"Nicht mit dem umziehen": Darum outete sich Thomas Hitzlsperger erst so spät als schwul

Leipzig - Als jüngstes von sieben Kindern, mit der Großfamilie auf einem bayrischen Bauernhof lebend, wurde Thomas Hitzlsperger (41) konservativ erzogen. Dass er sich später, wenn auch erst nach seiner aktiven Karriere, als homosexuell outete, passte nicht ins Weltbild seiner Mitmenschen. Es half aber, einen Stein ins Rollen zu bringen.

War zu Gast im MDR-Riverboat: Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger (41).
War zu Gast im MDR-Riverboat: Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger (41).  © IMAGO / STAR-MEDIA

Hitzlspergers Karriere begann beim VfB Forstinning, von wo es ihn 1989 zum großen FC Bayern München zog. Aus Angst, es beim schon damals renommiertesten deutschen Verein nicht zum Profi zu schaffen, nahm er als Jugendlicher eine Chance wahr, wie er jetzt im MDR-Riverboat erzählte.

Ein Berater organisierte ihm ein Probetraining bei Aston Villa, von dem aber weder seine Familie noch der FCB wissen durften. Für ihn war klar: "Wenn ich meine Eltern frage, werden sie Nein sagen." Seinen Marktwert erfahren und es auf der Insel möglicherweise schneller zum Profi schaffen als beim deutschen Rekordmeister. Eine Rechnung, die aufgehen sollte.

Teenie Thomas war damals in einer Ausbildung zum Bürokaufmann und kreierte Verein und Familie die Notlüge, für eine Woche in eine Berliner Filiale zu müssen. Keiner bekam Wind von der Aktion. Im Sommer 2000 wechselte er zu Aston Villa, kam 2005 zum VfB Stuttgart, mit dem er zwei Jahre später Deutscher Meister wurde.

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Anfang 2010 zog es ihn zu Lazio Rom. In dieser für ihn sportlich schwierigen Situation wurde ihm seine Homosexualität erstmals richtig bewusst. "Ich habe dort gemerkt, dass mich das Gefühl nicht trügt. Ich habe es ein paar Jahre vor mir weggeschoben, dass ich anders empfinde. Das darf nicht sein. Ich bin so erzogen worden, dass Homosexualität nicht in unser Weltbild passt und plötzlich sollte ich das sein."

Thomas Hitzlsperger: "Spieler, die klar gesagt haben, dass sie sich nicht mehr mit ihm umziehen würden"

Hitzlsperger (hintere Reihe, 3.v.l.) holte am 8. Juli 2006 WM-Bronze mit dem DFB-Team, erzielte beim 3:1 gegen Portugal ein Tor.
Hitzlsperger (hintere Reihe, 3.v.l.) holte am 8. Juli 2006 WM-Bronze mit dem DFB-Team, erzielte beim 3:1 gegen Portugal ein Tor.  © IMAGO / Norbert Schmidt

Für den 52-fachen Nationalspieler gab es eine Phase, "da konnte ich es mir nicht vorstellen, ein glückliches, erfülltes Leben mit einem Partner zu führen." Er habe "zwischenzeitlich keinen Weg dahin gesehen", so der heutige Botschafter für Vielfalt beim DFB.

Anfangs habe sich der Mittelfeldspieler allein gefühlt, aber auch durch andere offen homosexuell lebende Prominente Mut gefasst, offen zu seiner Sexualität zu stehen.

Dennoch wartete er bis zum Ende seiner aktiven Karriere - wegen seiner Mitspieler! "In den Jahren, als es für mich relevant wurde, darüber zu sprechen, gab es Diskussionen in der Kabine, wie man bei einem schwulen Mannschaftskollegen reagieren würde." Einige Kommentare hätten ihn verunsichert. "Spieler, die klar gesagt haben, dass sie sich nicht mehr mit ihm umziehen würden."

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Hinzu kam, dass ihm ein Medienanwalt kategorisch von einem öffentlichen Outing abriet: "Der hat mir den Kopf gewaschen!" Doch der mittlerweile 41-Jährige setzte seinen Willen durch, outete sich im Januar 2014 - als nach wie vor einziger Profifußballer in Deutschland.

Am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, sollen aktive Fußballer aus Deutschland, England und Österreich folgen. Eine Aktion, an der Hitzlsperger durch seine Veröffentlichung große Aktion hat.

Thomas Hitzlsperger hat "eine Hoffnung, dass es klappen kann" mit dem EM-Titel 2024

Nationaltrainer Julian Nagelsmann (36) will mit dem DFB-Team eine erfolgreiche Heim-EM spielen.
Nationaltrainer Julian Nagelsmann (36) will mit dem DFB-Team eine erfolgreiche Heim-EM spielen.  © Christian Charisius/dpa

Beim WM-Sommermärchen 2006, wo er mit einem Tor mitbeteiligt am 3:1-Sieg gegen Portugal und dem Gewinn der Bronzemedaille war, habe das DFB-Team durch die Euphorie im eigenen Land auch spielerisch einen Aufschwung erfahren.

Ein Schulterschluss zwischen Team und Fans könnte, trotz einer sportlich durchschnittlichen Fahrt in den vergangenen Jahren, auch bei der Heim-WM im Sommer ein Mittel sein, mutmaßt Thomas Hitzlsperger, der seit einem Jahr Miteigentümer vom dänischen Erstligisten Aalborg BK ist.

Aus Sicht des 41-Jährigen sei die Überzeugung, in ein Turnier zu gehen und dieses zu gewinnen, verloren gegangen. Zudem gebe es zu viele Probleme auf zu vielen Positionen, insbesondere in der Defensive und Offensive.

"Wir sind nicht so gut wie Frankreich, Portugal und vielleicht England und Spanien", sagt Hitzlsperger. Aber er habe "eine Hoffnung, dass es klappen kann" mit dem EM-Titel, obwohl es ihn spielerisch gerade nicht so hoffnungsvoll stimmt.

Titelfoto: IMAGO / Norbert Schmidt

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