Tödliche Plattenbau-Explosion: Verbrannte Mieterin springt Rettern in die Arme - und stirbt

Blankenburg - Freitagmorgen. Ein lauter Knall erschüttert ein ganzes Wohngebiet. Türen fliegen aus der Verankerung, Scheiben gehen zu Bruch, ein Mensch ist tot. Es ist eine Katastrophe, die sich in Blankenburg im Harz zutrug. Zwei Jahre danach sprechen Einsatzkräfte, Retter und Überlebende über die dramatischen Augenblicke.

Die Wohnung in der ersten Etage brennt lichterloh, im Nebenraum hat es ein Fenster aus der Verankerung gerissen.
Die Wohnung in der ersten Etage brennt lichterloh, im Nebenraum hat es ein Fenster aus der Verankerung gerissen.  © Freiwillige Feuerwehr Blankenburg

Es ist der Morgen des 13. Dezember 2019, kurz vor 9 Uhr. Kirsten Ohlig wartet in ihrer Erdgeschosswohnung in der Bertolt-Brecht-Straße 3 am Frühstückstisch auf ihren Mann, der jeden Augenblick von einem Arzttermin zurückkehren will, erzählt sie in der MDR-Reportage "Lebensretter".

Und dann passierte es! "Da kam ein komisches Geräusch, ein Zischen, und dann flog schon die Flurtür in die Stube, alles flog durcheinander, wir wussten nicht, was los war", so Ohlig.

André Zinke, ebenfalls Mieter im Wohngebiet Regenstein, beschreibt den Knall als "lauter als die Übungshandgranaten bei der Bundeswehr".

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Die betroffene Wohnung im ersten Stock steht sofort lichterloh in Flammen. Eine Etage tiefer sucht Kirsten Ohlig verzweifelt unter den Trümmern ihrer vier Wände nach Schuhen, um sich ins Freie zu retten: "Dieser Qualm, dieser Geruch - es war unfassbar."

Zinke wird zum Lebensretter, geht in Ohligs Wohnung, reicht der Mieterin seine Hand und holt sie raus. "Ich konnte keine Telefonnummer wählen, ich konnte nicht die 112 wählen, ich hab bloß gezittert, es war ganz schlimm", beschreibt es die Frau.

Ehepaar will nicht aus dem Haus: "Ich hier geboren, dann sterbe ich hier auch"

Ein Bild der Verwüstung.
Ein Bild der Verwüstung.  © Polizei Harz

Auch Kindergärtner Benjamin Schilling zögert keine Sekunde, rennt ins Treppenhaus und findet ein verängstigtes Ehepaar, das auf den Stufen sitzt. Der Mann weigert sich aber, mit ihm nach draußen zu gehen. "Ich hier geboren, dann sterbe ich hier auch", habe er gesagt.

Mittlerweile ist die Feuerwehr alarmiert, trifft nur acht Minuten später am Unglücksort ein. Doch schon vorher geschieht ein Wunder. Auf dem Balkon der Explosionswohnung steht eine Frau (76), völlig weggetreten. "Ohne schreien, ohne weinen, sie hat nicht um Hilfe gerufen", sagt Schilling.

Er und Romina Preiß gehen zurück in den Plattenbau, versuchen teils auf dem Boden kriechend zu der Frau vorzudringen. Als das misslingt, stürmen sie nach draußen vor den Balkon.

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"Ich hab schon vieles gesehen. Aber man fragt sich, wie das ein Mensch überleben kann", erinnert sich der Kindergärtner zurück. In Todesangst springt die Mieterin schließlich aus fünf Metern Höhe in Richtung eines Buschs und wird dort von den Ersthelfern aufgefangen - noch bevor die Einsatzkräfte eintreffen.

Haare und Ohren der Mieterin seien verbrannt gewesen, ihre Kleidung teils mit der Haut verschmolzen. "Mein Mann ist noch in der Wohnung", habe die Frau gesagt. Doch André Zinke und den anderen Ersthelfern war klar: "Den holen die da nicht mehr raus."

Tatsächlich kann der Ehemann (†78) nur noch tot aus dem Bad geborgen werden.

THW muss einsturzgefährdetes Haus stützen - auch gerettete Mieterin stirbt

Aus dieser Wohnung konnte ein 78-Jähriger nur noch tot geborgen werden.
Aus dieser Wohnung konnte ein 78-Jähriger nur noch tot geborgen werden.  © Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa

Zur Absicherung des akut einsturzgefährdeten Hauses kommt das Technische Hilfswerk (THW) zum Einsatz, schneidet etliche Holzbalken zu, um Decken und Wände des Hauseingangs 3 zu stabilisieren.

Zwischen Erdgeschoss und erstem Stock hängt eine gebrochene 25 Zentimeter dicke Decke nach unten, droht abzufallen. Dem THW gelingt das mühsame Vorhaben.

Noch immer steht die Brandursache nicht fest. In der explodierten Wohnung wird aber eine Propangasflasche gefunden. Und später auch ein zweiflammiger Gaskocher älteren Baujahres.

Schnell steht dann fest, dass bei diesem ein Thermoelement fehlt, das die Gaszufuhr unterbrochen hätte. So konnte sich das Gas offenbar unbemerkt in der Wohnung ausbreiten. Ein kleiner Funke, selbst durch Betätigen des Lichtschalters, reicht dann aus, um eine Explosion zu verursachen.

Dreieinhalb Monate nach dem Unglück verstirbt auch die 76-jährige Witwe an den durch die Explosion verursachten Verletzungen.

Titelfoto: Bildmontage: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa, Freiwillige Feuerwehr Blankenburg

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