Unter dem Schutzmantel einer Genossenschaft werden dann auf privatrechtlicher Ebene Parallelstrukturen zu allen Lebensbereichen geschaffen: Wohnen, Energie, Bildung, Kultur, soziale Sicherung und Justiz - und der Staat bleibt draußen.

Bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern glaubt LfV-Präsident Christian in Sachsen noch den Überblick zu haben: "Angesichts der Heterogenität und der Diffusität dieses Phänomenbereichs dürfte es sich dabei weiterhin nur um die Spitze des Eisbergs handeln.

Daher geht mein Appell an die Gesellschaft, uns bei der Aufklärung dieses Bereichs weiter aktiv zu helfen." Die Gefahr besteht, dass sich die einzelnen Aktivisten vernetzen - viele kennen sich bereits einander.

Titelfoto: Fotomontage: imago/Moritz Schlenk//imago/Robert Michael/dpa

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