Von Thüringen nach Sachsen: Wird der Traum vom S-Bahn-Zubringer wahr?
Regis-Breitingen - Es gibt Ideen, die erscheinen absurd und verrückt. Doch mit Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit und etwas Glück werden sie dennoch wahr. Bauingenieur Karsten Waldenburger (67) verfolgt seit Jahren den Traum von einem S-Bahn-Zubringer aus dem thüringischen Meuselwitz nach Sachsen. Auf einer Bahnstrecke, die niemals für den Personenverkehr vorgesehen war. In den kommenden Tagen wird der neu gebaute Haltepunkt im sächsischen Regis-Breitingen für den Verkehr freigegeben.

Das bedeutet noch lange nicht, dass schon bald ein fahrplanmäßiger Betrieb im öffentlichen Personennahverkehr aufgenommen wird. Aber der vollendete Anschluss an die Strecke Leipzig-Zwickau ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg dorthin.
Mitte der 1990er-Jahre stand Waldenburger am Zaun seines Firmengeländes und beobachtete vor deren Stilllegung die letzten Fahrten einer Industriebahn, die seit Jahrzehnten die Braunkohle von A nach B brachte.
Waldenburger: "Mich fasziniert Technik, bei der man noch sieht, was passiert. Und ich überlegte, ob man in diesem Demontage-Wahn vielleicht ein Stück retten kann. Dann hätte ich als Spielzeug halt eine etwas größere Modelleisenbahn."
Er schrieb also Briefe an die zuständigen Instanzen. Wenige Wochen später stand eine große Delegation vor seiner Tür und überredete ihn, die ganze Kohlebahn von Meuselwitz bis Regis-Breitingen. Streckenlänge: 15 Kilometer.
So gründete sich 1996 ein Betreiberverein, der inzwischen auf 65 Bahnfreaks anwuchs und der die Strecke liebevoll wartet, erneuert und betreibt. Ein weiterer Meilenstein wurde erreicht, als die Deutsche Bahn dem Verein am Bahnhof Meuselwitz ein großes Betriebsgelände mit Lokschuppen und Werkstätten übereignete.

Triebwagen kommen aus der Schweiz

Über die Jahre sammelte sich ein riesiges Arsenal an rollendem Material an. Inzwischen ist der Verein Kohlebahnen Meuselwitz e. V. der einzige Schmalspur-Betreiber in Deutschland, der mit allen drei Antriebsarten Fahrten anbietet: Diesel, Dampflok und über einen Generator auch Elektro.
Die Gleisausflüge am Wochenende sind bei Touristen äußerst beliebt. An die 15.000 Fahrgäste werden jährlich durch die idyllische Landschaft chauffiert.
Zurück zum Traum mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Sachsen. Waldenburger: "Den können wir natürlich nicht mit unseren historischen und teils offenen Anhängern betreiben. Daher waren wir über Jahre hinweg auf der Suche nach entsprechenden Triebwagen mit angemessenem Komfort." Lange Zeit vergebens.
Doch eines Tages meldete sich ein Chef der Jungfraubahn aus der Schweiz. Sie hätten drei Triebwagen kürzlich zwar erst generalüberholt, sich nun aber doch für eine Neuanschaffung entschieden.
Gesagt, getan: Seit diesem Jahr stehen alle drei 1967 gebauten Schmuckstücke in Thüringen: Sie sind 17 Meter lang, können ohne Lok und beidseitig betrieben werden, bieten 54 komfortable Sitzplätze und haben herrlich große Panoramascheiben. Waldenburger: "Für unsere Zwecke sind diese Triebwagen perfekt. Es gibt nur zwei entscheidende Makel, und die haben mit unserer Strecke zu tun."


Waldenburger über ambitioniertes Bahn-Projekt: "Mann muss es einfach wollen"

Zum einen musste der Verein gleich zu Beginn die elektrische Oberleitung aufgeben, weil die Leute schon damals "geklaut haben wie die Raben". Daher muss im Wagen Platz für die Batterien gefunden werden. Und statt der vor Ort liegenden Spurbreite 900 verfügen die Triebwagen über 1000 Millimeter - an jeder Seite müssen die Räder um fünf Zentimeter nach innen gebracht werden. Die Konzepte dafür will der Verein bis Jahresende ausgrübeln.
Waldenburger: "Man muss es einfach wollen. Und dieser Wille ist bei kommunalen Partnern da. Anders auf der Bundes- und Landesebene: Da wird zwar viel von der Verkehrswende geredet, doch im Konkreten nur Gründe vorgeschoben, warum etwas nicht gehen kann."
Gute Erfahrungen machte er mit der Gemeinde Regis-Breitingen und dem Landkreis Leipzig. Als die Deutsche Bahn den Bahnhof umbaute, griffen sie in die Planung ein. Nun liegt der Verknüpfungspunkt zur Kohlebahn nur 100 Meter entfernt, dazwischen befindet sich der Buswendeplatz - ideal zum Umsteigen.
Für die Finanzierung des 70 Meter langen Bahnsteiges zuzüglich eines weiteren Gleises für die Umsetzung der Lok wurde der Kohlekonzern LMBV gewonnen. Die technische Abnahme erfolgt in den kommenden Tagen.

ÖPNV zwischen Meuselwitz und Regis-Breitingen in naher Zukunft?
Inzwischen tüftelt Waldenburger am nächsten Meilenstein, bei welchem er die Kohlebahn als Problemlöser ins Spiel bringt. Beim Hasselbacher See gibt es im Sommer massive Parkplatzprobleme - sowohl auf der sächsischen als auch der thüringischen Seite. Über ein Gleisdreieck und nur 1,8 Kilometer Streckenneubau könnten die Triebwagen den Badestrand mit Meuselwitz und Regis-Breitingen verbinden.
Der Landkreis Altenburg ist der einzige in Thüringen, der auf den Strukturfonds mit den Kohlemilliarden zugreifen darf. Und die Anbindung des Hasselbacher Strandes kam bei den zu finanzierenden Wunschprojekten in die engere Auswahl. Das wäre dann der Durchbruch.
Waldenburger: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einen ÖPNV zwischen Meuselwitz und Regis-Breitingen noch erleben werde."
Titelfoto: Montage Christian Grube