"Titan"-Tauchboot: Elektronik-System von Praktikanten gebaut, Mängel bereits seit 2018 bekannt
Washington (USA) - Ein neuer Bericht zur Tragödie der "Titan" legt offen, dass Hochschulpraktikanten die elektronischen Systeme des OceanGate-Tauchboots entwarfen. Darüber hinaus stellte ein ehemaliger Mitarbeiter von OceanGate bereits Jahre vor dem Unglück gravierende Mängel fest, die jedoch größtenteils ignoriert wurden.

Bei den Untersuchungen des Tauchboot-Unglücks, bei dem am 18. Juni fünf Menschen ums Leben kamen, die sich zu einer Expedition des "Titanic"-Wracks aufmachten, kommen immer mehr Details ans Licht.
Während die letzten Wrackteile des U-Boots aus dem Meer geborgen wurden, legt ein neuer Bericht zu den Untersuchungen der Tragödie offen, dass Studenten der Washington State Universität (WSU) an den kritischen Elektronik-Systemen der "Titan" arbeiteten. Davon berichtete erstmals das Magazin The New Yorker.
"Das gesamte elektrische System – das war unser Entwurf, wir haben es umgesetzt und es funktioniert", sagte einer der ehemaligen Praktikanten, Mark Walsh seiner Uni-Zeitung WSU Insider im Februar 2018.
"Wir stehen am Abgrund, Geschichte zu schreiben, und alle unsere Systeme werden der 'Titanic' zum Opfer fallen. Es ist ein tolles Gefühl!", fügte er hinzu. Dass diese Äußerung Jahre später im Zusammenhang mit dem Tod von fünf Menschen wieder Erwähnung finden soll, hätte wohl niemand zu diesem Zeitpunkt erwartet.
Walsh war 2017 Mitglied des WSU-Insititut-Clubs "Elektro- und Elektronikingenieure", als Tony Nissen, damals Direktor für Technik bei OceanGate Herausforderungen des Unternehmens der Öffentlichkeit preisgab.
Daraufhin meldeten sich der Student und einige seiner Kommilitonen freiwillig, um Lösungen für das Unternehmen zu finden.

Ehemaliger OceanGate-Mitarbeiter stellte erhebliche Mängel fest - Wurden seine Warnungen ignoriert?

Nissen fackelte laut Walsh nicht lange: "Tony sagte: 'Okay, du bist eingestellt'", erinnerte sich Walsh.
Er selbst beendete sein Studium und stieg noch im selben Jahr als leitender Elektroniker bei OceanGate ein. Zusammen mit Tony Nissen und zwei Praktikanten der WSU übernahm er die Arbeit an den Elektronik-Systemen der "Titan".
Bereits 2018 soll David Lochridge, der damalige Direktor für Marine-Operationen Mängel an dem Tauchboot festgestellt haben. Als er seine Bedenken äußerte, feuerte ihn sein Arbeitgeber.
"Bis geeignete Korrekturmaßnahmen ergriffen und abgeschlossen sind, sollte Cyclops 2 (Titan) bei keinem der bevorstehenden Versuche bemannt sein", schrieb Lochridge in einem ausführlichen Bericht und hielt darin neun Hauptmängel an der "Titan" fest, die er zur Klage gegen OceanGate einreichte:
- Die Laminierung des Tauchboot-Rumpfes aus Karbon-Fasern wies "sichtbare Anzeichen von Delaminierung und Porosität" auf
- Kleber löste sich aus Nähten der Ballast-Taschen
- Befestigungsschrauben an den Ballast-Taschen stellten eine Gefahr für Risse dar
- Fehlerhafte Tauchlöcher auf Dichtflächen entsprachen nicht den Design-Normen
- Die Exostruktur und die elektrischen Pods der "Titan" bestanden aus verschiedenen Materialien - Kontakt mit Meerwasser hätte zu einer elektrochemische Reaktion führen können, welche großen Schaden hätte anrichten können
- Gefahr durch "hängende" Triebwerkskabel
Die Bake (Ortungslicht), die den Standort des Tauchboots beim Auftauchen anzeigt, wurde mit lediglich mit Kabelbindern befestigt
- Leicht entflammbarer Boden des Tauchboots
- Vinyl-Verkleidung im Inneren der "Titan" hätte bei einem Brand hochgiftige Gase ausgestoßen
CEO und OceanGate-Gründer Stockton Rush (†61) soll wütend reagiert und darauf bestanden haben, dass keine Sicherheitstests nötig seien.

Marke Eigenbau: "Titan" erhielt nie eine Sicherheitszertifizierung

Als sicher zertifiziert wurde die "Titan" übrigens nie. Laut dem Newsportal Merkur, das den Schweizer U-Boot-Betreiber Philippe Eppelbaum interviewte, war keine Zertifizierungsgesellschaft dazu bereit, dem OceanGate-Tauchboot ein Qualitätssiegel zu geben.
"Im Grunde genommen ist es insofern Glückssache, als dass er sich beim Material auf keinerlei Erfahrungswerte stützen konnte", so Eppelbaum.
Denn normalerweise bestehen Tauch- und U-Boote aus Metall, nicht aus Karbon-Fasern. Die Kohlefasern seien noch nicht erprobt genug gewesen, trotzdem war sich OceanGate-Gründer Rush sicher, sie würden dem Druck der Meerestiefe ebenso standhalten wie Metall.
Nachdem Marine-Operations-Direktor Lochridge die Karbon-Fasern als "ausgefranst" bezeichnete, wurde lediglich ein Überwachungssystem eingeführt, um den Piloten der "Titan" auf einen möglichen Ausfall aufmerksam zu machen - allerdings erst kurz vor dem Versagen.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass die Implosion des Mini-U-Bootes tatsächlich durch Materialschwäche ausgelöst wurde. Unklar ist derzeit noch, inwieweit OceanGate dafür verantwortlich gemacht werden kann.
Titelfoto: Bildmontage: -/OceanGate Expeditions/AP/dpa, Wilfredo Lee/AP/dpa